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Die Dinge beim Namen nennen: Jonathan Fischer über seinen Sampler „Message Soul“

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Seit Jahren kompiliert sich Jonathan Fischer durch die Geschichte der schwarzen Musik, ihre Themen, Genres und politisch-gesellschaftlichen Querbezüge. Nach Country-Soul („Dirty Laundry“), den Beziehungsdramen von „Cheatin’ Soul“ und den schwarzen Wurzeln des Rock ‚n’ Roll („Roll Your Moneymaker“) geht es auf „Message Soul“, seinem 13. Sampler, wieder um Musik und Politik. Über die Botschaften des Soul zwischen Obama und Hip Hop, Systemkritik und Seelenqual unterhielt sich der Münchner Musikjournalist und DJ mit Claus Lochbihler.

nmz-online: Was ist das Grundanliegen hinter „Message Soul“, Deinem neuen Sampler?

Jonathan Fischer: Ich will zeigen, dass es auch heute gute Soulmusik gibt, die sich mit gesellschaftlichen und politischen Fragen beschäftigt. Im Vergleich zu den 60-er und 70-er Jahren ist diese Art von Soul allerdings in den Untergrund abgetaucht. Wenn man heute nur den kommerziellen Mainstream schwarzer Musik hört, wird man Songs wie „Krooked Kop“ von Anthony David, in dem es um Polizei-Rassismus in Atlanta geht, kaum zu hören bekommen. Ich will hörbar machen, dass es diese Musik, die ich „Message Soul“ nenne, auch heute noch gibt. Man muss nur genauer hinhören.

nmz-Online: Wann hattest Du zuletzt bei einem Soulkünstler den Eindruck, dass sich die Leute nicht nur für seine Musik, sondern auch seine „Message“ interessieren?

Fischer: Bei einem Konzert von Anthony Hamilton in London. Das Publikum kannte ganze Songs auswendig. Die hingen richtig an seinen Lippen. Hamilton zieht ein sehr loyales Publikum an, das sich ansonsten von der aktuellen Musik ziemlich verabschiedet hat.

nmz-online: Hat die Botschaft des sendungsbewussten Soul von heute immer noch mit dem Gospelerbe dieser Musik zu tun oder speist sie sich mittlerweile aus anderen Quellen?

Fischer: Nein. Auch heute noch gilt: Der Soul kommt vom Gospel, letztlich also aus der Kirche. Das hat auch damit zu tun, dass die amerikanische Gesellschaft viel religiöser tickt als das, was wir von Europa her kennen. Soul ist verweltlichter Gospel. Deswegen ist Soul im Kern auch keine zweckfreie Musik. Der Soul und seine Künstler haben etwas zu sagen, was über reine Unterhaltung hinausgeht.

nmz-online: Kann es sein, dass Du als Sohn eines evangelischen Pfarrers für die Botschaften des „Message Soul“ besonders empfänglich bist?

Fischer: Puh, darüber habe ich bislang noch gar nicht nachgedacht! Kann schon sein, dass das bei mir unterbewusst eine Rolle spielt. Sicherlich ist man als Pfarrerssohn gezwungen, sich mit der sendungsbewussten Tätigkeit des Vaters zu messen. Da ist es eher unwahrscheinlich, dass man Verwaltungsbeamter wird. Eher DJ und Journalist. Ich kenne jedenfalls viele DJs und Journalisten, die wie ich aus einer Pfarrersfamilie stammen.

nmz-online: Vorhin hast Du vom Abtauchen des „Message Soul“ in den nicht-kommerziellen Untergrund gesprochen. Woran liegt es, dass in den 70-er Jahren der „Message Soul“ eines Marvin Gaye oder Curtis Mayfield charttauglich war, während man heute danach suchen muss?

Fischer: Der Hauptgrund ist für mich, dass Ende der 70ere, Anfang der 80er-Jahre Soul zum Rhythm ‚n’ Blues umdeklariert wurde. Im Kern war das ein marktstrategischer Verpackungstrick der Musikindustrie: Rhythm ‚n’ Blues klingt weniger nach schwarzer Musik, hat wenig bis gar nichts mit afro-amerikanischer Idenität zu tun und lässt sich deswegen besser vermarkten. So jedenfalls das Kalkül der Labels. Leider hat die Verpackung zunehmend auch den Inhalt bestimmt. Was sich seit Ende der 70er-Jahre Rhythmn ‚n’ Blues schimpft, ist im besten Fall gut klingende, manchmal sogar gut tanzbare Musik. Im schlimmsten Fall handelt es sich einfach nur um Kuschelmusik. Oft genug ist beim Rhythm ‚n’ Blues auch noch der Blues auf der Strecke geblieben. Vor allem aber wird man bei diesem Genre vergeblich nach Lyrics und Themen suchen, die einen dazu zwingen, sich mit der Lebenswirklichkeit und den politischen oder gesellschaftlichen Anliegen des schwarzen Amerika auseinander zusetzen.

nmz-online: Welche Rolle spielte in dieser Entwicklung der Hip Hop?

