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BOB DEGEN QUARTET feat. VALENTIN GARVIE, Valentin Garvie Foto: Sascha Rheker
BOB DEGEN QUARTET feat. VALENTIN GARVIE, Valentin Garvie Foto: Sascha Rheker
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Das 42. Deutsche Jazzfestival Frankfurt im Sendesaal des Hessischen Rundfunks

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Weißt du noch? werden sich wohl dermaleinst die Eingeweihten zunicken, die dabei waren, beim 42. Deutschen Jazzfestival des Hessischen Rundfunks in Frankfurt, weißt du noch: dieses Duo, das Joachim Kühn und Archie Shepp dort gespielt haben? Denn der Auftritt der beiden hatte das Zeug zum zukünftigen Umrauntsein.

Archie Shepp, der den allerunschulmäßigsten aller bekannten Tenorsaxofon-Ansätze hat und dessen Tongebung von unvergleichlichem Nuancen- und Unreinheits-Reichtum ist, und Joachim Kühn, in dessen musikalischem Horizont sich die große europäische Klaviermusiktradition neben dem freien deutsch-französischen Jazz und einer profunden afroamerikanischen Erfahrung bewegt, inspirierten sich gegenseitig zu einem Set, der gleichermaßen klassisch wie überraschend, beherrscht und intensiv ausfiel und der seinen Ort in einer spannungsreichen Mitte zwischen großer Vergangenheit und flirrender Gegenwärtigkeit hatte.

Das ganze Jazzfestival sollte sich hier verorten, es war als Hommage an den fünfzigsten Geburtstag des ehemals großen, dann fast vergessenen und inzwischen in einer Art beharrlicher Zwischenphase befindlichen Schallplattenlabels „Impulse“ konzipiert und hatte Seine Unumstößlichkeit John Coltrane zum Sockelheiligen ausgerufen. Keine schlechte Wahl, gibt es doch heute noch kaum einen Jazzmusiker und schon gar keinen Saxofonisten, der Coltrane nicht unter seine wichtigen Einflussgeber rechnete. Nicht alle Festivalbeiträge allerdings mochten sich in die Impulse-Gedenkfeier einreihen, und die, die es taten, taten das auf unterschiedlichen Qualitätsniveaus.

Für Daniel Erdmann, Saxofon, Hasse Poulsen, Gitarre, und Edward Perraud, Schlagzeug, die gemeinsam das Trio „Das Kapital“ bilden, gehen die Impulse für die aktuelle Schaffensphase vor allem von Hanns Eisler aus, dessen Name seit Alfred Harths und Heiner Goebbels’ Siebziger-Jahre-FMP-Projekten „Vier Fäuste für Hanns Eisler“ und „Vom Sprengen des Gartens“ immer wieder einmal im Kontext improvisierter Musik auftaucht. Das könnte unter anderem damit zusammenhängen, wie Hanns Eisler mit Klangmaterial gearbeitet hat und welch spröde Sentimentalitäten in den Melodien seiner Lieder stecken. „Das Kapital“ arbeitet mit kundig-verspieltem Humor, der nie in distanzierende Ironie umschlägt, und mit klaren klangbildlichen Qualitäten. Dass das Trio auf dem Festival den Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik überreicht bekam, zeigt, dass Auszeichnungen manchmal wirklich genau da ankommen, wo sie hin gehören.

Unter den eher konservativ akzentuierten Projekten einer historischen „Impulse“-Aufführungspraxis gab es an zwei aufeinander folgenden Abenden zwei profilierte Sets mit der hr-Bigband. Unter der Leitung von Charles Tolliver und mit Archie Shepp als Gast-Solisten widmete sie sich zunächst dem ersten von Coltrane für „Impulse“ eingespielten Album „Africa Brass“, der zweite Auftritt war Oliver Nelsons Arrangeursarbeit für das Album „The Blues and the Abstract Truth“ gewidmet. Jörg-Achim Keller, Ex-Chefdirigent der hr-Bigband und Freund eines klassischen Bigband-Sounds, war dafür nach Frankfurt zurückgekehrt, Gast-Solist am Altsaxofon war Vincent Herring. In beiden Fällen zeigte die Bigband die beeindruckend souveräne, elastisch-metallische Klanglichkeit, die das altamerikanische Material erfordert.

Joachim Kühn hatte am dritten Festival-Abend noch einen Auftritt seinem Bruder Rolf und zwei Musikern der nachfolgenden amerikanischen Jazz-Generation, John Patitucci, Kontrabass, und Brian Blade, Schlagzeug. Das Quartett litt für einige Augenblicke an einer allzu kurz ausgefallenen Probenphase für das durchweg neue Material, machte das aber durch einen gelungenen Spagat zwischen Damals und Heute wett und löste sich immer wieder auf in Trio-Konstellationen. Joachim Kühn spielte dann mit Patitucci und Blade ähnlich intensiv und raumgreifend wie früher im legendären Trio mit Jenny-Clarke und Humair, wogegen die Klarinettentrios Rolf Kühns mit der gleichen rhyth section farbintensiv und ungleich diskreter ausfielen.

Einen vom Geist der historisch informierten Aufführungspraxis geprägten Set spielte das schwedische Jonas-Kulhammar-Quartett. Es wagte sich an eine Wiederbegegnung von Coltranes „A Love Supreme“ und zeigte dabei allergrößte Sorgfalt. Kulhammar orientierte sich klanglich mit großer Kompetenz am großen Vorbild, und die Band schaffte mit subtilen Mitteln, mit Sorgfalt  und unverkennbarer Eigenständigkeit einen Sechziger-Jahre-Sound, der nur eines nicht enthielt: die alten Gefühle der (überwiegend) älteren Publikumsteile. Wenn historische Aufführungspraxis keine schwererwiegenden Mängel aufweist, die ja nicht einmal Mängel der Musik sind, dann soll sie bitte ruhig weitergehen. Wenn sie dagegen so ausgeführt wird wie auf dem Festival leider von McCoy Tyners Quartett (trotz Chris Potter am Saxofon) oder gar so völlig ungenügend wie von dem elektronisch orientierten Harriet Tubman Double Trio, macht sie sich eher überflüssig.    

Bleibt, als einsam aus dem Referenzen-Kontext herausragendes Festival-Projekt Bob Degens aktuelles Quartett. Man kann sich fragen, wenn man zu Gerechtigkeitsfragen neigt, wie es geschehen konnte, dass im Jazzbetrieb Keith Jarrett die Rolle des großen Neoromantikers spielt und nicht Bob Degen. Man kann dann in seiner Bescheidenheit und attitüdenfreien Zugewandtheit einen Grund dafür sehen, nicht aber in musikalischen Parametern wie seiner lyrischen Präsenz, feingliedrigen Harmonik und elastischen Phrasierungskunst. In Frankfurt sieht man Bob Degen regelmäßig bei Konzerten des Ensemble Modern, wo er sich mit tief versunkenem Lächeln an der Musik freut. Aus diesem Ensemble kommt der argentinische Trompeter Valentin Garvie, der mit der grandiosen Klarheit seiner Tonbildung und der Variabilität seines Linienwerkes Bob Degens Kompositions- und Improvisationskunst einen klassischen Glorienschein gibt, als sei dieser spezielle lupenreine Trompeten und Flügelhorn-Ton genau das, auf das Bob Degens Musik gewartet hat.

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