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Der Narr als politischer Idealist. Keith Boldt in Walter Braunfels' „Ulenspiegel“ in Gera. Foto: Stephan Walzl
Der Narr als politischer Idealist. Keith Boldt in Walter Braunfels' „Ulenspiegel“ in Gera. Foto: Stephan Walzl
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Der Narr wird zum Terroristen: Walter Braunfels’ Frühwerk „Ulenspiegel“ in Gera

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Charles de Costers Werke boten im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts eine gute Vorlage für wirkungsvolle Opern, so für den vor einem Jahr in Chemnitz wieder aufgeführten „Schmied von Gent“ von Franz Schreker, wie auch für die an den Städtischen Bühnen Gera nach 98 Jahren erstmals wiedererklungene Oper „Ulenspiegel“ von Walter Braunfels.

Die Wiederaufführung des Opernerstlings „Prinzessin Brambilla“, 2004 in Wexford, hatte für Irritationen hinsichtlich des Kompositionsstils des jungen Walter Braunfels gesorgt. Denn was dort erklang und auch auf CD festgehalten wurde, ist die Zweitfassung aus dem Jahre 1929; wie die zwanzig Jahre früher erschienene Fassung geklungen haben mag, steht vorerst noch aus. Einen aufschlussreicheren Blick auf das Frühwerk des 1882 in Frankfurt geborenen Schülers von Ludwig Thuille bietet daher die zweite Oper „Ulenspiegel“. Erstmals seit der Uraufführungsproduktion, am 4. November 1913 in Stuttgart, ist sie nunmehr an den Bühnen der Stadt Gera zu erleben.

Susanne Bruse, Enkelin und Nachlassverwalterin des Komponisten, hatte den Verleger Ries & Erler, dessen Verlag 1945 total zerstört wurde und in dessen erhaltenen Katalogen kein Hinweis auf diese Oper zu finden war, auf das Werk hingewiesen; daraufhin wurde das Aufführungsmaterial in Stuttgart aufgefunden und reproduziert.

Der Frage nachzugehen, warum „Ulenspiegel“ seit der Uraufführung nicht wieder gespielt wurde, ist durchaus aufschlussreich. Sicherlich verhinderte der Ausbruch des ersten Weltkrieges weitere Produktionen, aber der Komponist selbst hat die zweite seiner acht Opern später als „missglücktes Werk“ bezeichnet, welches er – im Gegensatz zur „Prinzessin Brambilla“ – auch keiner Neubearbeitung unterziehen wollte. Diese Wertung hängt wohl primär damit zusammen, dass in dieser Opernhandlung die Katholiken verteufelt werden und dass das Finale einer zu diesem Zeitpunkt weit verbreiteten Aufbruchsstimmung und Kriegsbegeisterung huldigt. Beim Frontsoldaten Braunfels setzte dann Ernüchterung ein, und eine schwere Verwundung bewirkte sogar sein Konvertieren vom Protestantismus zum Katholizismus. Dieses Umdenken brachte eine Reihe geistlicher Kompositionen mit sich und bedingte auch die dramaturgische Umgestaltung des Endes in seinem nachfolgenden Meisterwerk „Die Vögel“.

Im Gegensatz zu Richard Strauss’ Tondichtung, die insbesondere das Schalkhafte der Figur und ihre „lustigen Streiche“ Eulenspiegels charakterisiert, wie auch zur Oper von Emil Nikolaus von Reznicek, welcher die Tragikomik dieser Figur betont, zeigt Braunfels im selbst geschaffenen Libretto die Wandlung Tills vom aufmüpfigen Narren zum politischen Idealisten.

Dabei stützt er sich nicht auf das um 1510 in Straßburg erschienene Volksbuch von Hermann Bote, sondern auf Charles de Costers 1867 erschienenen Roman „Thyl Ulenspiegel“, in welchem Ulenspiegels Abenteuer in den Spanisch-Niederländischen Krieg des 16./ 17. Jahrhunderts verlegt wurden. Till Eulenspiegel, der den Handwerkern Pfeffer in die Augen streut und die mit Ablässen ihre Kassen aufbessernden spanischen Imperialisten veralbert, wird nach dem Tod seines Vaters durch die Inquisition zum Anführer der Geusen im Kampf gegen die Spanier.

Dass dem Komponisten Max von Schillings diese Partitur gefiel, so dass er sich als Intendant und Dirigent nach der „Prinzessin Brambilla“ auch für Braunfels’ zweite Oper einsetzte, ist leicht nachvollziehbar, entspricht sie doch seinen eigenen musikdramatischen Idealen der Wagner-Nachfolge. Dies betrifft die Figur des Außenseiters, der zum politischen Anführer wird ebenso, wie die Geschwisterliebe zwischen Till und Nele, denn die ist ein von seinem Vater aufgezogenes Findelkind. Der Held leidet im Kerker wie Tristan auf Kareol, und wie Elisabeth im „Tannhäuser“ schützt Nele den Geliebten mit ihrem eigenen Leib vor dem Tod.