Fischer: Er hat den alten Soul abgelöst – ästhetisch wie kommerziell. Der Restsoul, der als Rhythm ‚n’ Blues dahinvegetierte, hat sich in den Schlepptau des Hip Hop begeben. Aus kommerziellen Gründen, manchmal aber auch auf der verzweifelten und oft vergeblichen Suche nach einer neuen Authentizität. Im Endeffekt hat sich der Rhythm ‚n’ Blues oder Soul dem Hip Hop angepasst – musikalisch wie inhaltlich. Den musikalischen Einfluss des Hip Hop hört man im Übrigen auch bei den Songs, die ich für „Message Soul“ ausgewählt habe: Leute wie Anthony Hamilton oder Donnie knüpfen mit ihren fantastischen Stimmen und den Themen, die sie besingen, an den großen Soul der 70er-Jahre an. Dass es sich um Soul handelt, der in den letzten zehn Jahren entstanden ist, hört man vor allem dem rhythmischen Fundament dieser Songs an – den Hip Hop- und Break Beats, über die sie ihre Geschichte erzählen. Aber eben nichts als Rapper, sondern als zeitgenössische Soulsänger.

nmz-online: In Deinen Liner Notes, aber auch in den von Dir ausgewählten Songs klingt allerdings auch die eine oder andere Kritik am Hip Hop an. Zum Beispiel am Männer- und Frauenbild des Hip Hop und seinen testosterongesteurten Obsessionen.

Fischer: Es gibt politisch oder gesellschaftlich motivierten Hip Hop, in dem das Sendungsbewusstsein, die Themen und oft auch die Musik des alten Soul – gesampelt oder über einen Gastsänger – fortleben. Insofern sind die Grenzen natürlich fließend. Ich denke da an Leute wie Common oder Talib Kweli. Oder auch an eine Nummer wie das auf dem Sampler vertretene „Hold On“, bei der Erykah Badu ihrem Gastgeber, dem Rapper Pharoahe Monch ein wenig die Schau stiehlt. Aber diese Kontinuität zwischen Soul und Hip Hop stellt im Großen und Ganzen doch eher die Ausnahme dar. Nichts macht das so deutlich wie der Hypermachismo des Hip Hop, der seit ein paar Jahren den ganzen Mainstream prägt. Dieser Männlichkeitskult steht im krassen Gegensatz zum Soul, in dem es ja um Verletztlichkeit geht. Auch und gerade um die Verletztlichkeit derjenigen, die sich gerne taff geben: Die Männer. Der Soul ist ein Medium, in dem sich solche Gefühle sogar in einer Machogesellschaft ausdrücken lassen. Das ist auch das, woran jemand wie Anthony Hamilton anknüpft. Seine Message an die männlichen Hörern lautet: ‚Du musst nicht immer den Bauch einziehen und die Muskeln anspannen, nur weil Du glaubst, dem vom Hip Hop geprägten Macho-Bild entsprechen zu müssen. Atme auch mal aus! Und gestehe dir deine Schwächen ein. Dann kannst sie auch überwinden.’ Im Hip Hop wird man vergeblich nach so einer Aussage suchen.

nmz-online: Kann es sein, dass der Soul mehr das Individuum adressiert, während politisch bewegter Hip Hop eher das Medium für fundamentale Systemkritik ist?

Fischer: Ätzende Kritik lässt sich eben viel besser rappen. Und die Seele singt man sich besser aus dem Leib. Von der Grundtendenz her ist es vielleicht so: Soul zielt bei aller Kritik immer auf das große Miteinander. Wir alle stecken im gleichen Kirchen-Schiff – so lautet die Grundbotschaft des Gospel und des Soul. Der Hip Hop hat eine ganz andere Ausgangsbasis. Er ist ein Medium der Selbstdarstellung von Egomanen, die sich miteinander messen. Ein Einzelgängermedium wie zuvor der Blues. Im Gospel und im Soul geht es immer um eine reale oder gedachte Gemeinschaft, an die sich der Song richtet. Der Hip Hop ist viel individualisierter und kämpferischer.

nmz-online: Hat die Wahl Barack Obamas die schwarze Musik politisiert?

