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Klaus Hatting (VBSM)
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Die Gunst des Augenblicks langfristig nutzen

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Klaus Hatting (VBSM) im Gespräch über die Rolle der Musikschulen in Zeiten von JeKi und Ganztagsschule
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Jedem Kind ein Instrument! Diese Losung ist in aller Munde, doch nicht jeder, der sie im Munde führt, meint dasselbe damit. In Bayern, wo es einige JeKi-ähnliche Initiativen gibt, möchte nun der Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen (VBSM) mit einem Fachtag zur Diskussion darüber anregen, wie das im Tagungsmotto „Musikalische Bildung für jedes Kind“ anvisierte Ziel in Bayern realisiert werden könnte. Dazu sprach Juan Martin Koch mit Klaus Hatting (Foto: privat), der nach seinen Tätigkeiten als Leiter der Musikschule Attendorn-Finnentrop und als Bildungsreferent des Landesmusikrates Niedersachsen seit 1992 die Musikschule im Landkreis Passau leitet und als 2. Vorsitzender des VBSM für die Zusammenarbeit von Musikschulen und allgemein bildenden Schulen zuständig ist.

neue musikzeitung: Wie weit ist man in Bayern von dem Ziel entfernt, jedem Kind eine qualifizierte Möglichkeit zum Musizieren, sei es mit einem Instrument, sei es mit der Stimme, zu ermöglichen?
Klaus Hatting: Um dieses Angebot wirklich für jedes Kind erreichbar zu machen, gehen wir davon aus, dass es ein wirklich flächendeckendes Netz von Musikschulen geben muss. Das ist in Bayern bisher leider nicht geglückt. Bis jetzt erreichen wir etwa zwei Drittel der Bevölkerung mit dem Angebot, in 40 Prozent der Kommunen gibt es eine örtliche Musikschule oder zumindest eine Zweigstelle. Unsere Zielvorstellung ist es natürlich, dieses Netz flächendeckend aufzubauen, also mindestens 90 Prozent der Bevölkerung zu erreichen.

nmz: Welche Ansätze gibt es in Bayern bisher, um trotz dieses Mangels die Quote der Musikalisierung zu erhöhen?
Hatting: Grundsätzlich geht es darum, was man in der veränderten Bildungslandschaft an neuen Konzepten entwickeln kann. Entweder, indem Kinder trotz Ganztagsschule die Musikschule besuchen können, oder indem umgekehrt die Musikschulen in gebundenen Ganztagsschulen mithelfen, solche Angebote der musischen Beschäftigung in einem getakteten Stundenplan anzubieten. Dazu gibt es bisher verschiedene Konzepte, etwa den Fortbildungslehrgang, den der VBSM zusammen mit dem Bayerischen Blasmusikverband, dem Wissenschafts- und dem Kultusministerium für die Leitung von Klassenmusizieren mit Blasorchesterinstrumenten anbietet, oder die Fortbildungen zur Kinderstimmbildung des Chorverbandes Bayerisch-Schwaben mit der Musikakademie Marktoberdorf in Zusammenarbeit mit dem VBSM.

nmz: Wie sehen konkrete Pilotprojekte in Bayern aus, die sich am NRW-Modell „JeKi“ orientieren?
Hatting: Soweit uns bekannt, gibt es in Bayern sechs JeKi-ähnliche Projekte: in Donauwörth, Traunreut, Erlangen, Wertingen, Buchloe und Kaufbeuren. Wir haben als Verband eine gewisse kritische Distanz zu JeKi. Uns wäre sehr daran gelegen, dass dieses Projekt, wo immer es stattfindet, in einen größeren Rahmen musikpädagogischer Maßnahmen eingebunden wäre. Wir denken, dass eine Musikalisierung nicht erst in der Grundschule anfangen sollte und schon gar nicht nach drei oder vier Jahren wieder aufhören dürfte. Eine sinnvolle Einbindung eines solchen Konzeptes ist aus unserer Sicht nur möglich in Zusammenarbeit zwischen Schulen, Kindergärten und Musikschulen. Die Unterweisung sollte ja schon im vorschulischen Bereich anfangen, dann geht es an der Grundschule eben nicht bei Null los wie bei JeKi. Da aber natürlich nicht gewährleistet ist, dass alle Kinder im Vorschulalter bereits die Möglichkeit hatten, an solchen Angeboten teilzunehmen, kommen die Kinder möglicherweise mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in die Grundschule. Bei manchen macht es keinen Sinn, da wieder mit einem Instrumentenkarussell zu beginnen. Es müsste ein wesentlich differenzierteres Angebot möglich sein, was aber natürlich einen hohen Personalstand voraussetzt, womit wir dann auch schon bei der Frage nach den Finanzen wären. Aus unserer Sicht ist es heikel, von Sponsorengeldern abhängig zu sein, weil möglicherweise die Langfristigkeit fehlt. Wenn dann ein mit viel Euphorie gestartetes Projekt irgendwann verpufft, steht man vor einem riesigen Scherbenhaufen. Eine weitere Frage wäre, wo die Kinder hingehen, wenn sie aus diesem Klein- oder Großgruppenunterricht nach zwei bis drei Jahren herauswachsen. Da ist es erst recht nötig, dass Musikschulen vorhanden sind, die die Kinder im regulären Instrumentalunterricht weiterführen können, da braucht man auch entsprechende Kapazitäten an ausgebildeten Lehrkräften, ein Problem, das nicht auf die Schnelle gelöst werden kann.

