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Das Erbe Babylons: ein Gesprächskonzert im Rahmen des Augsburger 1000-Töne-Festivals

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Viele Kräfte wirkten hier mit, um das außergewöhnliche Konzert möglich zu machen. Im Rahmen des Augsburger Festivals der 1000 Töne tat sich das von Johannes Gutfleisch geleitete Projekt Zukunft(s)musik mit MEHR MUSIK! und der European-Egyptian Contemporary Music Society in vorbildlicher Weise zusammen, um zeitgenössische Musik aus Ägypten, Iran und Palästina/Israel in einem Gesprächskonzert zu präsentieren. Mit zwei Uraufführungen und einer europäischen Erstaufführung konnte sich das Publikum im Augsburger MAN-Museum ein aktuelles Bild von der Musik in der krisengebeutelten Region machen.

Auf die Frage, ob sich die ägyptischen Komponisten auf dem Weg zu einer nationalen Musik befänden, fiel die Antwort von Amr Okba sicher exemplarisch für die Region aus. Er selbst habe in Europa, insbesondere in Österreich weiter studiert, während sich sein ehemaliger Kommilitone Ahmed Madkour in den USA den letzten Schliff geholt hatte. Der heutige Leiter des Kulturzentrums der Bibliotheca Alexandrina Aherif Mohie El Din diplomierte sich indes im Fach dirigieren in Paris. Die ägyptische Musik sei durch individuelle Entwicklungen geprägt und allenfalls durch gemeinsame Wurzeln verbunden. Ähnlich formulierte es bereits der aus Teheran stammende und in München lebende Arash Safaian: „Ich verstehe mich als einen globalisierten Menschen in dem alles verschmolzen ist“. Der palästinensisch-israelisch Komponist Samir Odeh-Tamimi stammt indes aus deinem arabischen Dorf bei Tel Aviv, studierte aber in Kiel und Bremen.

Doch die gemeinsamen kulturellen Wurzeln sind nicht zu unterschätzen, reichen sie doch Tausende von Jahren in die vorchristliche Zeit zurück, prägen offenbar auch bis heute die Mentalität. Sie ist vielleicht nicht in einer einheitlichen musikalischen Stilistik zu finden, doch durchaus in der Denkweise und inhaltlichen Auffassung.

Babylon als Wiege der arabischen Kultur übt nach wie vor eine besondere Faszination aus. Sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, bedeutete für die fünf Komponisten ein Nachdenken über die eigene Identität in historischen Dimensionen. Es spielte sich aber nach den Regeln der westlichen Musik ab, in gewisser Weise daher als ein Blick von außen, der dennoch von innen heraus empfunden wurde. Und letzteres erwies sich als entscheidend für die fremdartige Wirkung der Kompositionen, obwohl lediglich Sherif Mohie El Din ein traditionelles orientalisches Instrument eingesetzt hatte. Von Wael el Mahallawy virtuos gespielt, kam das Kanun, eine orientalische Zither, mit seinem magischen, metallischen Klang in „Three Moods“ zum Einsatz. Aber auch die Unisono-Verbindung aus Klarinette und Flöte verliehen dieser Komposition eine orientalische Note. Faszinierend erklang der vokale Part in einer Überlagerung von Pattern und bisweilen Stimmakrobatischen Ausbrüchen.

Die heikle Aufgabe, die andersartige, reiche Farbigkeit herauszuarbeiten, übernahmen in globalisierter Kooperation die Neuen Vocalsolisten, das Egyptian Contemporary Music Ensemble sowie das Ensemble Zukunftsmusik unter der Leitung der zweiten Kapellmeisterin am Theater Augsburg Carolin Nordmeyer, die in Detmold und Paris studiert hatte. Und gerade die Verschiedenartigkeit der Werke erforderte eine enorme Flexibilität. Safaians „Night Falls“ flimmerte mysteriös und geradezu minimalistisch. Odeh-Tamimi reduzierte das Vokabular in „Ka Anna Ha“ auf eine Bass-Stimme und Daiko (japanische Trommel), um dem Freiheitskampf im arabischen Raum eine frappierende Intensität zu verleihen.

„White Shroud“ wie auch „The Epic of Gilgamesh – The Cedar Forest: Tablet V“ von Madkour zeigten sich vielschichtiger, prägnant rhythmisiert, doch auch reich an klangexperimentellen Stimmungsbildern, die dramatisch zu erzählen vermochten. „Instability Ω“ von Amr Okba verdeutlichte indes den erläuterten internationalisierten Ansatz. Sein Quintett wurde durch eine Gondelfahrt in Venedig inspiriert und ist einem allmählich intensivierten Wogen nachempfunden. Eine orientalisierende Vision, die sich in luftiger Leichtigkeit wieder auflöst.

Bedauerlich, dass die großartige Arbeit in Augsburg in Sachen zeitgenössischer Musik so wenig überregionale Beachtung findet. Die Zukunft des Festivals Zukunft(s)musik sei finanziell nicht gesichert, gestand Johannes Gutfleisch im Gespräch. Doch der Cellist plant und organisiert weiter – während er auf ein Wunder hofft.

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