Hauptrubrik
Banner Full-Size

Das Musiktheater und der Kick des Kritikers

Untertitel
Einige Anmerkungen zu einer schwierigen Dreiecksbeziehung &#183
Publikationsdatum
Body

Ein Opernabend besteht aus drei Bauelementen: das erste ist die komplette Aufführung selbst, das zweite wird vom Publikum gebildet, das dritte addiert sich aus der Zahl der anwesen-den Kritiker. Zwischen den Elementen kommt es immer wieder zu Reibungen bis zum Funkenflug. In der Zeitschrift „Oper & Tanz“ der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VdO) feuert deren Mitherausgeber Stefan Meuschel eine kritisch-spöttische Breitseite auf den Musikredakteur der Süddeutschen Zeitung, Reinhard J. Brembeck, ab. Anlass war dessen Kritik zu Glucks „Orphée et Eurydice“-Aufführung in der Bayerischen Staatsoper München. Wir drucken Auszüge von Meuschels Philippika auf Seite 48 ab. Das Thema selbst greift über den aktuellen Vorgang hinaus: Das Verhältnis zwischen den „Elementen“ scheint immer öfter gestört. Was ist?

Man müsste jetzt eine Reihe von Verhaltensmodellen entwickeln, die sich aus einem Opernabend in der Dreiecksbeziehung ergeben könnten. Erstes Beispiel: Die Aufführung, besonders die Inszenierung, präsentiert sich sorgfältig erarbeitet, aber konventionell im Zuschnitt. Folge: Das Publikum ist angetan bis begeistert. Der Opernkritiker findet alles eher öde, langweilt sich und verfasst eine entsprechende Kritik. Tendenz: lustlos geschriebener Verriss oder pointiert-höhnendes Wort-geklingel zum Beweis der eigenen „literarischen“ Brillanz. In der Redaktion sammeln sich entsprechende Protestbriefe aus der Leserschaft. Tenor: der Kritiker sei wohl nur dann zufrieden, wenn ein Regisseur ein Werk auf den Kopf stellt. Einem selbst habe die Aufführung sehr gut gefallen. Einige Leser allerdings amüsieren sich auch vornehmlich nur über das brillant formulierte Wortgeklingel – auch damit muss man rechnen. – Die Operndirektion schweigt in der Regel dazu, und das ist nur klug.

Zweites Beispiel: Vor lauter analytischen Obsessionen des Regie-Teams ist vom bekannten Werk kaum noch etwas zu erkennen, nur die Musik und der Gesang erinnern einen noch daran, dass man in „La Traviata“ oder im „Troubadour“ weilt. Das Publikum versteht nichts mehr, schäumt und ruft Buh! Der Kritiker aber erkennt und genießt die subtile interpretatorische Palimpsest-Forschung auf der Bühne und schreibt eine enthusiastische Rezension. Die Leser, die auch in der Oper waren, begreifen nun auch die Welt nicht mehr, schimpfen schriftlich bis zur Unflätigkeit auf Opernmacher und Kritik und drohen mit Kündigung des Abonnements von Zeitung und Theater gleichzeitig. Die Opernintendanz schweigt auch hier klugerweise, doch die Kündigung des „Blattes“ könnte für den Kritiker womöglich bei der gegenwärtigen Krise der Zeitungen intern gefährlich werden. Nach diesen beiden Schemata verlaufen hauptsächlich die lauten oder auch stummen Diskurse zwischen den drei Parteien.

Dabei wäre alles ganz einfach, wenn einige Gegebenheiten beachtet würden. Es gibt aufregende, intelligente Neu-Inszenierungen einer alten Oper, und es gibt ziemlich dümmliche Neu-Inszenierungen einer alten Oper. Ebenso sieht man traditionelle Darstellungen alter Opern, die eine hohe Qualität auszeichnet, und man sieht traditionelle Darstellungen, die nur noch lieb- und gedankenlos zusammengeschustert sind nach dem Motto: Hauptsache, der Lappen geht hoch. Dass ein Kritiker in solchen Aufführungen nicht den „Kick“ empfängt, den er sich für das Verfassen einer Rezension wünscht, liegt auf der Hand. Er sollte sich aber insofern in der psychischen Gewalt haben, dass er sich bei allem Missvergnügen der eigenen „Déformation professionelle“ vergewissert: Wer alles schon kennt und x-mal gesehen hat, verfällt schon einmal der Langeweile. Nicht minder die Gefahr: Der Kritiker avanciert zum permanent lobpreisenden Guru eines bestimmten Regisseurs, seltener eines Dirigenten, wie überhaupt die Musik samt Sängern gern in den letzten Absatz einer Kritik rutscht, was wiederum die beteiligten Künstler sowie die Stimmfreaks unter den Lesern gegen die Kritik aufbringt. Wenn die wüssten, was für einen Kampf manchmal ein Kritiker in seiner Zeitung gegen das unablässige Vordringen der Event-Redaktion führen muss.

Ausgenommen von den immerwährenden Konflikten zwischen den „Bauelementen“ bleiben vornehmlich Ausgrabungen aus dem tiefsten Opernfundus, weil keiner die Werke überhaupt kennt, und neue Opern, weil es für diese noch keine erstarrte Aufführungstradition geben kann. Der Kriker ist hier genau so „dumm“ wie der unbedarfteste Besucher. Das sei natürlich nur pointierend gesagt. Mit der „Dummheit“ aber ist man bei einem ernsten Problem: Die Oper, vor 400 Jahren in Florenz entstanden aus dem Wunsch einiger Komponisten und kunstsinniger Aristokraten, die griechische Tragödie zu rekonstruieren, hat sich im Verlauf ihrer Geschichte zu einem hochartifiziellen, in Stil, Formen, Ausdruck und Techniken gewaltig mäandernden Kunstgegenstand entwickelt, der nicht allein durch seine emotionale Überwältigung (Alexander Kluges „Kraftwerk der Gefühle“) fasziniert, sondern gleichwertig auch durch die raffinierte, intelligent eingesetzte Künstlichkeit seiner komplexen und komplizierten Strukturen. Das zu durchschauen und zu begreifen, und auf dem Theater umzusetzen, erfordert von Werk zu Werk, von Inszenierung zu Inszenierung, ein großes musikalisches, literarisches und geschichtliches Wissen, große Sensibilität, eine kreative Fantasie, gestalterische Kraft: von Regisseuren, Bühnenbildnern, Musikern, Sängern. Und vom Zuschauer/Zuhörer Einfühlungsvermögen und Neugier. Hierbei sollte sich der Kritiker nicht damit begnügen, ob er nun den „Kick“ empfängt, um eine Rezension verfassen zu können. Nur schreibend herumnölen genügt nicht. Auf ihn kommt es an, wenn dem weniger kundigen Opernbesucher die notwendigen Informationen zu einer vielleicht äußerst komplizierten Interpretation übermittelt werden müssten.

Das gilt besonders dann, wenn die Interpretation der einzelnen Opernaufführung die entsprechende Qualität auszeichnet. Da wären dann die Opernmacher in der Pflicht. Das ziemlich dümmliche Verlangen nach dem „Kick“ ist dabei ebenso kontraproduktiv wie das monotone Einfordern einer nebulösen „Werktreue“.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!