„Stirbt der deutsche Musikalienhandel?“ Mit dieser Frage übertitelten wir in unserer letzten Ausgabe die Presseerklärung des Berliner Musikalienhändlers Hans-Wolfgang Riedel. Die Erläuterungen Riedels zum Verhältnis zwischen Verlag und Musikalienhändler, zur Buchpreisbindung (er fordert deren Aufhebung), zu Rabatten und Preisen lösten unter den Verlegern nicht eben Freude aus. Das ist verständlich. Seine Händler-Kollegen allerdings scheinen nicht viel glücklicher mit dem zu sein, was er hier – doch scheinbar im Sinne des Handels – über das Ende des Sortiments schreibt. Zwar habe er in einigem Recht, so lauteten die vielstimmigen Kommentare im Verlauf der Frankfurter Musikmesse, welche sowohl Verlage (Aussteller) als auch Musikalienhändler (Fachbesucher) zu ihrer Kernkundschaft zählt. Dennoch überwog das Unverständnis. Daniela Zimmer, Inhaberin der Stuttgarter Musikalienhandlung „Lausch & Zweigle“ und Vorsitzende des Fachverbandes Musikalien im Gesamtverband deutscher Musikfachgeschäfte (GDM), Thomas Tietze, Leiter der Rechtsabteilung des Bärenreiter-Verlages, sowie Heinz Stroh, Geschäftsführer des Deutschen Musikverlegerverbandes (DMV), trafen sich am Messestand der neuen musikzeitung, um über das Geschäft mit den Noten zu diskutieren.
Es scheint große Einigkeit zu herrschen. Händler und Verleger der Musikbranche sind zwar nicht – wie es die Buchbranche mit ihrem Börsenverein vormacht – in einem Verband vereint. Dennoch zeigt sich durch die gemeinsame Geschäftsstelle und die Geschäftsführer-Personalunion ein starkes Signal zum Miteinander. Dennoch, so viel sei gesagt, sprechen Verleger unter der Hand anders als vor dem Medien-Mikrofon. Kritik am „vorgestrigen“ Musikalienhandel wird da gerne mal geäußert. Der auch nicht immer genug für den Absatz tue. Gefragt nach den Wünschen der Verlage an das Sortiment, sprach Thomas Tietze das Thema IDNV an. Er äußerte den Wunsch, dass sich noch mehr Händler an dieses Katalogsystem anschließen sollten, das von GDM und DMV gemeinsam entwickelt wurde und das als bestes System für alle am Handel Beteiligten angesehen wird.
Zu preiswert würden Noten angeboten, hatte Riedel angemahnt. Deutschland sei zum „Noten-Billig-Land“ geworden. Das jedoch scheint an den realen Verhältnissen vorbeigedacht. Die Verlage kalkulieren haarscharf, um, wie Tietze sagt, gerade mal so hinzukommen. „In der heutigen Zeit sind wir froh um jede Note, die wir verkaufen.“ Die Musikalienhändler ihrerseits müssen sich an die Preisbindung halten. Den Preis jedoch bestimmt letzt-lich der Endkunde. Nur wer hier angemessen kalkuliert, das wissen Verlage wie Händler, wird seine Noten in ausreichender Stückzahl verkaufen können. Sicher gebe es Kunden, so Zimmer, die ein Notenheft auch kaufen würden, wenn es drei Euro mehr koste. Aber der Kunde, der samstags zum Stöbern kommt, nimmt das Heft dann eher nicht mit. „Zu teuer, da kopieren wir lieber“, ist häufig die zwar nicht ausgesprochene, aber doch gedachte und auch realisierte Konsequenz.
Was wünschen sich denn nun die Verleger von den Händlern und die Händler von den Verlegern? Natürlich Verständnis für die jeweilige Rabattpolitik bzw. -erwartung des anderen. 43 Prozent Rabatt seien nötig, so hat es ein vom Händlerverband beauftragter Unternehmensberater errechnet, damit der Handel kostendeckend arbeiten könne. Einige Verlage würden sich im Rabattdurchschnitt daran halten, so Daniela Zimmer, mit den anderen sei man im Gespräch. Auf jeden Fall gebe es hier große Unterschiede, einige „schwarze Schafe“ seien auch darunter.
