Am 4. August bringt die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Beitrag der Musikwissenschaftlerin Christiane Wiesenfeldt mit der Headline „Internationalen Quellenlexikon der Musik droht Kahlschlag“ (Google-Suche) und „Ein Weltmusikerbe ist bedroht“. Eingeleitet wird der Beitrag so: „Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien plant, dem internationalen Quellenlexikon der Musik die Mittel zu streichen. Das würde eine musikalische Tradition zum Verstummen bringen.“
Das Quellenlexikon der Musik und eine fatale Falschmeldung – eine nmz-recherche
Was exakt in dem Artikel steht, ist nur für Abonnent:innen lesbar, da er hinter einer PayWall der allgemeinen Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. (Eine lesbare Kopie gibt es gleichwohl.)
Danach ging alles sehr schnell: In den sozialen Medien sowie in Zeitungen wie der WELT, auf rechten Internet-Plattformen wie der „Achse des Guten“, in zwei Radio-Interviews vom rbb (mit Balázs Mikusi) und sr2 (mit Arnold Jacobshagen) sowie in den sozialen Netzen und seitens der Fraktion des AfD im Bundestag war das Bundeskulturministerium (kurz: BKM) und vornedran die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne) als Verursacherin des drohenden „Kahlschlags“ ausgemacht. (Siehe unsere Galerie).
Was ist an der Sache dran?
Der Haken an der Sache: Die Sache stimmt nicht. Weder Claudia Roth noch das Ministerium haben einen einzigen Cent der Förderung des RISM gestrichen. Richtig ist vielmehr, dass bis Ende 2025 die Fördermittel des Bundesministeriums für Forschung und Bildung, die an ein Akademienprogramm gingen, aus dem dann das RISM seine Mittel erhielt, auslaufen. Das bestätigte das BKM auf Nachfrage der nmz am 12. August. Wobei nicht das Akademienprogramm selbst ausläuft, sondern offenbar kein neuer Projektantrag gestellt worden ist (Förderungen aus dem Akademienprogramm erhielten 2022 allein 18 musikwissenschaftliche Projekte (wie zu Franz Schubert, Bernd Alois Zimmermann oder Max Reger – siehe die Broschüre „Forschung fürs Notenpult“ von 2022 (pdf)).
„Tatsächlich wurde das ‚Internationale Quellenlexikon der Musik‘ zu keinem Zeitpunkt aus dem Etat der Kulturstaatsministerin gefördert, entsprechende Presseberichte sind nicht zutreffend. Richtig ist, dass dieses Musikquellenlexikon noch bis Ende 2025 mit Mitteln aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird und insofern sind die Kolleginnen und Kollegen dort auch die richtigen Ansprechpartner für Fragen zu dieser Förderung“, teilte uns eine Sprecherin des BKM mit.
Kurz: Was ist das Internationale Quellenlexikon der Musik oder „RISM“?
Das Répertoire International des Sources Musicales (RISM) – Internationale Quellenlexikon der Musik – ist eine internationale, gemeinnützige Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, weltweit vorhandene musikalische Quellen umfassend zu dokumentieren: Musikhandschriften, Notendrucke, Schriften zur Musiktheorie und Libretti, die sich in Bibliotheken, Archiven, Kirchen, Schulen und privaten Sammlungen befinden. Die über 1,5 Millionen Datensätze des RISM können kostenlos über den RISM Catalog und RISM Online durchsucht werden. RISM wurde 1952 in Paris gegründet und ist die größte und einzige weltweite Organisation, die schriftliche musikalische Quellen dokumentiert. RISM weist nach, was vorhanden ist und wo es aufbewahrt wird. [Quelle]
Seit heute haben sich auch seitens des RISM Klaus Pietschmann (Vorstandspräsident des Vereins) und Balázs Mikusi (Leiter der RISM-Zentralredaktion) in einer Stellungnahme dazu geäußert und bestätigen diese Aussage: „Insbesondere wurde Frau Claudia Roth persönlich für die Beendigung der Finanzierung verantwortlich gemacht, was in doppelter Hinsicht unrichtig ist: Weder ist BKM derzeit in die Finanzierung des RISM involviert, sondern sie erfolgt vielmehr im Rahmen einer Ende 2025 regulär auslaufenden Projektfinanzierung innerhalb des Akademienprogramms u.a. aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung; noch hat Frau Roth die Relevanz und Förderungswürdigkeit des RISM jemals explizit verneint.“
Wie geht es weiter?
