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Erste Wiederbegegnung des Komponisten Robert HP Platz mit seinem beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 verloren geglaubten Vorlass.
Erste Wiederbegegnung des Komponisten Robert HP Platz mit seinem beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 verloren geglaubten Vorlass.
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Des Zettelkastens wundersame Auferstehung

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Fünf Jahre nach dem Kölner Archiv-Einsturz: eine Selbstbegegnung des Komponisten Robert HP Platz
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Bis zum 3. März 2009 stand an der Kölner Severinsstraße das Historische Archiv der Stadt (HAStK). Heute klafft dort eine tiefe Grube. Verursacht durch den U-Bahn-Bau der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) – die fatalerweise als Bauherr und Bauaufsicht zugleich firmierten – stürzten damals das komplette Archivgebäude und zwei angrenzende Wohnhäuser fast dreißig Meter tief in den unmittelbar vor den Gebäuden offen verlaufenden U-Bahn-Schacht. Mit zwei Menschenleben versanken damals auch dreißig Regalkilometer Archivgut aus 1200 Jahren Stadt-, Regional- und Kirchengeschichte. Was viele Generationen geduldig zusammengetragen und unter Mühen durch alle Unbilden der Zeiten gerettet hatten, verschwand schlagartig unter Trümmern und Staub, so auch kostbare Musikalien des städtischen Gürzenich-Orchesters und der Oper Köln sowie die Nachlässe von Ferdinand Hiller, Franz Wüllner, Fritz Steinbach, Hermann Abendroth, Günter Wand, Hans Mayer, Bernd Alois Zimmermann und Mary Bauermeister, um nur einige zu nennen.

Auch der Vorlass von Robert HP Platz (*1951) schien an diesem Tag für immer untergegangen zu sein. Der Kölner Komponist, Dirigent und langjährige Leiter des Ensemble Köln hatte sein Privatarchiv erst jüngst dem HAStK anvertraut, weil er zuhause Raum schaffen wollte und sich vor allem Sicherheit und öffentlichen Zugang für sein Lebenswerk erhoffte. Doch er hatte Glück im Unglück: „Ich sehe mich noch heute an meinem Stehpult arbeiten, als ich Rettungswagensirenen hörte, die immer mehr wurden. Es musste ein großer Unfall passiert sein. Eigentlich hatte ich an jenem Tag einen vollen Karton ins Archiv bringen wollen. Doch ich hatte das verschoben, wozu mich irgendein Schutzengel bekniet haben muss. Als ich am Nachmittag dann per E-Mail neueste Nachrichten der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ bekam, las ich, dass das Historische Archiv der Stadt Köln eingestürzt sei. Ich dachte zuerst nur: ,Ach, das erklärt die vielen Sirenen.‘ Und dann gab es eine Schrecksekunde völliger Stille in mir, bevor ich dachte: ,Hoffentlich sind alle Mitarbeiter, die ich ja kannte, noch heil aus dem Gebäude herausgekommen‘ – und dann: ,O Gott, da sind ja deine ganzen Sachen drin!‘“

Wie hunderttausende andere Dokumente schienen plötzlich auch viele Autographe von Platz aus über dreißig Jahren verloren: „Die schlimmsten Verluste waren für mich die Materialien zu meinem einstündigen, noch nicht komplett uraufgeführten Orchesterwerk ,Schwelle‘ – vor allem die Realisationspartituren zum Zuspielband – und zum Musiktheaterwerk ,Verkommenes Ufer‘.“ Während der ersten Wochen nach dem Einsturz waren Tag und Nacht bis zu sechzig Feuerwehrleute mit Aufräum- und Bergungsarbeiten im Einsatz. Sie konnten schätzungsweise 80 Prozent der Bestände dem Erdreich und dem bis zu sieben Meter hoch eingeströmten Grundwasser entreißen. Bis August 2011 wurden zirka 95 Prozent des gesamten Archivguts geborgen, teils unversehrt, teils in erbärmlichem Zustand und von tonnenschweren Betonbrocken regelrecht zerschreddert. Nie zuvor auf der Welt musste auf einen Schlag eine solche Menge unterschiedlicher Materialien verschiedenster Beschädigungen restauriert, neu identifiziert, wieder geordnet und nutzbar gemacht werden. Eine auf 30 bis 50 Jahre veranschlagte Mammutaufgabe.