Am liebsten würden die Verlage nur zehn oder gar fünf Prozent gewähren, um wirtschaftlich kalkulieren zu können, so Tietze. Aber natürlich tun sie das nicht, denn der Handel sei „nach wie vor der wichtigste Partner der Verlage“. Im Gespräch scheint es, als ob Rabattharmonie die Regel, Differenzen die Ausnahme seien. Im Übrigen hat der Fachverband Musikalien ein Händler-Premiummodell entwickelt. Verlage sollen danach Händlern, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, besonders gute Rabatte einräumen. Solche Voraussetzungen sind unter anderem ein offenes Ladengeschäft, ein integrierter Versandhandel, ausgebildetes Personal oder die Teilnahme an dem das Bestellwesen erleichternden Datenbanksystem IDNV. Der Verlegerverband setzt sich für das Modell ein, und die Verlage sind teilweise schon aufgesprungen. Obwohl Rabattverhandlungen in letzter Konsequenz keine Verbandssache sind. Noch immer ist es der Verlag selbst, der seine Rabattpolitik bestimmt und sie mit den Händlern im Einzelnen „ausdealt“.
Und wie sieht es aus mit dem Handel im Internet? Kein Problem, so Thomas Tietze; fast alle Verlage bieten ihre Produkte inzwischen auch über einen Internet-Shop an. Alle aber seien daran interessiert, den Handel zu stützen. Bärenreiter macht es daher so, wie viele andere Verlage auch: Man lässt dem Internet-Kunden die Wahl, bei welchem Musikalienhändler er die Ware kaufen möchte. Die wird dann über die entsprechende örtliche Musikalienhandlung ausgeliefert. Daran verdienen alle. Alles andere sei lediglich „kurzfristig verdientes Geld“, so Tietze.
Daniela Zimmer räumt allerdings ein, dass sich auch hier eine Reihe von Ausnahmen unter den Verlegern finden. Es gebe durchaus einige, die ihre Produkte über das Netz direkt an den Endkunden verkaufen und den Handel damit umgehen. Diese werden allerdings vom Sortiment dann auch „sanktioniert“. Ihre Ware findet sich weit seltener in den Regalen als die der „handelstreuen“ Verlage. Im Übrigen hat fast jeder Musikalienhändler heute einen eigenen Webshop. Das ist in der Regel eine – komfortablere und nutzerfreundlichere – Fortsetzung des gut funktionierenden Versandhandels, den Musikalienhändler schon seit Jahrzehnten betreiben. Einige Händler – wie zum Beispiel das Detmolder „Haus der Musik“, das einen herausragenden Kundenservice im Netz anbietet – sind auf diesem Gebiet Vorreiter und werden für die Zukunft sicher Maßstäbe setzen.
Größten Unmut hatte Riedels Forderung nach Aufhebung der Buchpreisbindung (die auch für Noten gilt) ausgelöst. Gottlob haben wir die, so Daniela Zimmer, denn ohne diese Regelung, die im Jahr 2000 gesetzlich fixiert wurde, würde es nur noch einige wenige „Brotartikel“ für sehr geringe Preise geben. Weitere Produkte würden unerschwinglich für das breite Publikum. Das flächendeckende aktive Musizieren müsste erheblich darunter leiden. Eine Aufhebung der Buchpreisbindung hätte auf jeden Fall einen Rückgang der Produktvielfalt auf dem Musikalienmarkt zur Folge. Gleichzeitig brächte sie eine spürbare Reduzierung vor allem der kleinen und mittleren Musikalienhandlungen in Deutschland mit sich, die den Dumpingpreisen großer Ketten nicht mehr gewachsen wären. Das aber widerspricht auch den Wünschen Hans-Wolfgang Riedels. Im Übrigen vollzieht sich der durchaus zu beobachtende zahlenmäßige Rückgang der Musikalienhändler in Deutschland parallel zum Einbruch des gesamten Einzelhandels. „Wir haben eine wirtschaftliche Krise in Deutschland, die insbesondere den Einzelhandel betrifft“, erläutert Heinz Stroh. Gerade dem Handel, der schwerpunktmäßig Noten verkauft, geht es aber – gerade wegen der Preisbindung – vergleichsweise gut. Händler, die vor allem Instrumente oder Musik-Elektronik verkaufen, haben sehr viel mehr Grund zur Klage. – Sicher ist, dass auch das Geschäft mit den Noten nicht eben auf Rosen gebettet ist. Die Aufhebung der Buchpreisbindung allerdings würde für keines der Probleme eine Lösung bedeuten.