Gleichwohl gibt es eine Absage des BKM, ab 2026 die Finanzierung zu übernehmen. Als Grund hierfür wird ein „angespannte Haushaltslage“ genannt. In den Worten der Sprecherin: „In diesem Frühjahr wurde seitens der Kulturstaatsministerin auf Arbeitsebene darauf hingewiesen, dass eine Übernahme einer Anschlussförderung durch die Kulturstaatsministerin aufgrund der angespannten Haushaltslage bedauerlicherweise nicht erfolgen kann, zumal bislang noch nicht einmal ein Projektantrag mit Kalkulation vorliegt.“ Etwas anders stellen die Vertreter des RISM die Lage dar: „Hingewiesen wurde dabei auch auf eine in Aussicht gestellte anteilige Finanzierung durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), die nun unter Verweis auf die Haushaltslage als nicht mehr umsetzbar bezeichnet worden sei.“ Ähnlich der FAZ-Artikel: „nun gefährdet die Behörde der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien höchstselbst die lange, in der Behörde schon in der Amtszeit von Monika Grütters vorbereiteten Pläne zur Weiterfinanzierung.“
Für das BKM stellt sich die Situation anders dar: „Es gab in der vergangenen Legislaturperiode, genauer gesagt im Juni 2021, eine Anfrage bei der Kulturstaatsministerin nach einer möglichen Anschlussfinanzierung und zuletzt im Frühjahr 2024 eine Nachfrage dazu. Eine konkrete Finanzierungszusage aus dem Haus der Kulturstaatsministerin hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben. In diesem Frühjahr wurde seitens der Kulturstaatsministerin auf Arbeitsebene darauf hingewiesen, dass eine Übernahme einer Anschlussförderung durch die Kulturstaatsministerin aufgrund der angespannten Haushaltslage bedauerlicherweise nicht erfolgen kann, zumal bislang noch nicht einmal ein Projektantrag mit Kalkulation vorliegt. Erster Ansprechpartner wäre zudem das Bundesministerium für Bildung und Forschung, welches das Musikquellenlexikon auch bisher fördert.“
Es bleiben Fragen …
Erstens: Dass das RISM ein Anschlussfinanzierung benötigt, steht außer Frage. Auf die Nachfrage, wie hoch der Bedarf sei, hat man noch nicht reagiert. Auch ist deshalb nicht klar, in welcher Höhe welche Parteien an der Gesamtfinanzierung beteiligt sind. Der FAZ-Artikel von Christiane Wiesenfeldt erwähnt eine Summe von ca. 0,5 Millionen EUR. Laut RISM sei man im Gespräch, eine Bund-Länderfinanzierung auf die Beine zu stellen. Danach würden sich die Länder und der Bund den nötigen Beitrag teilen. Gespräche dazu seinen auf Landesebene erfolgreich und die Vertreter des RISM erwähnen „Zusagen einer anteiligen Finanzierung der Länder Sachsen, Bayern und Rheinland-Pfalz – unter dem Vorbehalt der Beteiligung des Bundes …“ Das ist schon mal eine Perspektive, zumal diese offenlässt, welches Ministerium des Bundes den anderen Teil tragen könnte. Natürlich bieten sich die beiden FDP-geführten Bundesministerien für Forschung und Bildung (welches auch bislang für die Finanzierung gesorgt hat) und das Ministerium für Digitales und Verkehr an – da aktuell offenbar besonders Digitalisierungsprojekte im Zentrum der Arbeit des RISM stehen.