Fischer: Das bleibt abzuwarten. Im Hip Hop jedenfalls hat Obama einen Aufwind für sozialkritische, politische Stimmen erzeugt. Ich nehme an, dass das vielleicht auch auf andere Genres abfärben wird.

nmz-online: Ein Song auf Deinem Sampler macht den ersten schwarzen US-Präsidenten sogar explizit zum Thema.

Fischer: „Black House (Paint the White House Black)“ von Amp Fiddler. Die Vorlage zu diesem Song stammt von George Clinton aus den frühen 80-er Jahren. Damals war die Vorstellung eines schwarzen US-Präsidenten eine absolute Utopie. Das war letztlich nichts mehr als eine nette P-Funk-Spinnerei. So ähnlich wie George Clintons Weltraumphantasien, bei denen irgendwelche Schwarze im Mothership auf der Suche nach einem schwarzen Planeten in den Weltraum entgleiten. Ich kann mir vorstellen, dass George Clinton damals einen schwarzen Planeten für realistischer gehalten hat als einen schwarzen Präsidenten.

nmz-online: Es gibt noch andere Querbezüge zwischen Obama und dem „Message Soul“. Interessant ist zum Beispiel, dass einige Songs – besonders jene, die von Sängerinnen stammen – Themen ansprechen, die auch bei Obama eine Rolle spielen. Und zwar so, dass sie gesellschaftliche und persönliche Verantwortung miteinander verknüpfen. Ähnlich wie zum Beispiel Obama in seiner Vatertagsrede, als er afro-amerikanischen Vätern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, ins Gewissen redete.

Fischer: Es gibt sicher einen gewissen Gleichklang zwischen den Botschaften des alten Soul und gesellschaftlichen Fragen, die Obama angesprochen hat. Themen wie Selbstverantwortung oder Familienwerte, die auch im Soul durchaus wertkonservativ daher kommen können. Erst kürzlich hat Obama bei seiner Rede zum Jahrestag der NAACP afro-amerikanische Eltern dazu aufgefordert, sich mehr um das schulische Fortkommen ihrer Kinder zu kümmern, dabei aber natürlich den fortwirkenden Rassismus nicht unerwähnt gelassen. Das sind alles Themen, mit denen sich auch der „Message Soul“ beschäftigt. Es gibt in diesem Genre Systemkritik wie bei „Krooked Kop“, aber auch sehr persönliche Songs wie „Sometimes“ von Bilal: Da macht jemand fast schon tagebuchartig die Sache mit sich selbst aus. Ich glaube, dass es beide Art von Songs geben muss. „Krooked Kop“, weil sonst das Thema Polizeigewalt und „racial profiling“ nur dann eine Rolle spielen würden, wenn alle paar Jahre ein Prominenter verhaftet wird – so wie unlängst Henry Louis Gates. Dabei passiert so etwas tagtäglich vermutlich hundertmal, ohne dass es in die Schlagzeilen kommt. Und genauso braucht es natürlich die persönliche Sicht auf das Individuum. Sonst hieße die Musik auch nicht Soul

nmz-online: Bei aller Obama-Euphorie gibt es mittlerweile aber die ersten kritischen Stimmen auch aus dem afro-ameriknaischen Lager. So stören sich viele an der mit Obamas Wahl verbundenen Vorstellung, die US-Gesellschaft sei „post-racial“ geworden, die Hautfarbe spiele keine oder zumindest eine deutlich geringere Rolle in den USA als früher. Das sei vielleicht eine notwendige Strategie im Wahlkampf gewesen, spiegle aber nicht die Realität der amerikanischen Gesellschaft wider.

Fischer: Ich kann diese Kritik nachvollziehen. Obama ist als schwarzer Politiker in erster Linie Politiker. Und als solcher hat er es richtig gemacht: Um gewählt zu werden, hat er seine Hautfarbe, seine Herkunft, aber auch das Thema des Rassismus in einem gewissen Maße aus dem Wahlkampf herausgehalten. Das heißt jedoch nicht lange nicht, dass alle anderen das nun auch machen müssen. Es muss auch diejenigen geben, die die Dinge weiterhin beim Namen nennen – ohne irgendwelche Rücksichtnahmen. Einen Song wie „Krooked Kop“ wird man wohl niemals auf einer Wahlkampfveranstaltung zu hören bekommen. Aber darum geht es ja auch gar nicht. Es geht im „Message Soul“ darum, afro-amerikanische Lebenswirklichkeit abzubilden. Und die große Ungerechtigkeit und die vielen Missstände, die es in den USA natürlich immer noch gibt. Trotz Obama. Im übrigen geht es natürlich nicht nur um Weiß oder Schwarz. Es gibt nämlich auch Ausgrenzungsmechanismen innerhalb der schwarzen Community, die musikalisch thematisiert werden. India Arie macht das zum Beispiel mit „I Am Not My Hair“, wo es um darum geht, dass Schwarze jahrzehntelang ihr Haar künstlich geglättet haben, nur weil das so auch innerhalb der afro-amerikanischen Gesellschaft erwartet wurde.

nmz-online: Ist Dir schon mal ein Soul-Song begegnet, bei dem Du den Eindruck hattest, dass er sich nur aus kommerziellem Kalkül politisch gibt?