Allein im eiligst eingerichteten Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum (RDZ) des Kölner Stadtarchivs sind seitdem 20 Archivare und Restauratoren sowie 40 Hilfskräfte tätig. In einer angemieteten Lagerhalle in Köln-Porz-Lind werden die zunächst die auf zwanzig Asylarchive verstreuten und teilweise gefriergetrockneten Bestände nach und nach wieder vereint. Mit Hilfe von teils eigens für die neuartigen Anforderungen entwickelten Spezialgeräten wird hier Stück für Stück fotografiert, restauriert, konserviert, identifiziert, gescannt und mit Barcodes versehen, bis irgendwann alles digital abrufbar sein wird. Mit 1,1 Millionen Stück konnte bislang jedoch kaum ein Prozent des geretteten Bestandes digitalisiert werden. Denn jedes Blatt und jede einzelne Buchseite muss auf Vorder- und Rückseite in mühevoller Handarbeit mit Bürste, Pinsel, Spatel, Skalpell, Schwamm und Druckluft gereinigt und gegebenenfalls geglättet werden. Von Pilzen und Mikroben befallene Stücke werden zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Absaughauben bearbeitet. Weil die Frage der Schuld am Archiveinsturz noch nicht entschieden und deswegen auch noch nicht geklärt ist, wer dereinst die auf rund eine Milliarde Euro geschätzten Bergungs-, Instandsetzungs- und Wiederaufbaukosten sowie mögliche Regressforderungen von Leihgebern übernehmen muss, wird bei allen Dokumenten das Schadensbild bilanziert und jeder nötige Arbeitsschritt hinsichtlich Zeitaufwand und Geldwert taxiert. Im September 2013 konnten auf Anfrage von Robert HP Platz aus den bisher identifizierten Fundstücken vier Signaturen seines eigenen Vorlasses ermittelt und bevorzugt in den Bearbeitungsprozess gegeben werden. Drei Monate später konnte er unter gespannter Erwartung diese Materialien wieder einsehen: „Was mich natürlich heiß macht, ist die Hoffnung, dass sich etwas von den für mich existentiellen Sachen erhalten hat.“

Der erste Karton enthält einen kleinen Zettelkasten. Das hölzerne Zigarrenkistchens ist am oberen Rand zwar gebrochen, doch die Notizen zur Kammeroper „Dunkles Haus“ haben sich darinnen in bester Ordnung erhalten: „Das hätte ich nicht gedacht, dass ich das je wieder in Händen halten kann. Ich war am Anfang meiner Arbeit als Komponist sehr stark durch das Werk von Arno Schmidt beeinflusst. Die Inspiration ging vor allem in Richtung der Verwendung von Zettelkästen, die ich anlegte, sobald das Formschema eines Stückes fertig war, um meine Arbeit zu strukturieren und allen Phasen eines Stückes bestimmte musikalische Einfälle als formgebende Elemente zuzuordnen.“ Mit im Kasten liegen ein kleiner Kreisel und ein Pfeifchen, wie sich Platz erinnert, Geschenke des Tänzers und der Sängerin vor der Münchener Premiere des Werks 1991.

In einem anderen Karton befinden sich Schreibmaschinendurchschläge von Briefen. Vormals in Aktenordnern abgeheftet, haben sie den Einsturz unbeschadet überstanden. In bester Chronologie liegt hier Platz’ Korrespondenz mit Veranstaltern, Rundfunkredakteuren sowie seinem ehemaligen Lehrer Karlheinz Stockhausen und mit Heiner Müller, nach dessen Dramen er 1983/86 „Verkommenes Ufer“ und 1990/91 „Dunkles Haus“ komponierte. Zwei weitere Kladden enthalten zu beiden Werken auch Skizzen, Tabellen, Formschemata und andere Prädispositionen des Tonmaterials, alle auf geradezu wundersame Weise heil und makellos geblieben. Bei ihrem Anblick kommt Robert HP Platz ins Erzählen. Er wird zum gerührten Zeuge der glücklichen Auferstehung einiger längst verloren geglaubter Quellen, die neben seinem musikalischen Schaffen zugleich auch einen Gutteil seines eigenen Lebens dokumentieren.

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