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Mein neuer Chef? Lieber nicht. Fotoreste: Bundestag
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Das Schä-Üble-Trauma: Wie „Das Letzte“ für mich einmal das Allerletzte wurde

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Angeblich war unser Autor – nach einer gründlichen Verhaltens-Modifikation im ehemaligen Ahrtaler Regierungs-Atombunker, dem Wolfgang- Schäuble-Haus, einige Zeit für das Bundesinnenministerium als „Embedded Journalist“ tätig. Wir veröffentlichen nachfolgend seinen vermutlich letzten Beitrag trotz starker Bedenken: Es handelt sich um einen reichlich verwirrten Text, der aber als Dokument journalistischen Niedergangs möglicherweise doch von gewissem zeitgeschichtlichen Interesse sein mag:

Können Sie sich vorstellen, wie mir zumute ist? Fast drei Jahre lang habe ich gedient. Nicht wie ein Minister mit Entourage, allen erdenklichen Vergünstigungen und Pensions- Anspruch. Aus dem Schatten ganz vorsichtig ins Licht – war meine Maxime. Aus dem Stillen, dem Verborgenen heraus habe ich gekämpft für die politischen Ziele meines Dienstherren. Treu, zuverlässig, wirksam. Sicherheit und Ordnung waren meine Leitplanken. Ich habe keine Finte, keine angemessene Korrektur der Realität gescheut, um Anarchisten, Terroristen, Kommunisten oder Kultur-Spinnern das Leben so schwer wie möglich zu machen. Ich habe die gesammelte Potenz meiner spitzen Feder der Sicherung unseres Gemeinwohles in Schäubleschem Sinne zu- und untergeordnet.

Ja, ich habe gefälscht, gelogen und manipuliert – aber immer im Dienst der guten Sache, zum Segen der Bürger unseres Landes. Und jetzt das. Was für ein Tohuwabohu, welch Chaos, und alles ohne Rücksprache mit mir: Diese Wahlergebnisse und ihre personellen Konsequenzen sind doch ein einziges Desaster. Ausgerechnet das Finanzministerium übernimmt mein Boss. Wo er doch genau weiß, dass ich von diesem Terrain null Ahnung habe. Ist er überhaupt noch mein Chef? Oder wurde ich vielleicht schon von Thomas de Maizière übernommen. So kann man doch mit Kultur-Journalisten nicht umspringen.

Wenn der de Maizière wie sein Namensvetter Lothar wenigstens eine gewisse DDR-Sozialisation gehabt hätte, wäre er mit optimalen Methoden der Bürgerkontrolle einigermaßen vertraut. So aber... Das ist einfach alles Murks. Und dann die Elendsschlappe der SPD: Die Riege meiner Zielpersonen im Kulturausschuss: wenigstens halbiert. Monika Griefahn ist komplett weg vom Fenster. Und auf das Gerücht, Ulla Schmidt, Frau Zypries und Peer Steinbrück wollten im warmen Mäntelchen dieses Ausschusses überwintern, gebe ich gar nix. FDP-Otto und Mundharmonika- Burgbacher verdrücken sich ins Wirtschaftsministerium. Steffen Kampeter hüpft als Staatssekretär die Karriereleiter hoch ins Finanzressort – und hat am Ende wahrscheinlich gar keine Zeit mehr, sich ordentlich um den Kulturrat zu kümmern.

Es ist zum Heulen. Soll ich vielleicht künftig mit Siegmund Ehrmann im Wechselsprech Trakel- Gedichte lesen? Mit Monika Grütters auf eigene Kosten bei Borchards Jakobsmuscheln schlabbern? Mit Wolfgang Thierse über Hundsnasen- Fledermäuse diskutieren? Nein, das ist kein Leben mehr. Ich kündige.

Gottlob bewahrheitet sich mal wieder der gute alte Hölderlin: Wo die Not am größten, ist das Rettende nah. Ich kultiviere meine latente Neigung zum Boulevard-Journalismus und habe gerade auch schon eine erste Lehrstunde absolviert. Im Rahmen einer Geburtstagsfete des Opernchor-Sänger-Verbandes kam ich in Kontakt mit einem extrem durchtriebenen, super erfolgreichen Agentur-Kollegen. Eigentlich sollte ich ja checken, inwieweit die Chor- Szene von homoerotischen Tendenzen vereinnahmt wird – sowieso eine glatte Null-Nummer. Stattdessen briefte mich der News-Crack im Destillieren geiler Storys. Da hatte im Rahmen einer ansonsten grunzlangweiligen Talkrunde (der Moderator: eine Katastrophe) Katharina Wagner im äußerst weitschweifigen Kontext kurz erläutert, dass sie – um die Sängerinnen und Sänger vor direktem Kontakt mit Bühnenblut zu bewahren – schon mal Latex-Unterwäsche im Erotik-Shop gekauft hätte. Prompt melden Bild-Zeitung und die „Welt“ am nächsten Tag, dass die Wagner- Urenkelin Kundin bei Beate Uhse sei. Was für ein Coup! Da muss man erst mal drauf kommen – und das ist dann schon ein Spitzenhonorar wert.

Nicht faul prüfe ich eben mal die aktuellen News-Ticker, lese, dass Bundestagspräsident Norbert Lammert ARD und ZDF die Leviten gelesen hätte. Daraus schließe ich messerscharf die bevorstehende Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die evangelische Kirche wählt sich mit Margot Käßmann gerade eine Frau an die Spitze – war Jesus weiblich? Uraufführung des neuen Michael-Jackson- Filmes in China: Ist Obama Taiwanese? Nachrichtenredaktion kann so kreativ und einträglich sein. Ich muss mich kaum umstellen – und schwupps: schon bin ich ein geborenes Mitglied der Springer-Familie.

Aus dem neuen Amt grüßt Sie herzlich: Ihr Theo Geißler

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