Seit ihrer Gründung im Jahr 1972 ist die Schweizer Ernst von Siemens Musikstiftung mit einer jährlichen Fördersumme im mittleren einstelligen Millionenbereich einer der weltweit bedeutendsten Geldgeber der Neuen Musik. Als Jubiläums-Auftakt veranstaltete sie eine Podiumsdiskussion zur aktuellen Lage der Neuen Musik: den Herausforderungen für Veranstalter*innen und Künstler*innen, zu Diversität und der Rolle der Förder-Institutionen.
Eingeladen hat die Stiftung am 28. Februar 2023 in den Festsaal der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München. Winfried Nerdinger, Präsident der Akademie, betonte in seiner Begrüßung die Bedeutung des Musikpreises als „Nobelpreis der Musik“. Thomas Angyan, Vorsitzender des Kuratoriums, sprach stellvertretend für den Stiftungsratsvorsitzenden Peter Ruzicka: Er stellte die Vielseitigkeit und Internationalität der Geförderten in den Fokus und konstatierte, dass die Stiftung dabei nicht vorgebe, welchen Weg die Musik einzuschlagen habe: Die Stiftung gebe das Geld, die Ideen der Komponist*innen und Musiker*innen aber entschieden über die Zukunft der Musik, so Angyan. Der wegen weiterer Verpflichtungen verspätete Bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, Markus Blume, verpasste die Vorredner, wusste deshalb nicht um die inhaltlichen Wiederholungen seiner Worte (teilweise sogar mit den gleichen Formulierungen) und hob Preisträger*innen hervor, die zwar der breiten Öffentlichkeit, nicht aber für ihre Leistungen im Bereich der Neue Musik bekannt sind – in seiner Gesamtheit wirkte er mit den Leistungen der Stiftung für die Szene nicht vertraut.
Passend lieferten Mitglieder des NAMES Ensemble einen beeindruckend präzisen Einblick in die Vielfalt der von der Stiftung geförderten Musik. Luke Bedfords Klaviertrio „Chiaroscuro“, ein essayistisches, minimalistisches Klaviertrio, das in einer beeindruckend farbenreichen Koexistenz der Klavierstimmung und einer mikrotonal verschobenen Intonation der Streicher gipfelt, wurde einem Stück von Øyvind Torvund gegenübergestellt: Das Multimediale „Plans for Future Ensemble Pieces“ besteht aus einem humorvollen Skizzenvideo, das von elektronischer und akustischer Musik mal vertont, mal kommentiert oder karikiert wird.
Im Zentrum der Veranstaltung stand die von Katja Heldt moderierte Podiumsdiskussion mit den Komponist*innen Jessie Cox und Iris ter Schiphorst, dem Radiojournalisten Florian Hauser (SRF2) sowie dem Kurator und Herausgeber der Zeitschrift „Positionen”, Bastian Zimmermann (als Vertretung für Berno Odo Polzer). Die Neue Musik müsse – und das schließe die Förderungen der EvS-Musikstiftung mit ein – diverser werden, so Schiphorst. Während Zimmermann dem Netzwerk aus Förderinstitutionen und Kurator*innen ein bedenkliches Einflussmonopol attestierte, beschrieb Cox die Gefahr, dass Nachwuchs Komponist*innen und Kurator*innen sich im Auflösen oder Vermengen der Genres verlieren würden – da es schwer sei, in diesem Pluralismus Netzwerke oder Communitys zu bilden. Wo das gelänge, habe die Neue Musik gerade ungeahnte und wertvolle Freiheiten. Schließlich sei es eine große Stärke der Szene, so Cox, dass sie nicht von großen Publikumszahlen abhängig ist und sich so allein auf die Suche nach neuen Ansätzen und Formen der Musik konzentrieren kann. Abhängig ist sie dabei aber natürlich vom Wohlwollen der Förderinstitutionen.
Insgesamt war die Runde von der Zukunftsfähigkeit der Neuen Musik überzeugt: Hauser befindet als Rundfunkredakteur, dass man das Publikum kommentieren und mitgestalten lassen solle, schließlich wolle es Neue Musik hören. Schiphorst sieht die Zukunft der Neuen Musik in einer Zuwendung zu außereuropäischer Musik, einem kulturellen Teilen-Lernen auf Augenhöhe.
Auch wenn Katja Heldt ihre Themen nur anreißen ließ, setzte das Gespräch interessante Impulse und machte klar: Neue Musik hat die Möglichkeiten sich divers und pluralistisch aufzustellen – die Szene zeigt, dass sie sich von einer elitären Exklusivität lösen will. Dafür müssen sich die Förderinstitutionen entsprechend selbstkritisch, offen und divers ausrichten – das, so kann man der Runde entnehmen, sei das Neue der Neuen Musik.