UPDATE: Mittlerweile liegt sehr wohl eine Antwort zum Finanzierungsbedarf vor. Darin heißt es: „Das RISM wurde 2023 mit insgesamt 1.050.000 Euro im Rahmen des Akademienprogramms gefördert (jeweils etwa zur Hälfte die Zentralredaktion und die beiden Arbeitsstellen). Informationen über dieses Programm liegen Ihnen sicherlich vor, da sie leicht zugänglich sind über https://www.akademienunion.de/forschung/akademienprogramm. Den Kostenbedarf für die neue Struktur veranschlagen wir mit knapp 925.000 Euro p.a.“
Zweitens: Ob das BKM wieder mit in das Boot steigt, nachdem es mit Falschmeldungen überzogen worden ist, die ihren Ausgang in dem FAZ-Artikel der Musikwissenschaftlerin genommen haben, ist eine weitere Frage. Politik sollte über Befindlichkeiten stehen. Theoretisch ist auch diese Tür insofern offen, als die Haushaltslage für 2026 nur eine Prognose darstellt. Auch hier wäre mehr drin, wenn ein weiteres von der FDP geführtes Ministerium, das der Finanzen, seine Schuldenpolitik überdenken würde.
Eile ist geboten. Denn Ende des kommenden Jahres finden spätestens wieder Wahlen zum Deutschen Bundestag statt. In welcher Konstellation dann die Ministerien und deren Arbeit fortgesetzt wird, steht damit gewissermaßen in den Sternen. Eine Zusage, das RISM vor seinem Ende zu bewahren, gibt es bislang ausdrücklich nur von Seiten der AfD – die vorschlägt, „den Rotstift bei den vielen fragwürdigen zeitgeistigen Projekten im Kulturbereich, seien sie nun divers, geschlechtergerecht oder postkolonialistisch motiviert, anzusetzen.“
Drittens: Warum ist es nicht möglich, für dieses Projekt, das weltweit agiert, eine internationale Finanzierung auf die Beine zu stellen, seitens der UNESCO, seitens der Verwertungsgesellschaften (bislang ist ja auch schon die VG Musikedition im Boot) und seitens der Verlage und Musiker:innen und Musikwissenschaftler:innen weltweit. Diese sind es schließlich auch, die an der Arbeit des RISM partizipieren.
Viertens: Eine weitere Frage betrifft den (Online-)Journalismus selbst. Wer den Wiesenfeldt-Artikel bei FAZ und bei MSN vergleicht, wird bemerken, dass die Titel beide grammatikalisch falsch sind „Internationalen [sic!] Musiklexikon droht Kahlschlag“ – noch interessanter ist aber, dass im MSN-Artikel der reißerische Vorspann, der für die meisten Missverständnisse verantwortlich sein dürfte, fehlt. So wird er mangels anderer Informationen der Autorin zugerechnet werden müssen. Was mir aber zweifelhaft scheint. Warum also die FAZ-Redaktion diesen Vorspann schreibt oder nicht wenigstens streicht, wird deren Geheimnis bleiben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt … Aber ebenso problematisch ist es, dass dieser offensichtlich falsche Informationen streuende Vorspann nicht längst aus dem Netz genommen worden ist. Warum lässt man die Sache einfach laufen? Zumal das der Text ist, der ohne Zugangsschwierigkeiten lesbar ist – und damit vorrangig wahrgenommen werden dürfte.
Ergänzungen – Transparenzkorrektur
- Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags lag eine Mail vor, die leider übersehen worden ist und die den Finanzierungsbedarf des RISM beziffert (siehe Update oben). Danach wären es künftig 925.000 EUR im Jahr („jeweils etwa zur Hälfte die Zentralredaktion und die beiden Arbeitsstellen“).
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