Wenn eine Serie über das Instrument des Jahres 2023, die Mandoline, sich Instrumenten wie der Bağlama, der Domra, der Saz und der Oud zuwendet, dann geschieht das nicht einfach nur aus dem Wunsch nach einer Fiktion von Vollständigkeit heraus oder gar aus einem rein wissenschaftlichen Interesse. Die Verwandten der Mandoline stehen für je eigene Kulturen mit ihrer je eigenen Musik. Sie sind der Mandoline von ihrer Bauart sehr ähnlich, ihr Klang ist aber durchaus unterschiedlich und auch immer geprägt von den je eigenen Tonsystemen ihrer Heimatkulturen. Sie sind aber nicht einfach nur instrumentale Verwandte – sie sind auch grandiose Mittler auf dem Weg der Völkerverständigung.

Die Schwestern der Mandoline mit Ihren Spielern und Spielerinnen: (v. l.) Bağlama (Sedat Boyraz), Domra (Olga Dubowskaja), Oud (Shaul Bustan), Mandoline (Steffen Trekel und Jochen Ross). © Christoph Edelhoff, LMR SH
Das Jahr der Mandoline in der nmz (Teil 11): Verwandte – Bağlama, Domra und Oud
Zum Einstieg erinnern wir uns kurz an die Grundlagen: Bei einer Mandoline werden die Töne durch Schwingungen gespannter Saiten erzeugt. Sie besteht aus einem Saitenträger und einem Resonanzkörper. Diese sind in einem organischen, ohne Zerstörung des Klangapparates unlösbarem Zustand verbunden. Die Saitenebene verläuft parallel zur Decke des Instruments. Der Saitenträger (auch Stiel oder Hals genannt) ist halsartig an dem Resonanzkörper angesetzt oder angeschnitzt. Sieht man von den amerikanischen Abwandlungen (Gibson) ab, so ist der Resonanzkörper schalenförmig – entweder aus durch einzelne Späne zusammengesetzt oder aus dem vollen Holz ausgehöhlt.
Sieht man die wundervollen Mandolinen in der Realität, sind sie viel kunstvoller, als es diese wissenschaftlich angehauchten Worte zu vermitteln mögen. Besonders auffallend sind die wunderbaren Resonanzkörper in Schalenform aus verschiedenartigen und verschiedenfarbigen Hölzern. Die Mandoline gehört mit all diesen Merkmalen zu Klasse der Schalenhalslauten, wobei der Hals „kurz“ oder „lang“ sein kann. Sie ist damit ein direkter Abkömmling (quasi die Kleinste in der Familie) der europäischen Lautenfamilie mit der Knickhalslaute oder der Theorbe. In diese Kategorie gehören auch die Balalaika und die Bouzouki.
In der Musik anderer Völker, aber zunehmend auch durch Menschen, die aus dem Vorderen Orient nach Europa einwandern, erfreuen sich drei Mitglieder dieser Familie bei uns einer immer größeren Beliebtheit: die Bağlama, die Domra und die Oud. Sie unterscheiden sich von der Mandoline teils deutlich, bei genauerem Hinsehen entdeckt man aber auch die Gemeinsamkeiten. Es ist aber nicht nur die Bauform, in der sie sich mehr oder weniger voneinander unterscheiden. Ganz entscheidend ist natürlich auch die musikalische Denkweise der Kulturen, Ihre Lebendigkeit und ihre durchaus unterschiedlichen Vorstellungen etwa vom Tonsystem (ein Stichwort: Vierteltöne) und von Harmonien.
Der Begriff „Saz“ ist eher der Oberbegriff für eine ganze Gruppe von Instrumenten. Im Türkischen können damit zunächst einmal bestimmte Saiteninstrumente, Streichinstrumente, Blasinstrumente und Schlaginstrumente gemeint sein. Erst im engeren Sinn sind Langhalslauten gemeint. Gern wird „Saz“ auch synonym mit der Bağlama verwendet. Sie ist von den drei genannten Instrumenten in Deutschland wohl das bekannteste. Schon als die Gitarre 2013 Instrument des Jahres war, wurde sie in diesem Zusammenhang immer wieder mit vorgestellt und zum Klingen gebracht.
