„Fette Seele“ klingt gut. So jung und poppig. Was hinter dem Titel dieses neuen Musiktheaterstücks und unter seinem Klangkostüm steckt, ist freilich ein frühbarockes Lehrstück: Emilio de’ Cavalieris „Rappresentazione di anima e di corpo“ von 1600, eine Mischung aus spätmittelalterlichem Mysterienspiel und zukünftiger Oper.
Der österreichische Komponist Klaus Lang hat sich Cavalieris Stück vorgeknöpft und es mit neuen Klängen beackert. Uraufführung war im Juli dieses Jahres in Schwäbisch Gmünd im Rahmen des Festivals Europäische Kirchenmusik. Jetzt war die Produktion – eine Kooperation der Institute für Alte und für Neue Musik der Stuttgarter Musikhochschule – zweimal in der voll besetzten Leonhardskirche zu sehen.
Cavalieris Personen sind keine Menschen, sondern allegorische Figuren, die abstrakte Begriffe versinnbildlichen: Seele und Körper, Zeit und Welt, Verstand und Lust, Schutzengel und guter Rat. Sie alle streiten sich theologisch argumentierend im damals noch neuen Rezitativstil, in volkstümlichen Liedern, Madrigalen und Chören über weltliche Lust und seliges Jenseits. Natürlich ist das Himmelreich Ziel allen menschlichen Strebens.
Was will uns solcherart Kunst und Botschaft heute sagen? Klaus Lang fand eine einfache Antwort: Nichts! Wo kein Gott, da auch kein Himmel. Und die Alte Musik? Ach, decken wir sie einfach zu, immer mehr und immer dicker. Schön sind das Intro und sein summender Einklang, die langsame Auffüllung des Klangs bis zum schwebenden, mikrotonal eingeschlackten Dur. Aber der Hörsog verliert sich schon im überlangen Zwischenspiel, das purem Cavalieri folgt. Langs quallige Klänge wälzen dann immer dichter über Cavalieris klare, durchsichtige Strukturen und ersaufen sie, bis das Frühbarocke nur noch als sehr ferne Stimme erahnbar ist. Man wird eingelullt, die Originalkomposition eingeweicht wie Zwieback in süßer Milch: durch mikrotonale Umspülungen, Flötengezwitscher, Dauer-Arpeggieren der Streicher. Da haben die Ohren nichts mehr zu kauen – auch wenn das Orchester des Studios für Alte Musik seine Sache gut macht unter der musikalischen Leitung von Johannes Knecht.
Bewundernswert ist außerdem, wie es den zehn Solisten auf der Bühne, allesamt Studierende des Stuttgarter Studios für Stimmkunst und Neues Musiktheater, gelingt, gegen die Kontrastlosigkeit dieser Musik anzusingen und anzuspielen. Besonders Conrad Schmitz überzeugt als Zeit, Rat und Welt mit warmer, klangvoller Baritonstimme.
Der Regisseur Alexander Charim versteht die Allegorien als junge Leute von heute, bekleidet mit rosa Leggings, Unterhemd oder gelbem Anzug. Aber er verpasst ihnen nicht genügend Konturen, so dass immer unklarer wird, wer da jetzt wen schlägt oder liebt. In einem weißen, sterilen Wartesaal (Bühne: Ivan Bazak) harren die traurigen Figuren der Erlösung, die niemals kommen wird – eine allzu deutliche Überführung der Abstraktion ins Beliebige.