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In den reißenden Gewässern des Internet: Mit der Digitalen Gesellschaft verändert sich Politik

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Es ist nicht zu übersehen, dass die Politik gegenwärtig den Druck, der über und durch die Präsenz des Internet als Kommunikations-und Aktionsplattform entsteht, nur sehr schwer in den Griff bekommt. Das Netz wirkt immer mehr wie ein losgelassener, geradezu wild wuchernder Organismus und dessen Selbstorganisation so zufällig, anarchisch und gleichzeitig so wirtschaftlich konsequent wie keine politische Bewegung zuvor. [aus nmz 2/2012]

Die Revolutionen in den arabischen Ländern im letzten Jahr wären ohne die machtvolle Ausbreitung der Kommunikationsmedien in den Sozialen Netzen jenseits staatlicher Gewalt nur schwer vorstellbar, was nicht heißt, dass sie ohne diese nicht stattgefunden hätten. Die Dinge wurden nicht im Internet entschieden, aber ohne das Internet wäre die übernationale Präsenz kaum zu erreichen gewesen. An repressiven Staaten wie zum Beispiel China und Weißrussland sieht man sehr deutlich, mit welcher Vehemenz die politische Macht versucht, dieses Ungetüm Internet zu begrenzen; das gelingt nur mit äußerster Härte und ob es endlich er-folgreich bleibt, muss bezweifelt werden.

Wirtschaft und Politik reagieren regelmäßig zu langsam für die Welt des Internet. Man konnte dies am gesamten Prozess der Verbreitung von Musik über dieses Medium sehen. Das Netz stellt Aufgaben, die Antworten kleckern hinterher. Beispielsweise hat vor über 10 Jahren die Tauschbörse Napster den kommerziellen Musikmarkt ordentlich durchgeschüttelt. Die Tonträgerindustrie brach im CD-Geschäft ein. Erst dann entwickelten sich Geschäftsmodelle wie Apples iTunes-Store, die eine Alternative entgegensetzten. Aber es war nicht genuin die Musikindustrie. Heute haben wir in Deutschland über 30 Online-Shops für den Erwerb digitaler musikalischer Güter. Das Problem ist ja nicht nur, dass man die Netznutzer wieder ins Boot holen muss auf dem Niveau, das Computer-Freaks entwickelten, man muss darüber hinaus ja auch etwas bieten, das diese Alternativen als besser dastehen lässt. Und unterdessen entwickelt sich das Netz wieder weiter.

Seit über 10 Jahren ist daher auch die Reform des Urheberrechts zu einem Dauerbrenner geworden. Vor wenigen Jahren arbeitete sich die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ unter anderem auch daran ab. Seit dieser Legislaturperiode tut dies eine Enquete-Kommission mit dem bezeichnenden Namen „Internet und Digitale Gesellschaft“. Die Politik hat das Thema endlich als unumgehbares Feld gesellschaftlichen Handlungsbedarfs entdeckt. Sie muss sich damit beschäftigen und gleichzeitig muss sie daran scheitern. Im „Hase-und Igel-Spiel“ ist sie der Hase, der immer zu spät kommt. Im Zwischenbericht der Kommission ist auch das Urheberrecht thematisiert worden. Es gibt Handlungsempfehlungen. Doch die taugen bei dieser Enquete-Kommission fast nichts. Anders als bei der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ gibt es zu fast jedem verfassten Satz eine Reihe von Sondervoten der Kommissionsmitglieder. Man ist sich nicht einig. Zu unterschiedlich sind die Einschätzungen. Ein Papiertiger wurde erzeugt, der inhaltlich leer bleibt und bleiben muss.

Der Unternehmensberater und Experimentalpsychologe Peter Kruse hat vor der Kommission in nur dreieinhalb Minuten dargestellt, was gerade passiert: Man habe über das Internet erstens die Vernetzungsdichte extrem erhöht, zweitens mit den Mitteln, die das sogenannte Web 2.0 bereitstellt, die Spontanaktivität der Nutzer erweitert. Drittens sind mit neuen Techniken wie bei Twitter oder Facebook Möglichkeiten hinzugekommen, um kreisende Erregungen zu erzeugen. Meldungen können sich wie in einem Schneeballeffekt zu Lawinen ausweiten. Kruse meint, dass so ein System die Tendenz entwickeln kann, sich explosionsartig hochzuschaukeln. Wann, wo und wie das jeweils explosionsartig passiert, lässt sich nicht vorhersagen. Mit anderen Worten: über das Netz kann man mächtig werden, wenn alles irgendwie zusammenfindet. „Menschen schließen sich zu Bewegungen zusammen“, sagt Kruse, so auch innerhalb kürzester Zeit über das Bad Blog Of Musick. Nachdem Moritz Eggert dort den Fall von Abmahnungen gegen Künstler, die auf ihrer Website Pressereaktionen auf ihre Tätigkeiten publizierten, publik machte, ging ein Lauffeuer der Empörung durch Facebook.

Kruse fordert von der Politik einen empathischen Blick ein, sie muss schauen, was in diesen Systemen resonanzfähig ist. Hingegen sei der Versuch, diese Systeme von außen und oben steuern zu wollen, einigermaßen sinnlos. Nach Kruse sind wir längst auf dem Weg von einer Anbieter- zu einer Nachfrager-Gesellschaft. Die Nutzer sind die Nachfrager, die Anbieter können nur noch die Stimmungen aufnehmen aber nicht allein erzeugen. Am Beispiel der Öffentlichkeitsarbeit der GEMA kann man sehen, dass man etwas davon begriffen hat. Die GEMA stellt sich längst nicht mehr nur als ein hermetischer Block der Macht dar, der sich über seine Macht in Sachen Urhebervergütung durchsetzt. Über die Resonanzkanäle in den Netzen hört man dort jetzt viel genauer zu und nimmt Kritik ernst, auch und gerade wenn sie nicht allein von den etablierten Medien kommt. Die GEMA verwendet mittlerweile Blogs, Facebook-und Twitteraccounts, um wahrgenommen zu werden und um wahrzunehmen.

Ähnlich muss auch Politik agieren. Ähnlich muss auch die Wirtschaft agieren, sonst wird sich ihr Markt gegebenenfalls an anderer Stelle neu bilden. Mit einer Videoansprache der Kanzlerin ist es natürlich nicht getan. Und mit einer Enquete-Kommission auch nicht, wenn dort wieder nur die Experten, die wirtschaftlichen und politischen Lobbyisten paktieren. Sie versuchen letztlich nur, ihr altes Netz ebenso stabil zu halten, wie ehemals den CD-Markt.

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