Bağlama
Die Bağlama hat – ähnlich der Mandoline oder der Gitarre – auf dem Griffbrett, dem Hals, Bünde. Diese Bünde sind Hilfsmittel dafür, dass man die Saite an einem bestimmten Punkt genau abgegriffen werden kann, letztlich verkürzt wird. Der Rest der schwingenden Saite (also zwischen dem abgreifenden Finger und dem Steg) erzeugt dann einen bestimmten Ton. Markieren diese Bünde zumeist einen Halbtonschritt, hat die Bağlama mehr Bünde, da im arabischen, türkischen und persischen Tonsystem auch Vierteltöne vorkommen, der Tonvorrat gegenüber dem Dur-Moll-System also größer ist. Die meisten Instrumente haben 6 oder 7 Saiten. Diese werden zu drei Chören zusammengefasst. Die beiden oberen bestehen jeweils aus 2 Saiten, der untere aus 2 oder 3 Saiten. Üblicherweise wird die Bağlama mit einem Plektrum gespielt, seltener auch mit den bloßen Fingern gezupft.
Die Bağlama ist vom Balkan bis nach Afghanistan verbreitet. Sie wird in der kurdischen, iranischen, armenischen, aserbaidschanischen, afghanischen und türkischen Musik gespielt. Sie ist das am meisten gespielte traditionelle Begleitinstrument der türkischen Barden. Kaum ein anderes Instrument ist in der Türkei in so vielen Kontexten präsent: In der traditionellen Kunstmusik wie auch in der Volksmusik. Als Lied-Begleitinstrument, aber auch in der Rock- und Popmusik.
Im Alevitentum spielt fast jeder Geistliche die Kurzhals-Bağlama. Die Geistlichen sind leiten unter anderem den Cem, ein spirituelles Versammlungsritual. In diesem Ritual werden Gedichte vorgetragen bzw. gesungen und der Semah, eine der zwölf Pflichten in einem Cem-Ritual, getanzt. Ohne eine Bağlama ist dieses Ritual undenkbar.
Domra
Ein ähnliches Instrument ist die Domra. Sie hat zwei bis vier Saiten und ebenfalls Bünde auf dem Hals. Die dreisaitige Domra ist in Quarten gestimmt, die viersaitige in Quinten. Durch diese Quintenstimmung lässt sich auch Mandolinen- und Violinenliteratur problemlos auf der Domra darstellen. Die Domra wird mit einem Plektrum angeschlagen. Die Holzdecke hat ein relativ kleines Schallloch. Ihre Hauptverbreitung ist in Russland und einigen südlich gelegenen Republiken.
Die 1. Generation, die aus der Türkei nach Deutschland kam, waren hauptsächlich Menschen, die aus ländlichen Gebieten kamen. Von ihnen brachte fast jeder ein wichtiges Stück Heimat, seine eigene Oud, ein leichtes und kleines Musikinstrument, mit. Mit ihr wurden Heimaltlieder begleitet und abends gemeinsam musiziert, Fernseher gab es in dieser Generation ja noch nicht.
Oud
Der Name Oud (oder auch „Ud“) bedeutet „Holz“. Die Oud gehört auch zu den Schalenhalslauten und wird gern als das flexibelste und dynamischste unter den nahöstlichen Saiteninstrumenten beschrieben. Äußerlich unterscheidet es sich von der Bağlama und der Domra am auffälligsten durch den abgeknickten Wirbelkasten (= Knickhalslaute). Sie besitzt keine Bünde und hatte anfangs zumeist vier Saiten, zu der später eine fünfte Saite hinzugefügt wurde. Heute hat sie zumeist sechs Saitenpaare (ist also doppelchörig wie die Mandoline) oder fünf Saitenpaare und eine Einzelsaite. Die Stimmung der Oud ist – zumindest theoretisch – eine Stimmung in Quarten. In der Praxis haben heute aber viele Oud-Spieler ihre ganz eigene Stimmung, die sie selbst erarbeiten und festlegen. Das persönliche Klangideal des Spielers ist der Leitfaden, an dem diese Stimmung entwickelt wird. Trotz der fehlenden Bünde gilt hier auch das über den Reichtum des türkischen Tonsystems Gesagte.

Shaul Bustan, kurz bevor er seine Jacke und seinen Schal ablegt, um dem Ensemble die 2 +2 +2 + 3 Aufteilung des 9er-Taktes versucht lebendig einzuhauchen. © Christoph Edelhoff, LMR SH
Zwischenzeitlich haben viele dieser außereuropäischen Instrumente ihren Weg nach Deutschland gefunden. Der ehemalige „Gitarren-Papst“ Dieter Kreidler, der in den 70er Jahren eine dann sehr erfolgreiche Gitarrenklasse an der Hochschule für Musik und Tanz Köln/Wuppertal aufgebaut hat, nannte diese Instrumente einmal „Instrumente mit Migrationshintergrund“. Wie die Mandoline kurz vor 1900 von Saisonarbeitern aus Italien mit nach Deutschland gebracht worden ist, sind die Musikinstrumente Bağlama, Domra und Oud mit Einwanderern, die aus den verschiedensten Motiven heraus nach Deutschland gekommen sind, zu uns gelangt. Sie waren die „gewöhnlichen“ (meint: gewöhnten) Instrumente dieser Menschen. Sie waren ein Stück Heimat, kultureller Heimat, für sie – ein Stück ursprünglichen Lebens im fremden Land.
