Da steht er – schwarzes Polo-Shirt, schwarze Hose und Turnschuhe: Tan Dun, der chinesisch-amerikanische Komponist, den viele für seine Filmmusiken kennen. Für den Soundtrack zu Ang Lees „Tiger and Dragon“ bekam Tan Dun sogar einen Oscar. Nun steht er in Leipzig. Zum ersten Mal in seinem Leben.
Gespannt ist der Körper, klar der Blick und Tan Dun wird später im Interview erzählen, dass er es schätzt, mit den Musikern des MDR Sinfonieorchesters seine um einen vierten Teil erweiterte „Martial Arts Trilogy“ zu spielen. Er wird erzählen, wie gerne er in dieser Stadt probt, für eine Woche hier lebt. Hier, wo sie alle schon waren, die ihm so unendlich viel bedeuten: Bach, Mendelssohn und vor allem Richard Wagner.
Tan Dun ist Composer in Residence des MDR Sinfonieorchesters. Vier seiner Werke wurden und werden in dieser Spielzeit aufgeführt: Sein Earth-Concerto, bei dem Keramik-Trommeln und –Blasinstrumente erklingen, sein Paper-Concerto, bei dem Papierbahnen von der Decke hängen und durch knicken, flattern und reißen zum „Klingen“ gebracht werden, seine „Water Passion after St. Matthew“, in der der MDR Rundfunkchor und Solisten von Geige, Cello und einem Orchester aus Wasserinstrumenten begleitet werden – 17 mit Wasser gefüllte, transparente Klangschalen sind in der Form eines Kreuzes aufgestellt – und eben die „Martial Arts Trilogy“, die Tan Dun erweitert hat und diesen letzten, diesen vierten Teil, in Anlehnung an Richard Wagners Ring. „We are resurrected“ (Wir sind auferstanden) hat er das Stück genannt.
Eine um einen Teil erweiterte Trilogie, das ist sein Stück jetzt nicht mehr: „Wir können dazu jetzt auch Ring sagen, denn vor zwölf Jahren habe ich mit dem Projekt begonnen und nun beende ich es mit dem MDR Sinfonieorchester hier in Leipzig“, sagt er. Perfekt sei der Zeitpunkt gewählt im Wagner-Jahr. Die Musik Richard Wagners, sagt Tan Dun, habe ihm gezeigt, wie man in der Oper und in der Filmmusik Dramatik erzeugen kann: Wagners Begriff vom Musikdrama hat der chinesische Komponist für sich übersetzt: „Das Orchester ist der Erzähler“, sagt Tan Dun. „Das erzeugt die ganze Dramatik.“
Wer den vierten Teil seines „Rings“ hört, der ist sofort gefangen von der Musik. Die packt einen, verwebt eng traditionelle chinesische Klänge mit zeitgenössischer Musik. Alles zusammen baut schon musikalisch bei der Probe eine atemberaubende Kulisse auf, die beim Konzert in Leipzig noch mit Bildern unterlegt wird – mit Bildern eines Animationsfilms, den Tan Dun selbst gedreht hat: „Ich habe am Westsee in China – das Symbol für Wasser schlechthin – gedreht. Was man sehen kann sind viele Hände, die auf die Oberfläche des Wassers schlagen und den See in eine große Wassertrommel verwandeln“, sagt Tan Dun. Die große Wassertrommel wird gespeist aus einem Fluss. Und diesem verschafft der Komponist in dem Stück Gehör, erzeugt in den mit Wasser gefüllten Klangschalen. „Es ist egal, woher der Fluss kommt – ob aus Leipzig, New York oder Shanghai. Ich habe Wagners zentrales Ringthema, das Wasser, hier entschlüsselt und ich sage: Wasser ist dauerhaft, Wasser ist Musik und der Fluss trägt immer.“
Wasser, sagt Tan Dun, sei ein wichtiges Element. Nicht nur in der chinesischen Lehre ist es zentral. Auch für den Menschen selbst: „Wasser umgibt den Menschen immer, schon wenn er noch im Mutterleib ist, ist er von Wasser umgeben, hört einen wunderbaren Wassersound und das setzt sich weiter fort.“ Tan Dun hat deshalb seine „Water Passion after St. Matthew“ geschrieben – eine Weiterführung der Bachschen „Matthäuspassion“. Denn Wasser ist etwas ewiges – in allen Kulturen. „Vor diesem Hintergrund kam mir die Idee, den Klang des Wassers für die Passionsgeschichte zu nutzen.“
Dass Tan Dun in Leipzig ist, hier seine Werke selbst dirigiert und sogar eines zur Uraufführung bringt – gekoppelt an die Premiere seines Films – das macht den chinesischen Komponisten glücklich – noch glücklicher, weil genau das eingetreten ist, was ihm ein Schneider aus seinem Heimatdorf mit auf den Weg gegeben hat: „Dinge, die du willst, die passieren nie, aber es geschehen die Dinge, die du dir nie vorstellen konntest“, erinnert sich Tan Dun.
Tan Dun in Leipzig
3. Mai, 20 Uhr, MDR Würfel (Augustusplatz 9a) Filmvorführung: Wagner & Me von Stephen Fry und ein Vortrag Tan Duns zu seinem Verhältnis zu und seinem Verständnis von Richard Wagner.
4. Mai, 20 Uhr, Arena Leipzig, Martial Arts Trilogy und Urauführung des vierten Teils „We are resurrected“. Dirigent: Tan Dun, MDR Sinfonieorchester
5. Mai, 20 Uhr, Thomaskirche, Water Passion after St. Matthew, Dirigent: Tan Dun, MDR Rundfunkchor, Leipziger Schlagzeugensemble und Solisten, Konzerteinführung: 19 Uhr, Treffpunkt Bachdenkmal