nmz: Dazu kommt in einem Flächenland wie Bayern ja auch noch die geografische Komponente.
Hatting: Auch im Ruhrgebiet gibt es da kritische Anmerkungen von umliegenden Musikschulen. Ihnen wird von den Musikschulen im Ruhrgebiet Personal abgeworben, weil dort ein hoher Bedarf besteht und auf einmal Festanstellungen mit Vollbeschäftigung garantiert werden können; die Musikschulen in den Randlagen bluten aus. Hier wäre das natürlich eine Katastrophe, wenn nur noch an einigen zentralen großen Musikschulen die Lehrkräfte gebündelt wären. Für Bayern bedeutet das: Wenn wir erreichen wollen, dass in einer konzertierten Aktion aus allen Bildungspartnern musikalische Bildung qualifiziert für jedes Kind angeboten werden kann – was ja noch nicht heißt, dass jedes Kind ein Instrument lernen muss –, dann muss zunächst einmal Sorge getragen werden, dass wirklich in der Fläche qualifizierte Musikschulen inklusive entsprechender Fachlehrkräfte vorhanden sind, die dann als Partner zur Verfügung stehen. Das ist unsere vorrangige Zielsetzung in den nächsten Jahren. Die positiven Energien, die mit den Einzelprojekten losgetreten wurden, wollen wir nutzen, um dafür eine noch größere Lobby zu schaffen. Wir sind dabei einen Plan zu entwickeln, der dieses Ziel schrittweise erreichbar machen soll: In einigen Jahren wollen wir in Bayern in so vielen Kommunen öffentliche Musikschulen haben, dass wir etwa 90 Prozent der Bevölkerung erreichen.

nmz: Was würde das finanziell bedeuten?
Hatting: Wir müssen Anreize schaffen, in den Kommunen, wo es bisher keine Musikschulen gibt, neue zu gründen. Entscheidend wäre eine Erhöhung der Landesmittel, die ja derzeit etwa bei einer Größenordung von knapp elf Prozent der Lehrerpersonalkosten stehen, mit einem Finanzvolumen von 15 Millionen Euro jährlich für ganz Bayern. Das ist, wenn man in die Nachbarschaft schaut, etwa nach Ober-
österreich, nicht viel. Wenn wir es schaffen, dort schrittweise auf die von allen Seiten seit vielen Jahrzehnten geforderten 25 Prozent zu kommen, wäre das ein großer Anreiz für Kommunen, neue Musikschulen zu gründen.

nmz: Sollten die 25 Prozent dann für alle Musikschulen gelten?
Hatting: Eine weitere schrittweise Anhebung der Landesmittel ist für Kommunen mit bestehenden Musikschulen ein Anreiz, diese weiter auszubauen.Gleichzeitig wird dies auch die Gründung neuer Musikschulen anschieben. Am Ende soll für alle Musikschulen die Übernahme eines Viertels der Lehrpersonalkosten durch den Freistaat garantiert sein. Unser Ziel ist es, dies im neuen Bayerischen Musikplan,  der kurz vor der Verabschiedung steht,  zu verankern. Worüber schon sehr lange geredet wird, muss nun endlich umgesetzt werden.

nmz: Mit dem ehemaligen Kunstminister Thomas Goppel steht ja nun ein Politiker an der Spitze des Bayerischen Musikrates, der das Thema bisher von der anderen Seite aus kennt. Was erwarten Sie sich von seiner Amtszeit?
Hatting: Der Auftrag an den VBSM, einen Stufenplan zur flächendeckenden Versorgung mit Musikschulen zu erarbeiten, stammte von ihm. Der erste Entwurf ist ihm auch schon vorgelegt worden und wurde mit dem Ministerium abgestimmt. Es wird jetzt darum gehen, dieses auch dem neuen Minister zu unterbreiten, um schon für den anstehenden Doppelhaushalt 2009/10 entsprechende Weichen zu stellen. Da erhoffen wir uns vom neuen BMR-Präsidenten schon die nötige Rückendeckung. Er hat sich ja auch schon dahingehend geäußert, dass er seine vorrangige Aufgabe darin sieht, die Projekte, die in seiner Amtszeit auf den Weg gebracht wurden, nun nachhaltig zu unterstützen, damit das nahtlos weitergeführt werden kann.

nmz: Was erwartet die Teilnehmer bei dem Fachtag, der am 10. Januar stattfindet?
Hatting: Die Fachtagung ist ein wichtiger Baustein unserer Strategie. Es geht darum, den Gedankenaustausch unter denen, die schon Kooperationsprojekte wie etwa JeKi durchführen, mit solchen zu befördern, die das Ganze kritisch betrachten. In einer fachlichen Diskussion – auch unter Einbeziehung weiterer praxiserprobter Beispiele vernetzter musikpädagogischer Maßnahmen zwischen den Bildungspartnern allgemein bildende Schule und Musikschule – sollen Grundlagen für die Weiterentwicklung bayernweit greifender Konzepte erarbeitet werden. Lehrer aus allgemein bildenden Schulen sind ausdrücklich eingeladen, daran ebenfalls mitzuwirken.

Der Fachtag „Bildungspartner Musikschulen – Allgemein bildende Schulen‚ Musikalische Bildung für jedes Kind“ findet am Samstag, den 10. Januar 2009, von 10 bis 17 Uhr in der Kreismusikschule Erding statt. Anmeldung bis 5. Januar unter http://www.musikschulen-bayern.de

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