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„Chopin in der Oper“: Szenenfoto aus Jan Schmidt-Garres Film. Foto: Pars Media
„Chopin in der Oper“: Szenenfoto aus Jan Schmidt-Garres Film. Foto: Pars Media
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Der Blick auf den Klang – zur Tagung „The Look of the Sound“ in Bremen

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„Was nutzt es, wenn es musikologisch richtig ist und der Film ist Scheiße?“ fragte kraftvoll der Regisseur Uli Aumüller in der Tagung „The Look of the Sound“ in Bremen, die die Galeristin Katrin Rabus nun zum sechsten Mal ausrichtet. Vier Tage lang wurden Filme unterschiedlichster Art gezeigt, vier Tage lang wurde mit den zehn anwesenden Regisseuren, Redakteuren, Musikwissenschaftlern diskutiert und produktiv gestritten über das, was der Film im Unterschied zur Musik kann und was nicht, vier Tage lang lockerten Live-Konzerte die Atmosphäre auf.

Als Rabus vor sechs Jahren sich zum ersten Mal an das Thema wagte, ging es ihr um die Frage nach einer eigenen Kunstform des Films, keinesfalls war mit Musikfilm ein Opern- oder Konzertmitschnitt und es war auch nicht Filmmusik gemeint Denn auch die Vorgabe „Dokumentation“ verlangt eine andere künstlerische Lösung als Schwenken von Kameras im Orchester.

Immer wieder war es ganz an verschiedenen Filmen faszinierend zu sehen, wie aus einer Dokumentation ein künstlerisch eigenständiger Film wird, wie ein künstlerischer Film dokumentarische Elemente enthält und wie der Blick auf das Bild das Hören beeinflußt, obschon, so der niederländische Regisseur Frank Scheffer, man sich nicht der Illusion hingeben darf, die Musik erreichen zu können: „Film und Musik haben nichts miteinander zu tun“. Natürlich sind seine Mitschnitte von Statements von John Cage beispielsweise einfach hinreißend – man stelle sich vor, wir hätten so etwas von Mozart. Oder wie Karlheinz Stockhausen sich über die technischen Vorbereitungen seines – zunächst geträumten - Helikopter-Streichquarttes – alle vier Spieler des Arditti-Quartettes saßen in einem anderen Helikopter – aufregt. Scheffers Film „Conducting Mahler“: kein Blick ins Orchester, sondern im Körper und im Gesicht des Dirigenten Riccardo Chailly spielte sich die Musik ab.

Dann Edna Politi, die libanesische Regisseurin, die 1978 einen großen Film über das Streichquartett „Fragmente, Stille – an Diotima“ von Luigi Nono gedreht hat. Sie bestand immer wieder darauf, daß es um die künstlerische Qualität des Films geht, nicht um die Musik. Trotzdem hat sie genau dadurch – mit Statements zu Nono von Klaus Zehelein, mit den Proben der Musiker, mit den Wellen von Venedig, mit der Änderung der Räume – die Musik erreicht und sie auch interpretiert (über die romantisierende Richtung allerdings kann man streiten).

Jan Schmidt Garre machte einen herrlichen Film über eine musikwissenschaftliche These. „Chopin in der Oper“ erzählt von der überzeugenden Idee, dass die unendliche Gesanglichkeit und die Verzierungen seiner Klaviermusik eine Nachahmung des Belcanto-Gesanges sei und versammelte dazu eine kleine Gruppe von Künstlern und Wissenschaftlern an dem Ort Nohans, wo Chopins Freundin George Sand wohnte. Fred von der Kooij erhielt 1994 in dem Film „Casa Scelsi“ mit surrealistischen Mitteln in einer zerbröckelnden Ruine das Geheimnis um den italienschen Komponisten Giacinto Scelsi, von dem niemand ein Bild machen durfte und der sich nur ein Medium nannte.

Klaus Voswinckel zeigte zwei sehr schöne Porträtfilme über Jörg Widmann und Peter Ruzicka, Claus Wischmann mit „Kinshasa Symphony“ einen ergreifenden Film über eine dortige – im Kongo - Laienaufführung der neunten Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Barrie Gavin zeigte unter dem simplen Titel „Cello“ in sechs verschiedenen Werken von Bach bis Xenakis immer nur Hände des Spielers und Bogen, eine faszinierende Choreographie wilder Bewegungen und Farben. Und manchmal mal das Gesicht des Spielers: es war Rohan de Saram, jahreslanges Mitglied des inzwischen legendären Arditti-Quartettes und einer der größten Interpreten zeitgenössischer Musik. Nicht nur, daß Saram in jedem zweiten Film präsent war, er spielte „Kottos“ von Jannis Xenakis live und er war vier Tage lang bescheiden und unauffällig immer gesprächsbereit anwesend.

Weitere Themen: die neuen Rechtsfragen, die mit dem Internet auftreten, der Erfolgsdruck und die Einschaltquotendenken, die Formate für klassische Neue Musik verhindern, neue Vermittlungs- und Educationsformen von zeitgenössischer Musik.

Die mit Spannung erwartete Uraufführung einer erst 2006 wiedergefundenen kleinen Oper „Soldatenliebschaft“ des 12jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy war leider einfach nur ein schlechter Film, der die Lebens- und Schaffensgeschichte permanent in die Musik einblendete. Und die Aufführung des Puppentheaters in Altenburg war auch nicht gerade eine Genietat. Musikgeschichtlich allerdings natürlich ein wirkliches Juwel: die Hochbegabung des Kindes Felix orientiert sich an Mozart. Das Fazit ist eine Vorfreude auf hoffentlich das nächste Festival, weil bei so viel Beschäftigung eine eigene Gattung erkennbar wird, die jegliches Musikerlebnis vertieft.

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