Das Instrument des Jahres wird jedes Jahr neu von mittlerweile dem größten Teil der Landesmusikräte gekürt. Die Idee kam 2007 vom Landesmusikrat Schleswig-Holstein. Jedes Land aber macht (noch immer?) seine eigenen Veranstaltungen und plant und finanziert diese selbständig. In Schleswig-Holstein laufen viele Veranstaltungen von dem doch recht umfangreichen Programm als Kooperationsprojekte mit anderen Veranstaltern, zum Beispiel dem Schleswig-Holstein Musikfestival. Einmal im Jahr macht der Landesmusikrat Schleswig-Holstein eine einzige eigene (Haupt-)Veranstaltung zum Thema, die großzügig vom Sparkassen- und Giroverband für Schleswig-Holstein finanziert wird. In diesem Jahr stand die Veranstaltung „Interkultureller Tag der Mandoline“ im musiculum Kiel ganz im Zeichen der Mandoline und ihrer Schwestern aus der ganzen Welt. Etwa 35 Zupfmusiker waren gekommen, um ihre schon vorhandenen Kenntnisse in Richtung der Mandolinenverwandten und ihrer teilweise sehr eigentümlichen Musik zu erweitern. Die Begegnung war einfach – Musik ist eben eine überall gesprochene Sprache. Nur bei einzelnen Themen musste etwas intensiver geprobt werden: die Aufteilung 3 + 3 + 3 eines mitteleuropäischen 9er-Taktes war den Musikern doch sehr im Blut – die Aufteilung 2 + 2 + 2 + 3 war anfangs wacklig gewöhnungsbedürftig.
Heutzutage haben sich die „Instrumente mit Migrationshintergrund“ als Brückenbauer zwischen den verschiedenen Kulturkreisen, die hier aufeinandertreffen, sehr bewährt. Gerade unter Jugendlichen ist die Neugierde an der doch so ganz anderen Musik und Klangwelt groß. Institutionen wie das „Konservatorium für Türkische Musik Berlin“ sind entstanden, wo türkische Jugendliche ihre eigene Musik besser kennenlernen und ihr Kulturgut pflegen und gleichzeitig deutsche Jugendliche sich der Musik ihrer Mitschüler zu nähern versuchen. Leider sind viele der Deutschen nach der Coronazeit bisher nicht wieder zurückgekommen.
An der Universität der Künste ist es seit 2014 möglich, Musik auf Lehramt mit dem künstlerischen Hauptfach Bağlama zu studieren. In Hamburg werden an der Staatlichen Jugendmusikschule seit 2022 Kurse im Bağlama-Spiel angeboten, die zumeist in Kooperation mit den Regelschulen stattfinden. Diese werden von türkischen Jugendlichen gut angenommen, die sich mit der Musik ihrer Ur-Heimat beschäftigen möchten. Aber auch deutsche Jugendliche zeigen Interesse an dieser doch so ganz anderen Musik ihrer Mitschüler. Dieses darf man als wichtiges und funktionierendes Projekt im Bereich von gelungener Integration bezeichnen. Denn es gilt das Sprichwort: „Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennengelernt hat“. Wie aber kann man Menschen besser kennenlernen als über ihre Kultur, ihre Art zu essen, zu singen und zu tanzen, zu musizieren, das Leben zu genießen.
Informationen:
- https://btmk.de – Homepage des Konservatoriums für Türkische Musik Berlin
- Olga Dubowskaja: Die Schalenhalslaute: Die Vorfahren der europäischen Schalenhalslaute im persischen und arabischen Raum. VDM 2010. ISBN 978-3639263503
- https://musiculum.de – Homepage des musiculum in Kiel – wunderbarer musikalisch-atmosphärischer Veranstaltungsort des „Interkulturellen Tages der Mandoline“ in Kiel
Weiterlesen mit nmz+
Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.
Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50
oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.
Ihr Account wird sofort freigeschaltet!