Wagnerisch im besten Sinne ist auch Braunfels’ Musik, mit Leitmotivtechnik auf tonalem Fundament. Verwandtschaft zeigt sie in ihrer Lyrik mit Ludwig Thuilles „Lobetanz“ und in ihrem leidenschaftlichen Überschwang mit Schillings’ „Pfeifertag“. Aber Braunfels’ Partitur enthält darüber hinaus einige subtile Modernismen, etwa die skurrile Bühnenmusik für den Blutherzog Alba oder einen sirenenartigen Einsatz, welcher die Verwendung einer Sirene, die 1930 in Pfitzners „Das Herz“ für Aufregung sorgte, antizipiert. Daneben gibt es Momente, in denen die Psychologie die Zeichnung der Handlung überragt, etwa wenn die Harfe die gespannten und fast reißenden Nerven symbolisiert.

Dass der Komponist nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten von Schillings aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen wurde und als „Halbjude“ Aufführungsverbot erhielt, war angesichts des Engagements des Komponistenkollegen Schillings für sein Frühwerk für Braunfels sicher doppelt schmerzlich.

Die Partitur, deren Schönheiten auch Wilhelm Furtwängler gelobt hatte, leitet Jens Troester leidenschaftlich und bemüht sich, die Schönheiten der prächtig instrumentierten Partitur zum Leuchten zu bringen. Angesichts des enormen Schwierigkeitsgrades werden leider auch die Schwächen des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera, mit unsauber intonierenden, dünnen Streichern und fortschreitend schwächeren Bläsern, deutlich. Dabei hat möglicherweise die Uraufführung unter Max von Schillings im Jahre 1913 auch nicht besser geklungen, denn damals wurde den Produktionen in der raschen Abfolge der Novitäten weit weniger Probenzeit zugestanden als heute.

Trefflich ist Braunfels differenzierte Chorbehandlung, was der von Ueli Häsler einstudierte 21-köpfige Chor der Bühnen der Stadt Gera (hinter der Szene elektroakustisch verstärkt) trefflich meistert, wie er auch in kleinen Solopartien sein Bestes gibt. Eine makellose Leistung bietet der Bassist Shavleg Armasi als Tills Vater. Marie-Luise Dreßen als Nele gefällt mit jugendlicher Dramatik. Problematisch hingegen der dramatische Tenor Keith Boldt in der Titelpartie, deren stimmliche Anforderungen, ähnlich wie in Schrekers Tenorpartien, zwischen Spinto und Heldentenor changieren. Schlank und glatzköpfig, häufig nur mit Slip bekleidet, ist Boldt ein trefflich mimender Schalk, stimmlich aber zeigt er sich überfordert.

Star-Architekt Stephan Braunfels hat das faszinierende Bühnenbild zur Oper seines Großvaters geschaffen: ein praktikabler Raum mit Höhen und Tiefen, Mauern und Versenkungsklappen, getaucht in stark farbiges Licht, mit Traum- und Psychdelik-Wirkungen. Matthias Oldags Inszenierung wandelt Genreszenen in Traumsequenzen. Tills Weg, der inmitten historisierender Kostüme durchaus skurril und märchenhaft beginnt, endet im Kreise heutiger Aufständischer. Zwischen weiß gewandeten Niederländern und schwarz kostümierten Spaniern (Kostüme: Henrike Bromber) hatte Till den Gekreuzigten persifliert, und später trägt er selbst dessen Wundmale. Den niederländischen Handwerkern, für die Braunfels’ Libretto auf Goethes „Egmont“ zurückgreift, zeigt Ulenspiegel – einer Deutung seines Namens folgend – in dieser Inszenierung seinen nackten Hintern. Hingegen wurden im Text Verharmlosungen vorgenommen (so wird etwa „musst verrecken“ zu „du musst sterben“); durch Verzicht auf Übertitelung des im ersten Akt echt witzigen Librettos fallen solche Veränderungen kaum auf.

Im Finale wird der leidenschaftliche Aufbruch in den Krieg durch einen kollektiven Selbstmord der Terroristen ersetzt (Dramaturgie: Felix Eckerle). Schwer nachvollziehbar hingegen ist die in dieser Inszenierung vorgenommene Aufwertung des alten Holländers Jost (Kai Wefer) zu einer Überfigur als Tills Gegenspieler; unglaubwürdig bleibt auch, wie Nele sich in die Flugbahn der Kugel wirft, um Ulenspiegels Leben zu retten.

Im Gegensatz zum Achtungserfolg der Uraufführung war die Premiere in Gera ein echter Erfolg: kein Widerspruch trübte den Jubel der rhythmisch applaudierenden, von weither angereisten Opernenthusiasten.

Weitere Aufführungen: 4. Februar, 5. März und 24. April 2011
Deutschlandradio Kultur sendet diese Oper am 5. Februar um 19:05 Uhr.

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