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Bberührende Ernsthaftigkeit: Hans Krásas „Brundibár“ an der Berliner Schaubühne. Foto: Heiko Schäfer
Bberührende Ernsthaftigkeit: Hans Krásas „Brundibár“ an der Berliner Schaubühne. Foto: Heiko Schäfer
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Der böse Mann mit dem Leierkasten: Hans Krásas Kinderoper „Brundibár“ an der Berliner Schaubühne

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An der Berliner Schaubühne hat die Jugendtheatergruppe „Die Zwiefachen“ Hans Krásas Kinderoper „Brundibár“ ins Heute geholt: mit einer Produktion, die das Stück nachdrücklich hinterfragt und spielerisch dekonstruiert.

Das Mädchen Aninka und ihr kleiner Bruder Pepíček haben eine kranke Mutter, für die sie dringend Milch brauchen. Doch sie sind bettelarm. Auf dem Markt will ihnen kein Händler etwas schenken; und als sie versuchen, mit Singen Geld zu verdienen, werden sie vom bösen Leierkastenmann Brundibár verscheucht, der verhindern will, dass die Konkurrenz ihm das Geschäft verdirbt. Mit Hilfe der Tiere und anderer Kinder wird es Aninka und Pepíček schließlich gelingen, Brundibár zu verjagen.

Das ist, in Kürze, die Handlung der tschechischen Kinderoper „Brundibár“, die der jüdische Komponist Hans Krása 1938 schrieb. Der böse Leierkastenmann wurde vom damaligen Publikum der Oper als Stellvertretersymbol für die Schergen der SS oder auch für Hitler selbst gesehen. Die Uraufführung fand heimlich in einem Prager Kinderheim statt, anschließend wurde die Partitur ins Ghetto Theresienstadt geschmuggelt, wo das Stück eine einzigartige Erfolgsgeschichte erlebte. Das führte dazu, dass, bittere Ironie der Geschichte, es sogar von den Nazis instrumentalisiert wurde. Als Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes Theresienstadt besuchten, gehörte zu dem Potemkinschen Dorf, das man den Ausländern zeigte, auch eine Generalprobe von „Brundibár“. Auch in dem Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ sieht man eine Aufführung der Oper.

Schon dieser verdrehte Beginn seiner Rezeptionsgeschichte zeigt, dass „Brundibár“ es geradezu herausfordert, auf mehreren Ebenen hinterfragt zu werden. In Berlin hat die Regisseurin Uta Plate nun mit der Jugendtheatergruppe der Schaubühne „Die Zwiefachen“ und Kindern aus dem Chor der Deutschen Oper eine Version erarbeitet, in der das Stück gründlich auseinandergenommen und auf seine Relevanz für unser schuldkomplexbeladenes Geschichtsbewusstsein abgeklopft wird. Dazu ist die Oper als solche gründlich verschlankt – man könnte fast sagen: geplündert – worden.

Die Gesangspartien nehmen den weitaus kleineren Teil des Abends ein, der Instrumentalpart wird ausschließlich von Klavier und Akkordeon bestritten. Im Vordergrund steht eine sehr heutige Reflexionsebene, die von den jugendlichen Akteuren der „Zwiefachen“ gleich zu Beginn auf den Punkt gebracht wird. Da sitzen David, Jacki, Noah, Trang, Astrid, Annika und Ikra, und unterhalten sich über ihre Familien. Was die Großeltern in der Nazizeit gemacht haben, wer was gewusst haben kann und ob man vielleicht Täter in der Familie hatte? Was hätte man selbst getan?

Das hat eine berührende Ernsthaftigkeit, die vergessen macht, wie einstudiert manche Dialoge noch klingen. Auch dass die Fragen nach Generationen immer noch dieselben sind, muss einfach so sein. Manche Fragen aber ändern sich auch. Denn die Lebenswelt der heutigen Kinder kann mit der Welt von Aninka und Pepíček kaum noch zur Deckung gebracht werden. So wird in einer Szene diskutiert, was es heutzutage bedeutet, arm zu sein. Als Aninka und Pepíček auf dem Marktplatz ihr Liedchen singen, geht diese Szene auf der heutigen Ebene in ein musikalisches Medley der „greatest hits“ über, zu dem nacheinander alle Darsteller etwas beisteuern. In einer anderen Spielszene wird bürgerschaftlich engagiertes Handeln eingefordert, und abschließend auch noch das dumpfe Nazitum der rechten Jugendszene karikiert.

Aber wenn man gerade denkt, jetzt sei das Ganze inhaltlich aber doch gründlich überladen, macht die Inszenierung am Ende noch eine überraschende Volte, in der das Verhältnis von Gut und Böse plötzlich auf den Kopf gestellt wird. – Insgesamt gelingt mit „Nach Brundibar“ ein so vielschichtiger wie nachdenklicher Abend, der nie langweilig ist. Auch gesungen wird recht hübsch, wenngleich deutlich zu wenig, wenn man in der Erwartung gekommen ist, eine Oper zu hören. Aber das stört die vielen Jugendlichen im Publikum, die ja hier die eigentliche Zielgruppe sind, wahrscheinlich nicht. Ihr heftiger Schlussapplaus scheint ehrlich gefühlt zu sein. Und das heißt wirklich was.

Weitere Aufführungen: Schaubühne Berlin, 19.6., 21.6., 23.-24.6., je 19.30 Uhr

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