Nicht immer ragt das nun 21 Jahre alte Musikfest Bremen derartig profiliert heraus wie dieses Jahr. Zwar hatte der Intendant Thomas Albert – auch Professor für Barockgeige an der Hochschule für Künste – das Konzept mit dem Anspruch aufgebaut, die Spitze der historischen Aufführungspraxis anzubieten, doch das wurde gelegentlich sehr verwässert. Umso erfreulicher ist die Strenge des Profils dieses Jahr.
Und da gibt es in der Tat einiges zu berichten: Da erklang an erster Stelle ein Konzert, das im Verborgenen blühte, denn über die Hälfte der Musikfestkonzerte ist inzwischen über Ostfriesland verteilt. Es handelte sich um das französische Ensemble „Pygmalion“ unter der Leitung des erst 26-jährigen Raphael Pichon. Mit Musik des großartigen böhmischen Komponisten Jan Dismas Zelenka und den ersten beiden Sätzen der Messe in h-Moll von Johann Sebastian Bach blühte auf der Basis der historischen Informiertheit im ostfriesischen Emden eine atemberaubende Klangpracht, die alles kurzgliedrige – und bei älteren Interpreten manchmal rechthaberische – weit hinter sich gelassen hatte. Vielleicht kann diese Enkel- und Urenkelgeneration der Harnoncourts, Leonhardts, Christies und Kuijkens so befreit Musik machen, weil sie nichts mehr beweisen muss.
Hier ist auch der junge französische Dirigent Jérémie Rhorer zu nennen. Das Orchester „Le Cercle de l'Harmonie“ spielte vergangenes Jahr unter seiner Leitung eine überwältigend durchsichtige und emotionale „Così fan tutte“, und auch dieses Jahr bewies er mit der explosiv federnden Pariser Sinfonie und der Schauspielmusik zu „Thamos“, dass hier ein großer Mozartinterpret heranwächst. Bleibende Eindrücke hinterließen auch „Anima Eterna“ unter Jos van Immerseel mit der „Symphonie Fantastique“ von Hector Berlioz oder auch die hinreißenden „Cappricio Stravagante“, dann Philipp Jarousky mit seinem populären, aber sehr schönen Monteverdi-Programm mit „L'Arpeggiata“, der schlichtweg grandiose Arnold Schönberg-Chor und vieles mehr innerhalb von drei dicht gedrängten Wochen.
Das Musikfest Bremen verfügt über einen Etat von 3,6 Millionen Euro, von denen 700.000 vom Kultursenator kommen. Diese Summe ist das Resultat einer Kürzung um 180.000 im Jahr 2007 und für 2011 ist eine weitere Kürzung auf 550.000 Euro angekündigt. Der Intendant: „Das Vertrauen ist angeknackst – erheblich sogar“. Das Vertrauen meint das der Sponsoren in die politische Verantwortung. Die Sponsoren wird Thomas Albert weiter binden müssen, denn dieses Mal entstand über das interpretatorische Niveau hinaus, aus der Notwendigkeit, auch auf die Dörfer zu gehen zu müssen, ein überzeugendes Konzept: die berühmten Arp-Schnitger-Orgeln machen die gesamte Region weltweit zu einer der dichtesten und – da sie inzwischen alle renoviert sind – interessantesten Orgellandschaften. Künstler aus der ganzen Welt kommen und kamen schon immer hierher. Nun hat Thomas Albert in sieben Konzerten die Instrumente von Arp Schnitger (1648-1719) den „Stradivari unter den Orgelbauern, den Rembrandt unserer Nordwestregion“ gewürdigt. Neben so renommierten Organisten wie Hans Ola Ericsson traten namhafte Vokalensembles und Instrumentalgruppen auf wie Weser-Renaissance, das Ensembe von Masaaki Suzuki oder auch Göteborg Baroque. Diese Konzerte waren alle Wochen vorher komplett ausverkauft. Außerdem wurde im Rahmen des Musikfestes an genau diesen Orgeln erstmalig ein internationaler Wettbewerb durchgeführt.
Doch ein Neuland reicht Thomas Albert normalerweise nicht aus. Und so kreierte er innerhalb des Festivals eine zweite Reihe mit dem Namen „Surprise“. Da tummelt sich in sechs Konzerten alles, was so ein bisschen „querschießt“, eben durchaus traditionelle Dinge mal anders macht oder neu versucht: da spielen „Spira mirabilis“ Orchestermusik – hier fulminant Beethovens Achte und Brahms' 1. Serenade – in streng kammermusikalischem Geist, also ohne Dirigent, da bilden Jos van Immerseel und Claire Chevalier ein klanglich sensationelles Klavierduo an zwei historischen Érard-Flügeln. Und dann – eine ganz neue Aufführungspraxis – durch das New Yorker Ensemble „Alarm will Sound“ die Bearbeitung elektronischer Musik durch akustische Instrumente. Es bleibt zu bedauern, dass es wirklich Neue Musik beim Musikfest Bremen nicht gibt, aber die Entdeckung derart vieler großartiger ganz junger Interpreten und der gelungene Versuch, eine bloße Aneinanderreihung von Konzerten, die anderswo auch laufen, zu vermeiden, versöhnt durchaus und macht Vorfreude auf Zukünftiges.