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Lud zu friedlicher Musik ein: die Hochschule für Künste Bremen. Foto: HfK
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Den Frieden komponieren? Ein wissenschaftlich-praktisches Symposium in Bremen

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Seit es Kunst gibt, seit es Musik gibt, gibt es auch die Kommentierung des Tagesgeschehens, der Politik. Sei es in Trauer- und Jubelritualen als Auftragswerke in früheren Jahrhunderten, sei es als persönlicher Kommentar der Künstler ab dem 19. Jahrhundert. Wie eine Musik des Friedens klingen kann, ob und wie sie existent sein könnte ohne eindeutige textliche Grundlage, ob und wie sie wirken kann, das wurde drei Tage an der Hochschule für Künste erörtert: in sieben Vorträgen und drei Konzerten.

Organisiert hatte die intensiven Tage die Professorin für Komposition Younghi Pagh-Paan und ihr Atelier Neue Musik in Zusammenarbeit mit dem Institut für interkulturelle und internationale Studien an der Universität, bzw. dessen Leiter Dieter Senghaas. Diese Verbindung dürfte einmalig sein: denn der namhafte Bremer Friedensforscher ist ein derartiger Musikfan, dass er schon mehrere Bücher über diese Frage herausgeben hat. Sie heißen zum Beispiel „Vom hörbaren Frieden“ und „Klänge des Friedens“. Und das Politikverständnis eines Komponisten wie Klaus Huber, um nur einen und in diesem Fall den berühmtesten der Komponisten des Festivals zu nennen, geht weit über den rein emotionalen Wunsch nach Frieden hinaus. Und auch Younghi Pagh-Paan selbst hat in ihren Werken reagiert auf verschiedene Verbrechen der südkoreanischen Militärdiktatur.

So sorgten die Planer des Symposions – Dieter Senghaas und der Bremer Musikschriftsteller Hartmut Lück – dafür, dass die Fragen auf der theoretischen Ebene umfassend gestellt und abgedeckt wurden, ohne dass die Illusion aufkommen konnte, auf die Frage „Den Frieden komponieren?“ – so der doppeldeutige Titel des Festivals – könne es eine Antwort geben. „Der Friede“ kann natürlich nicht komponiert werden, umso wichtiger ist die damit zusammenhängende Kernfrage, was künstlerische Ästhetik mit Gesellschaft zu tun hat – schon immer hatte – und ob sie etwas bewirken und verändern kann: darum kreiste die ertragreiche Podiumsdiskussion.

In seinem politikwissenschaftlichen Eingangsreferat stellte Senghaas vier Thesen des Religionsphilosophen Bernhard Welte in den Mittelpunkt: voller Friede sei nicht möglich, das widerspräche dem Wesen und der Erfahrung des Menschen. Auf die Idee dieses Friedens zu verzichten, sei aus demselben Grund aber auch nicht möglich. Deswegen werde es immer begrenzte Gestalten des Friedens geben und alle diese Friedensgestalten seien Annäherungen, nicht mehr.

Der Hinweis auf den deutschen Komponisten Georg Muffat (1653–1704), der sich mit seinen „Concerti im vermischten Stil“ – nämlich dem deutschen, dem italienischen und dem französischen – als wahrer Kosmopolit erwies, leitete über zu den umfangreichen musikalischen Aspekten: Die Referenten Hartmut Lück, Frank Schneider, Walter Wolfgang Sparrer, Lydia Jeschke und Gisela Nauck brachten viele aufschlussreiche Beispiele aus Geschichte und Gegenwart bis hin zu Stücken, die sich einer sozusagen „demokratischen“ Produktionsweise verdanken und gar keine semantisch bedeutsamen „Werke“ mehr sein wollen. Die Tatsache, dass es in früherer Zeit weitgehend um Auftragsmusik von Kirche und Staat ging, sich seit dem vorletzten Jahrhundert aber zunehmend eine Verantwortung der KünstlerInnen für den Frieden der Menschen entwickelt hat, wurde in vielen Beispielen deutlich.

Auch und vor allem in den gut besuchten, interpretatorisch durchgehend hervorragenden Konzerten: so im Eröffnungskonzert des Posaunisten Patrick Crossland, der die 1962 gehaltene Rede des Generals Mac Arthur über Duty, Honour and Country auf der Posaune gesprochen in die Absurdität überführte. John Palmers eindrucksvolles mit einem Röcheln endendes „Transfiguration“ für Posaune, Live-Elektronik und Tomband bezieht sich auf den Balkankrieg, Klaus Hubers überzartes „Senfkorn“ legt Texte von Ernesto Cardenal und Jesaja zugrunde und sein „Die Seele muss vom Reittier steigen“ zeigt ein erschütterndes Ergebnis seiner tiefen Beschäftigung mit der arabischen Kultur nach dem Golfkrieg 1991. Auch Isang Yuns „Teile dich Nacht“ nach Gedichten von Nelly Sachs ist hier zu nennen und das auf melodischen und rhythmischen Indiomaterialien basierende „Polifonica-Monodia-Ritmica“ von Luigi Nono, wie Huber ein Komponist, der ohne politische Stellungnahme überhaupt nicht komponieren kann.

Unterschiedliche Betroffenheiten und selbständige Stile zeigten von der Kompositionsklasse dann die Rumänin Rucsandra Popescu mit einem „Pater noster“, der Sizilianer Calogero Scanio mit einem Stück über die Toten nach einem Gedicht von Salvatore quasimodo, der Palästinenser Samir Odeh-Tamimi (der in Bremen studiert hat) mit seinem den Müttern Palestinas gewidmeten „Ahinnú“ für drei Blockflöten mit Schlaginstrumenten und der Deutsche Andreas Gürsching (der Dekan des Fachbereichs) mit „die haben müden Tod“ nach Texten aus dem 30jährigen Krieg. Diese Werke wurden ergänzt mit Alter Musik.
Das ganze Festival war eine auf- und anregende Horizonterweiterung, bei der man sich nur fragte: wo waren die StudentInnen – (die anwesende Komponistenklasse ausgenommen)? Darüber hinaus war das Publikum zahlreich gekommen, was von der großen Ausstrahlung spricht, die das Atelier Neue Musik inzwischen in Bremen erreicht hat. Denn noch immer gilt, was Hanns Eisler einst sagte: „Wer nur etwas von Musik versteht, der versteht auch von der nichts“.

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