Die Uraufführung (Pfingstsamstag am Staatstheater Kassel) von Friedrich Schenkers dreiaktiger Oper „Johann Faustus“ hat eine komplizierte und vielsagende Vorgeschichte, was das Libretto betrifft. Es wurde 1952, in der damaligen DDR, von Hanns Eisler – unter Beratung von Bertolt Brecht – geschrieben vor dem Hintergrund weitreichender theoretischer Überlegungen, auf welche Weise für die Oper neue Inhalte und breitere Publikumsschichten zu erreichen seien. Im Gegensatz zur Faust-Figur früherer Jahrhunderte, schon gar zur Rolle des Weltergründers bei Goethe, ist Faustus bei Eisler kaum noch der bohrend grübelnde, grenzüberschreitende Zukunftsvisionär im positiven Sinne, sondern eher ein negativer Held, der in den Wirren der Bauernkriege seine Sache verrät: die Befreiung der Unterdrückten und die damit zusammenhängende Idee des gesellschaftlichen Fortschritts.
Dabei gerät dieser Faustus ins Spannungsfeld seiner Zeitgenossen, das sind vor allem Martin Luther, der sich auf die Seite der Potentaten schlägt, und dessen später abtrünniger Gefolgsmann, der Bauernführer Thomas Müntzer. Alles in allem vollzog Eisler damit die Absage an einen Faustus, der bis dahin im Zeichen des progressiven Humanismus gestanden hatte und somit als eine der bedeutendsten Leitfiguren galt. In der Folge wurde der Komponist und Musikschriftsteller das Ziel ideologischer Kritik und heftiger Attacken in seiner Wahlheimat DDR.
Nun wäre es zu einfach, den Umstand des gescheiterten Projekts allein auf die politisch repressiven Gegebenheiten zurückzuführen. Eisler, eher der Meister der kleinen Form, wurde bei diesem großdimensionierten Projekt, „einer Volksoper für das 20. Jahrhundert“, auch zunehmend von kompositorischen Skrupeln, von ästhetischen Zweifeln geplagt. Er nahm schließlich von einer Vertonung Abstand, und das Libretto blieb liegen.
Seine dritte Frau und Witwe, Steffi Eisler, wollte sich mit dieser Situation auf Dauer nicht abfinden und wandte sich schließlich nach vielen Jahren an den Komponisten Friedrich Schenker mit der Wunschvorstellung, er solle das Libretto aufgreifen und mit seinen musikalischen Mitteln vertonen. Schenker (Jahrgang 1942) steht in der Tradition von Hanns Eisler, von dessen Schüler Günter Kochan und von Paul Dessau ( bei ihm war Schenker mehrere Jahre Meisterschüler). Die Faustus-Vertonung ist offiziell eine Auftragsarbeit des Staatstheaters Kassel, an dem Schenker seit 1999 als Hauskomponist arbeitet und verschiedene Bühnenmusiken im Bereich des Schauspiels geschrieben hat. Sein Gesamtoeuvre umfasst nahezu alle Gattungen, von der Kammermusik über die Sinfonie und das Solokonzert bis hin zur Kantate und Passion – und „Johann Faustus“ ist seine fünfte Oper.
Die Uraufführung war das letzte größere Musiktheater-Ereignis am Kasseler Staatstheater unter der Intendanz von Christoph Nix, der sich nach Ende dieser Spielzeit anderen Aufgaben zuwendet. Und so bleibt zu fragen, sollte mit dieser Uraufführung am Ende bewußt ein Akzent gesetzt oder nur rasch noch der Kompositionsauftrag eingelöst werden, sollte noch ein erhoffter musikalischer Höhepunkt geboten oder eine politisch gesellschaftliche Abschiedsbotschaft transportiert werden ? Von allem ein wenig, muss hier wohl die Antwort lauten.
Entstanden ist ein über dreistündiges Bühnenwerk, dessen Realisation mit hohen Ansprüchen verbunden ist: die Partitur fordert Vielseitigkeit und hohes sängerisches Vermögen, das Libretto verlangt – um dem Inhalt überhaupt folgen zu können – nach einem Höchstmaß sprachlicher Artikulation und Klarheit, und die subtil konzipierte und bis ins Detail stimmige Inszenierung (Sabine Hartmannshenn) zwingt die Akteure in jedem Augenblick zu einer hochkonzentrierten szenischen Präsenz. Von daher muß zuallererst die Leistung eines ausgewogenen, stimmlich beeindruckenden Ensembles betont werden, aus dem Johannes M. Kösters als Johann Faustus herausragte – und kaum weniger Ovationen spendete das Publikum dem Chor (Einstudierung: Adrian Müller) und dem Orchester (Leitung: Arne Willimczik).
Die Ausstattung (Annette Riedel) stand dem in keiner Weise nach; hier ist als Zentrum des Bühnengeschehens ein Rundbau mit beweglichen Jalousien errichtet worden, der wechselnd als Welt mit ihren verschiedenen Schauplätzen oder als Studierzimmer des Faustus erscheint. Doch gerade dieser raffiniert angelegte Rundbau geriet zur akustischen Falle, wenn die Sänger hier – was überwiegend geschah – und nicht auf der Vorbühne mit ihren schwer verständlichen Texten auftraten (in diesem Fall wäre eine Textprojektion notwendig gewesen).
Der Komponist Friedrich Schenker zeigt seine musikalischen Tugenden (man bemerkt schnell, daß er auch Bläser-Solist gearbeitet hat) und zieht sämtliche Register seiner Kunstfertigkeit in der Instrumentation, die aber so massiv ausfällt, dass sie obendrein den Text an vielen Stellen zudeckt. Die Materialarbeit Schenkers, einem Musikanten, der sich auf die Avantgarde verlegt hat, vermittelt sich in einem breiten Spektrum: es reicht von der Zwölftönigkeit über Zitate, Ländler- und Jazz-Elemente, bis zur Vierteltönigkeit. Dazwischen freilich reihen sich zahllose Sequenzen von kleinen Nonen-, großen Septimen- oder Tritonus-Intervallen, die in dieser Weise recht ermüdend wirken können.
Damit hat Schenker einige Chancen beim Publikum vergeben, obwohl er spürbar ambitioniert mit seinem Faustus von Eisler umgegangen ist. Im Vordergrund dürfte doch die Frage stehen, wie gerade ein jüngeres Publikum für ein solch wichtiges Sujet zu gewinnen ist. Und da wären Überlänge, weitgehende Unverständlichkeit des Textes und eine sich immer wieder einstellende musikalische Monotonie vorab zu vermeiden gewesen.