Zum 24. Mal bestand das Musikfest Bremen nicht nur aus bremischen Konzerten, sondern die gesamte Region atmete das Flair des Musikfestes. Auch wenn die Eintrittskarten teuer sind, so ist das Musikfest doch bestens in der Stadt verankert und viele machten sich auf den Weg zu den insgesamt 37 Konzerten, von denen über die Hälfte im ostfriesischen Umland stattfanden: 80 der Eintrittskarten konnten verkauft werden.
Der Intendant Thomas Albert, dessen Musikfest mit einem eher bescheidenen finanziellen Beitrag des Senates Bremen hauptsächlich durch Sponsoren möglich wird, hat mehr und mehr Abstand von inhaltlichen Konzeptionen für das ganze Musikfest gewonnen, um frei zu sein für „Entdeckungen“ jeder Art, auf die er schnell und effektiv reagieren will. Entdeckungen aus der alten Musik bis zum Jazz, die zeitgenössische Musik fehlt weiterhin.
Geblieben ist allerdings die zuverlässige Qualität der Interpretationen aus der historischen Aufführungspraxis, wie in diesem Jahr die phänomenale Aufführung von Antonio Vivaldis „L'Incoronazione di Dario“ durch die Accademia Bizantina aus Ravenna. Ein Ereignis auch die Wiedergabe der „Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach durch „Le Concert des Nations“ unter Jordi Savall; bewährt wie eh und je die bunten mediterranen Mischungen von Christina Pluhar mit ihrem „L'Arpeggiata“; eine aus mehreren Kompositionen zusammengesetzte fiktive „Marienvesper aus dem Salzburger Dom“, die Konrad Junghänel mit dem Concerto Palatino wirkungsvoll und klangschön in Szene setzte.
Zu den „alten Sachen“ zählte weiterhin mit „Il Diluvio universale“ von Michelangelo Falvetti, ein völlig unbekanntes barockes Meisterwerk von 1682, das der „Choeur de chambre de Namur“ und die „Capella Mediterranea unter der Leitung von Leonardo Garciá Alarcón bildreich zelebrierte. Und sicher als ein Champagner des Musikfestes die Messe für vierzig Stimmen von Alessandro Striggio, die „Le Concert Spirituel“ unter Hervé Niquet mit unglaublichem Glanz erklingen ließ.
Die wahrhaft erlesenen Interpreten der umliegenden Orgeln von Art Schnitger aus Worpswede, Lüdingworth, Altenbruch, Ganderkesee, Cappel und Groningen und die jeweils dazugehörigen Instrumentalgruppen und Chöre erwiesen sich wie auch schon im vergangenen Jahr als Publikumsrenner: Den Höhepunkt der sieben Orgelkonzerte bildete an den beiden Schnitger-Orgeln in Groningen Harald Vogel. Immer mehr Menschen auch aus dem Umland scheinen zu verstehen und zu genießen, wie bunt und farbenreich diese Musik von Froberger, Frescobaldi, Kerll, Buxtehude, Kuhnau, Praetorius, Scheidemann und vielen anderen ist, wenn man sie mit den richtigen Instrumenten und in der richtigen Stimmung interpretiert.
Neben der Orgelreihe werden beim Musikfest stehen auch andere Konzerte unter einem bestimmten Motto. Das „Musikfest Surprise“ zum Beispiel erlaubt ausgefallene Engagements, die sonst nirgendwo so recht hin passen: Hier hinterließ der italienische Pianist Marino Formenti mit seinem „Torsi“-Programm einen bewegenden Eindruck: Er spielte nur Fragmente in einer anrührenden Dramaturgie, die von den Klavierfragmenten Arnold Schönbergs ausging. Großartig auch „The Suit“ von Peter Brook, jene musiktheatralische Mischform einer Erzählung aus dem Südafrika der Apartheid, in der Brook seine einzigartigen Reduktionen aus Körperzeichen und Musik bewegend zeigte. Und die Bremer Philharmoniker bewiesen auch dem überregionalen Publikum unter der Leitung von Markus Poschner erneut, welch mitreißender Klangkörper da herangewachsen ist, um den 200. Geburtstag von Richard Wagner zu feiern.
Enttäuschend verlief der Liederabend von Christine Schäfer, die Lieder von Johannes Brahms und Richard Strauss recht kühl und routiniert ablieferte. Ernüchterung auch bei dem heiß erwarteten Klavierabend von Rafal Blechacz, Preisträger des Chopin-Wettbewerbes Warschau 2005. Die Chopin-Wiedergaben des jungen Polen waren erwartungsgemäß in Ordnung, wenn auch nicht weltbewegend, aber für Bach und Beethoven fehlte noch so ziemlich alles, was die Großen auszeichnet. Bleibt zu hoffen, dass das noch kommt, oder man macht aus dem 27-Jährigen viel zu früh einen Weltstar.
Ist man bei diesem jungen Mann eher unsicher, was werden wird, so glänzte ein Zwanzigjähriger mit überragender Einfühlung und Klangfarbe: Kit Armstrong, der den fabelhaften Bariton Andreas Wolf begleitete. Interpretatorisch völlig unangemessen war leider Eva Mei, die mit ihren Sängerkollegen weder für die Musik von Gioacchino Rossini noch für die von Luigi Gordigiani einen angemessenen (Salon)Ton fand. Die formidable Wiedergabe von Mozarts „Lucio Silla“ mit den Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski – eine Kooperation mit den Festspielen Salzburg – mit durchweg hinreißenden Sängern machte die Praxis des Musikfestes, ein paar konventionelle Gesten und Gänge um das Orchester herum als „halbszenisch“ zu bezeichnen, erneut zum künstlerischen Problem. Dies war auch der Fall in der bejubelten Abschlussveranstaltung durch die Deutsche Kammerphilharmonie unter der Leitung von Paavo Järvi: arg forciert und hoch gepeitscht der revolutionäre Gattenjubel in Beethovens „Fidelio“, wenn auch im Orchester viele wunderbare Details zu hören waren.