In den letzten Wochen kamen immer wieder Anfragen an die Redaktion, die sich auf die Kolumne „Bad Boy Of Music“ bezogen: „Ist das jetzt die Position der nmz-Redaktion?“ Dazu ist Folgendes zu sagen: Die Position der nmz definiert sich als dialektisch widersprüchliche Summe der Meinungen ihrer Mitarbeiter. Oder anders: Ihre Position ist es, unterschiedlichen Denkansätzen in freier Debatte Raum zu geben. Hier also eine Reaktion auf die ersten drei Bad-Boy-Texte von unserem Redaktionsmitglied Reinhard Schulz (die freilich ebenso individuell ist und sich nicht mit allen Ansichten in der Redaktion deckt).
Nun hör doch endlich mal auf, so mit deinem Revolver herumzufuchteln! Könnte ja sein, dass du dir mit einer Platzpatrone in den Fuß schießt. Wie ein Kind, das sein Lieblingsspielzeug jedem seiner Onkel stolz vor die Nase hält. Platzpatronen, das weißt du ja, das sind die Dinger, die laut tun, aber nichts anrichten. Warum mir der Begriff bei deinen Argumenten eingefallen ist? Frage nicht!
Du klagst also über die Neue Musik mit großem N. Da hoppeln die Hänschen Neus herum und hinterlassen Ackerfurchen mit schwergewichtigen Losungen alias Formulierungen. Übrigens, ich darf doch du sagen, gewissermaßen Ehrensache bei einem Bad Boy? Nein, ich lasse es besser. Das Prädikat „schön formuliert“ wurde mir immerhin zuteil, freilich mit dem Zusatz: aber leider alles totaler Quatsch. Da ist dem Betrieb das Lachen vergangen angesichts der experimentell abgefackelten Weihrauchstimmung, da wird mit dem Begriff „interessant“ hantiert, weil sonst angesichts der öden Einheitssauce die Worte fehlen.
O ja! Wir kennen das auch – und mit „wir“ meine ich jene Gruppe, die sich angeblich wie im sadomasochistischen Selbstkasteiungsversuch die zeitgenössische Musik antut, da wir es ja angesichts der üblen Zustände nicht besser verdient haben. Denn, so sollen wir gelernt haben: Es gibt nichts Gutes im Schlechten. Wir haben uns auch gelangweilt bei Musik im Ohr, die nicht viel mehr tut als die Zeit zu zerquälen. Und, so muss gesagt werden, da war auch Musik von neuerdings so genannten Bad Boys darunter, die ihren belämmerten oder behämmerten (aber es soll ja die Identität des Bad Boys nicht verraten werden!) Klavieren angeblich lustige Versatzstücke entlockte. Da heißt es oft absitzen auf den vom Bad Boy ins Feld geführten und schwielig zu werden drohenden Pobacken. Oder gehört dies auch zur masochistischen Lust? Mag ja sein, dass es für manche Event-Geile zutrifft, die sich ankoppeln, weil „interessante“ Kommentare abzuliefern einfach in ist.
Aber ging es Zeitgenossen nicht immer schon so? Ich empfehle jedem, die reichlichen Notenbesprechungen eines Robert Schumann in der damaligen Neuen Zeitschrift für Musik zu lesen – also nicht nur die wenigen Highlights! Das nimmt sich aus wie ein Gang durch eine öde Wüstenei, durch Regionen der Einfalls- und Phantasielosigkeit, in denen ein Werk II eines Frederic Chopin wie der Fund eines Diamanten gefeiert wird. Oder lesen wir die verzweifelten Kommentare von Webern, der zum Broterwerb bei der UE eingereichte Partituren sichtete! Heute brauchen wir uns den von Schumann oder Webern und von der Zeit verworfenen Rest nicht mehr anzutun, das hat die Vergangenheit der Gegenwart voraus und macht ihren Genuss bequem. Das Heutige hat diesen Filter noch nicht, und so klingt uns immer wieder schlecht Gehörtes, Selbstgefälliges, Nicht-Stimmiges, also Überflüssiges entgegen. Christus riet einmal, auf dem Felde alles aufgehen zu lassen und dann an den Früchten das Gute und Wichtige zu erkennen. Nicht dumm dies! Nur die Fähigkeit, die guten Früchte dann auch zu erkennen und sie von den schlechten zu trennen, darf man sich nicht nehmen lassen.
Sonst schüttet man das Kind mit dem Bade aus. Und das macht unser Bad Boy! Er beobachtet Symptome und macht sie zum Allgemeinzustand. Und er beobachtet zudem falsch. Namen nennt er ja nicht gern, aber ein paar fallen doch: in einer Traumsequenz Lachenmann, Nono, André, anderswo Spahlinger. Sind sie, umrahmt von Stuckengelchen der Gegenwarts-Hörigen, Feindbilder? Immerhin: Wer solche Feinde hat, braucht keine Freunde mehr. Aber der Fokus ist falsch eingestellt. Wer das zeitgenössische Musikleben wirklich mit kritischem Ernst und – auch dies – mit kritischem Vergnügen verfolgt, der könnte ohne Mühe noch weitere 50 Komponistinnen und Komponisten unterschiedlichster Stilistik und Couleur nennen, die ins gegenwärtige Geschehen fruchtbar eingreifen. Soll ich mit der Aufzählung anfangen, gleichsam als Horizont- und Denkerweiterung für angehende Bad Boys? Von Aa (Michel van der) bis …?
Vielleicht will es der Bad Boy einfach nicht, dass andere dort Leben wahrnehmen, wo sich ihm alles sperrt. Und Leben ist nicht nur das (schenkelklopfende) Lachen, das er heute so sehr vermisst. Da würde er aber bei Bach, Schubert, Bruckner oder Mahler auch kaum fündig. Und Lachen von Herzen braucht Niveau. Dieses Lachen gibt es im gegenwärtigen Schaffen wohl genauso oft wie in der Musikgeschichte. Ich denke an Bruno Madernas „Satyricon“, an die „Vier-Ton-Oper“ von Tom Johnson, an die Eishockey-Oper „Nagano“ von Martin Smolka, aber auch, nur um einen genannten Buh-Mann zu nennen, Lachenmanns „Concertini“ kennen das milde Lächeln verstrickter Leichtigkeit. Das hört Bad Boy nicht? Schade! Vielleicht aber auch „interessant“, dieses Defizit.
Soll er also seinen Ballermann wieder einstecken (Vorsicht dabei: Fuß!). Denn seit drei Nummern jammert Bad Boy darüber, dass die Neue Musik mit großem N immerfort nur jammere. Im Dunste von Heldenverehrung und Kriechertum, von Weihrauch, Myrrhe aber ohne Gold (also: Jammer). Aber es gibt Hoffnung. Der letzte Satz in der Bad-Boy-Of-Music-Kolumne im März lautet: Möge das Jammern bald ein Ende haben. Ausnahmsweise einverstanden!