Zu lange hatten die Opernhäuser das junge und jüngste Publikum nicht berücksichtigt und somit selbst Lücken in den Nachfolge-Generationen ihrer Besucher ausgelöst. Wie ein Blick in die Regale der Supermärkte zeigt, hat die Vorweihnachtszeit schon begonnen, und auch die drei Berliner Opernhäuser denken mit ihren Produktionen verstärkt an die Kinder.
Seit 2009 gibt es im Berliner Stadtteil Lichtenberg eine Kinderoper, die seit September über Bundesmittel gefördert wird. Als ein Kooperationsprojekt mit der Staatsoper im Schiller Theater und dem Caritasverband für das Erzbistum Berlin e. V., erarbeiten im Kinder- und Jugendfreizeitzentrum Steinhaus Acht- bis Zwölfjährige eigene Opernprojekte, die dann in der Staatsoper auf dem Spielplan stehen. Nach den Projekten Sternzeit F:A:S (nach Chabriers „L’etoile“), einem inszenierten Liederabend „Mir träumte“ und dem barocken Singspiel „Engel Singen Hören“ (auf Musik von Händel) wurde nun mit „…was Du nicht siehst“, frei nach „Children’s Corner“ von Claude Debussy, ein pädagogischer Zugang zum Impressionismus szenisch erarbeitet.
Eine Projektion auf dem Schleiervorhang der diesmal als Guckkastenbühne bespielten Werkstatt zeigt Debussy mit seiner dreijährigen Tochter Emma-Claude, genannt Chouchou, der er seine Klavier-Suite gewidmet hat. Als lebensgroße Puppe (Puppenbau: Magda Lena Schlott) erlebt Chouchou, abwechselnd von zwei Spielerinnen geführt, sechs Stationen der musikalischen Reise zwischen Picknick und Unterwasserwelt.
Dafür hat Regisseurin Jennifer Jarka, im Verein mit Projektleiterin Regina Lux-Hahn, ebenso einfache wie überzeugende Lösungen gefunden. Ein Lüftungsschlauch wird zum Wurliwurm oder zum Elefantenrüssel (in Debussys „Jimbo’s Lullaby“). Witzig parodieren zu Maurice Ravels „Drei schöne Paradiesvögel“ drei Mädchen mit hochhackigen Schuhen Schminkorgien und Catwalk als Unwesen der Modebranche. Im Bühnenbild von Hanne Loosen wird ein schwarzer, multipel bespielbarer Iglu zu einem Klettergestell, und ein weißes Zelt, von den Kindern selbst aufgebaut, bietet bei Ravels Foxtrott aus „L’enfant et les sortilèges“ die Öffnungen für ein Zauber-Spiel aller Hände oder Füße. Ein Junge mit Bademütze und Taucherbrille stürzt sich von der Zuschauertribüne auf ein blaues Springtuch als Wasserfläche, dann bewegen sich zu Ravels „Ronde“ und Debussys „Ondine“ originell gefertigte Quallen durch den Raum, und die Chouchou-Puppe reitet auf einem bemannten Fisch. Der kleine Hirte aus „Children’s corner“ aber ist ein Fotograf für eine Gruppenaufnahme seiner 20 Mitspieler/-innen.
Bewusst wurde diesmal auf solistische Gesangsparts verzichtet. Von der musikalischen Leiterin Ursula Stigloher am Flügel und der Flötistin Stephanie Wilbert professionell begleitet, wird das Klangspektrum angereichert durch eine von den Kindern gespielte Schlagzeugbatterie oder eine hereingefahrene Glasharmonika als Reminiszenz an die Gamelan-Musik (Instrumentale Entwicklung: Zarko Jovaselvic). Zu Debussys „Minstrels“ werden Flaschen angeschlagen und geblasen, und zu „Golliwogg’s cake-walk“ erfolgt eine Improvisation verschieden tickender Uhren. Sind Mikrofone zur Verstärkung der Klänge erforderlich, so besorgen auch dies die Kinder – ohne Hilfe der Tontechnik – selbst.
Schon vor der letzten Nummer der 60-minütigen Aufführung wollte am Premierenabend der Schlussapplaus einsetzen. Auch das Verbeugen will erlernt sein, und die Applausordnung erweist sich als eine von den zahlreichen Erziehern in der experimentellen Probenphase ebenfalls gut einstudierte Nummer. Die einzige wirklich gesungene Darbietung dieses Kinder-Opernprojekts erfolgte dann als Zugabe erneut.
Weitere Vorstellungen: 13. Oktober (Staatsoper), 26., 27. Oktober 2013 (Kulturhaus Karlshorst)