Fischer: Ehrlich gesagt noch nicht. Mag sein, dass es so etwas gelegentlich im Rock gibt. Aber politisch engagierter Soul verkauft sich viel zu schlecht, als dass es sich lohnen würde, das politische Fähnchen zu schwenken. Das ist immer noch etwas, was die Plattenfirmen allenfalls mit einer Kneifzange anfassen, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen und wie sie es vermarkten sollen. So gesehen ist „Message Soul“ keine Strategie – jedenfalls keine, um in die Charts zu kommen.

nmz-online: Was macht für Dich einen guten Message Soul-Song aus?

Fischer: Hauptkriterium für diesen Sampler waren ganz eindeutig die Lyrics. Es kam es mir wirklich darauf an, ob ein Song etwas zu sagen hat. Natürlich höre ich oft auch Songs, bei der mir in erster Linie die Musik gefällt und die Texte nicht wirklich Tiefe haben. Aber für „Message Soul“ mussten die Texte, die Themen und die Aussagen stimmen. Musikalisch bedeutet das, dass auf dem Sampler nicht unbedingt die Songs zu hören sind, die ich als erstes im Radio oder als DJ auflegen würde. Sondern die, die ich mir wegen der Lyrics, aber natürlich auch der Musik, am häufigsten anhören kann, weil man immer wieder hinhören und etwas für sich entdecken kann.

nmz-online: Gab es Songs, die Du gerne auf der Kompilation gehabt hättest?

Fischer: Von Anthony Hamilton hätte ich gerne einen zweiten Song präsentiert. Aber es war schon schwer genug, die Genehmigung für nur eine Nummer zu bekommen. Auch mit einem Song von Raphael Saadiq hat es nicht geklappt. Aber der war mir ohnehin nicht so wichtig, weil er ein klein wenig zu sehr nach Retro geklungen hat. Und ich wollte alles, aber bloß keinen Retro auf diesem Sampler.

nmz-online: Wie lange arbeitest Du an einer solchen Zusammenstellung?

Fischer: Vom ersten Gedanken bis zur fertigen CD und den Liner Notes ein gutes Jahr. Aufwändig ist vor allem die Korrespondenz mit den Labels und den Rechteinhabern.

nmz-online: In der Vergangenheit hattest Du gelegentlich mit Labels zu tun, die für ihre Songs horrende Lizenzgebühren gefordert haben.

Fischer: Manchmal denken die komischerweise, dass sich der von mir ausgewählte Song in Europa nicht ein paar Tausend Mal, sondern gleich hundertausendfach verkauft. Die erwarten dann Vorschüsse von 1.000 Dollar pro Song – dabei wäre die Hälfte noch zuviel für Trikont. Ich erkläre ihnen dann, wer Trikont ist: ein kleines engagiertes Label, dem es um Themen, gute Musik und schöne, manchmal auch unbequeme CDs geht. Ob sich das dann auch verkauft, ist erstmal zweitrangig. Für viele Amerikaner ist diese Herangehensweise kaum zu verstehen. Also erkläre ich es gern ein zweites Mal – manchmal glauben sie’s mir, manchmal eben nicht.

nmz-online: Was war Deine bislang erfolgreichste Kompilation?

Fischer: „Dirty Laundry“ zum Thema Country und Soul. Das lag sicherlich auch an der Musik, aber die war auch auf den anderen Samplern gut. Ich glaube, dass das Cover mit dem schwarzen Cowboy, dem Pferd und der Pfeife eine Rolle gespielt hat. Weil es ein Hingucker ist und das Thema auch sehr gut rüberbringt. Deswegen war mir auch diesmal die Gestaltung des Covers sehr wichtig.

nmz-online: Und worum dreht sich Dein nächster Trikont-Sampler?

Fischer: Ich will zeigen, aus welchen Einflüssen das Rappen und der Hip Hop entstanden sind. Es geht um Talkin’ Blues, Jive und alles andere, was in das Rappen eingeflossen ist. Die Aufnahmen
hat es so meines Wissens noch nie auf einer CD gegeben.

 

Message Soul
Politics & Soul in Black America 1998–2008
Compiled by Jonathan Fischer (Trikont)

 

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