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Titelblatt der nmz 04/2012.
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Die apokalyptischen Reiter der Kultur

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Sieben Fragen an die Autoren eines nutzlosen Buches · Von Barbara Haack
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So viel ist zur Publikation des Buches „Der Kulturinfarkt“ inzwischen berichtet und diskutiert worden. An dieser Stelle wollen wir es mit sieben Fragen an die Autoren Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz versuchen, weil doch das eine oder andere auch nach aufmerksamer Lektüre unklar geblieben ist.

1. Wie definieren die Autoren eigentlich „die Kulturpolitik“? Ist damit „Kulturförderung“ gemeint (was die rahmenpolitischen Aufgaben gerade der Bundeskulturpolitik unberücksichtigt ließe)? Eine ordnende und Einfluss auf kulturelle Inhalte ausübende Hand? Wo bleibt die Differenzierung der unterschiedlichen Ebenen der Kulturpolitik: Bund, Land, Kommunen, Zivilgesellschaft? Und jene zwischen Kultur- und Bildungspolitik? Eine klare und durchgehend gültige Definition wäre hilfreich gewesen. 

2. Wie halten es die Autoren mit dem Qualitätsbegriff in der Kunst? Wir erfahren, dass es natürlich noch „große Kunst“ gibt, die freilich in der „gleichgültigen Masse gut gemeinter und gut geförderter Halbfabrikate“ schwer aufzufinden sei. Auch, dass es offenbar – erhaltenswerte – Kultur gibt, die „Klasse“ hat. Andererseits werden wir aufgefordert, uns von einer „Pädagogik, verpackt in einen Qualitätsbegriff“, zu befreien – überhaupt ist die Setzung „kultureller Normen“ ein Kritikpunkt der Autoren. Unklar bleibt, wer denn nun – und wann – über künstlerische Qualität befindet, wenn sie nicht dem Urteil des Marktes unterworfen ist. 

3. Wer oder was ist denn eigentlich ein ernst zu nehmender „Kultur-Experte“? Die vier Autoren sind es offenbar, ausgebildete Künstler (und Kunstpädagogen) schon weniger. Für eine Neugestaltung von Kultur-Förderung jedenfalls brauchen wir „Kulturräte oder Jurys, die sozial durchmischt sind. Also (…) keine Versammlungen von Experten der Kunst oder der Musik, sondern wenn schon Experten, dann Vertreter des realen Lebens draußen.“ 

4. Wenn die Autoren sich fragen, was passieren würde, „wenn die Hälfte der Theater und Museen verschwände“, so starten wir die Gegenfrage: Welche Theater – nehmen wir das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern – sollen denn da konkret geschlossen werden? Auf die Replik Armin Kleins im Podiumsgespräch auf der nmz-Messebühne, „Fragen Sie mich jetzt nicht, welche Theater …“, antworten wir: „Doch, Herr Klein, genau das fragen wir!“ Was nützt eine solche pseudo-provokante Überlegung, wenn sie nicht diskutiert und konkretisiert wird? 

5. Womit belegen die Autoren ihre These, dass sich im öffentlichen Kultursektor nichts bewegt? Der hier beschriebene „visionäre“ Zustand, dass „die Förderung des Künstlernachwuchses, die Entwicklung von Komponisten oder Autoren, der Einbezug von Laien, die Auswertung der Produktion in anderen Medien, die Zusammenarbeit mit Verlagen, die Gestaltung öffentlicher Anlässe ganz einfach dazugehören“, entspricht vielerorts längst der Realität. Richtig ist, dass immer wieder neu viel zu tun ist, falsch, dass nicht an vielen Stellen Veränderungsprozesse in Gang sind. 

6. Wenn, wie gefordert, das kulturelle Geschehen sich künftig wesentlich stärker an der Nachfrage als am Angebot orientieren soll: Was wird aus der künstlerischen Avantgarde, aus Experimentierstuben, aus neuer, nicht marktfähiger Kultur, die aber doch gerade wichtig ist, um der „Verschorfung“ der bestehenden Kultur entgegenzuwirken? Was soll überhaupt noch öffentlich gefördert werden, wenn nur noch angeboten wird, was in wirtschaftlich tragfähigem Maß nachgefragt wird? Mit Verlaub: Wer den von vielen (Kultur-)Politikern konstatierten Paradigmenwechsel von der kulturellen Subvention hin zur Kultur-Investition rein wirtschaftlich wegargumentiert, hat entweder nicht so genau hingehört oder ist vielleicht doch nicht unbedingt ein „Kultur-Experte“. 

7. Was genau verstehen die Autoren unter „kultureller Bildung“? Den Spruch vom Hänschen und vom Hans in einer Zeit zu bemühen, in der überall von „lebenslangem Lernen“ die Rede ist, zeigt ein weiteres Mal, dass die Inhalte des Buchs im Wesentlichen auf Beobachtungen der 70er- und 80er-Jahre verharren. Was veranlasst zur Feststellung einer „kulturellen Schlagseite der Gegenwart“ und zu dem daraus resultierenden Schluss: „Gleichgewicht hieße gegenwärtig, der Forderung nach vermehrter ästhetischer Bildung mit der Forderung nach mehr Naturwissenschaft zu begegnen“? Angesichts großer quantitativer Missstände zum Beispiel im Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen ist dies schon eine vermessene Verzerrung – zumal das Buch ein kontinuierliches Wachstum kultureller Angebote in den letzten Jahrzehnten suggeriert. Was bringt die Autoren zu der Behauptung, die „Menschen ästhetisch zu erziehen“ bedeute, sie „zu formen, in ihnen das wahre Bewusstsein heranzubilden“? Ignorieren sie, dass das Ziel kultureller Bildung gerade eine Öffnung für viele Wege des Rezeptionsverhaltens, des künstlerischen Schaffens ist? Dass Menschen befähigt werden, am großen kulturellen Angebot teilzuhaben und sich ihr eigenes ästhetisches Urteil zu bilden? Wie kommen die Autoren auf die Idee, jeder, der kulturelle Bildung genieße, wolle oder solle ein (Profi-)Künstler werden? „Niemand lebt davon, dass er für sich selbst singt“, schreiben sie und haben damit recht, verkennen dabei aber, dass das „Leben von der Kunst“ im ökonomischen Sinne niemals einziges oder hauptsächliches Ziel kultureller Bildung gewesen ist. 

Dieser Satz, als einer von vielen zeigt, dass das Buch Platitüden mit zahlreichen unkritisch als allgemeingültig gesetzten Annahmen vermischt, die heute längst nicht mehr gelten. Polemik ohne Diskussion, ohne fundierten Hintergrund, Polemik, die vor Allgemeinplätzen nur so strotzt, ist nutzlos. Genauso wie dieses Buch.  

 

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