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Liebe unterm kommunistischen Mount Rushmore: Lance Ryan und Catherine Foster im Bayreuther „Siegfried“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Liebe unterm kommunistischen Mount Rushmore: Lance Ryan und Catherine Foster im Bayreuther „Siegfried“. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Die kommunistischen Großköpfe und Siegfrieds Kalashnikow: „Siegfried“ bei den Bayreuther Festspielen

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Ein heftiger Buhsturm brandete nach dem Schlussduett des „Siegfried“ auf. Frank Castorf wurde seinem Attribut als „Stücke-Zertrümmerer“ gerecht und brachte nach der szenischen Ebbe in der „Walküre“ nunmehr eine Bilderflut an Regieeinfällen. Mit den Solisten war besser gearbeitet worden als in der „Walküre“ und auch Kirill Petrenkos musikalische Leitung bot eine erneute Steigerung.

Die Neuinszenierung des „Siegfried“ zeigt eine geteilte Welt – wie Berlin zur Zeit des kalten Krieges. Daher ließ sich der Regisseur von seinem Bühnenbildner Aleksandar Denić eine sozialistische Parodie auf den Mount Rushmore auf der Drehbühne errichten – aber statt den vier in South Dakota in den Berghang gehauenen amerikanischen Präsidenten sind es die Abbilder von Marx, Stalin, Lenin und Mao. Die plastischen Häupter dieser kommunistischen Revolutionäre sind von Baugerüsten umgeben, die zahlreiche Kletterpartien bis in die höchste Höhe erlauben. Auf der Rückseite liegt Berlin Alexanderplatz in spätsozialistischer Moderne, mit U- und S-Bahneingang, Überwachungskameras und Postamt.

Als „sein eigen Bild“, später auch als „Mutter“ bezeichnet Siegfried das Vorbild von Karl Marx, und als jener, „der das Fürchten nie gelernt“, wird Lenin angespielt; im Schlussakt werden alle vier als „Götter“ besungen. Den Tankwart aus der Tankstelle des „Golden Motel“ in „Rheingold“ hält sich nun der kittelberockte Mime als Underdog am Strick und beschmiert den Leibeigenen mit schwarzer Farbe. Der springt Mime auch in der Funktion jenes Bären an, welchen Siegfried in Wagners Spielvorlage mitbringt, um Mime zu erschrecken. Das hier längs in Trümmer gespaltene Schwert schweißt und hämmert Siegfried im und neben dem Wohnwagen Mimes, wozu der Underdog (mit draufgängerischer Intensität gespielt von Castorfs Assistent Thomas Schramm) Luftsprünge vollführt. Gleichzeitig aber führt Siegfried zwei Kalashnikows als seine Ersatzwaffen ein.

Zur Wissenswette kommt Wotan als Wanderer mit Hut und Sonnenbrille, aber Mime enthüllt dessen Identität und zertritt die Gläser. Während Wotan in dieser Inszenierung – entgegen dem Text – stets mit zwei Augen auftritt, erhält er hier, als im dritten Aufzug des „Siegfried“ erneut vom fehlenden Auge die Rede ist, sein rechtes Auge mit Strahlenkranz als ein besonders intaktes göttliches Auge geschminkt. Ansonsten aber benimmt er sich mehr proletarisch als göttlich, besäuft sich, raucht und frisst Spaghettis in sich hinein.

Der Waldvogel ist eine südamerikanische Tänzerin (aus Kuba?), die vom nahen Friedrichstadt-Palast abgestellt ist, Siegfried in die Künste der Liebe einzuführen. Siegfried besitzt kein Horn und gestaltet seine Versuche, die Weise des Waldvogels auf dem Rohr zu imitieren, mit Utensilien aus dem Abfalleimer, seinen Hornruf mit dem Platschen in Pfützen.

Fafner hat sich nicht in einen Lindwurm verwandelt, sondern residiert im Untergrund  mit fünf Damen, die er mit Luxusartikeln aus dem Intershop verwöhnt. Er wird von Siegfried mit einer Salve aus der Kalashnikow getötet. Zwar hat die Festspielleitung auf Aushängen und auf dem Besetzungszettel darauf hingewiesen, dass es „im 2. Aufzug zu einem lauten Bühneneffekt“ kommen werde, welcher das Gehör der Besucher aber weder gefährden noch schädigen werde. Doch ein Premierenbesucher im Parkett erlitt bei der Gewehrsalve einen solchen Schock, dass er durch die Reihe aus dem Saal transportiert werden musste. Seinen Ziehvater Mime erdolcht Siegfried sodann mit einem Messer, mit dem er sich gerade die Fingernägel gesäubert hat, und anstatt den Drachen und dann auch Mime auf den Hort zu legen, übergießt er Mime mit Müll.

In der Schlussszene des dritten Aufzuges überborden die Einfälle des Regisseurs: Brünnhilde und Siegfried verlassen die sozialistische Vorzeige-Einöde und feiern auf dem Alexanderplatz mit Rotwein und Spaghetti. Dazu legt Brünnhilde – von Siegfried wenig beachtet – ein Brautkleid an, während sich zwei Krokodile nähern. In der Manier von Pina Bauschs „Keuschheitslegende“, verschlingt das eine die nun ebenfalls weiß gewandete Darstellerin des Waldvogels; das andere wird von Siegfried mit Würfelzucker gefüttert, und Brünnhilde rammt ihm einen kompletten, zusammengefalteten Sonnensschirm ins Maul; dann rettet Siegfried die asiatische Ex-Geliebte aus dem Bauch des Reptils und gönnt zum Schlussakkord auch Brünnhilde eine Umarmung.

Projektionen gelten an diesem Abend Alberichs gereckter kommunistischer Faust, den Hufen des Pferdes Grane, der ahnungsvollen Vorwegnahme eines blutigen Endes der Beziehung zwischen Siegfried und Brünnhilde oder der Überblendung der Köpfe von Lenin und Stalin durch die von Siegfried und Wotan. Aber im dritten Aufzug gibt es auch wieder Live-Details. Erda, nun deutlich als Bahnhofs-Nutte „aus heimischer Tiefe“ gezeichnet, probiert mehrere Perücken für die Wiederbegegnung mit Wotan aus, und erreicht nach falschem Abgang in Schwarz mit Superblond ihr Ziel. Auf Wotans Geheiß, „hinab denn“, geht sie auf die Knie und befriedigt ihn oral – auf dem übergroßen Screen des Bahnhofs in Nahaufnahme zu bestaunen – bis Wotan die ihm vom Kellner gebrachte Rechnung Erda in den Mund stopft und sich verdrückt. Kein Wunder also, dass große Teile des Bayreuther Premierenpublikums vielfältig schockiert waren.

Musikalisch war der „Siegfried“ der bislang bestgelungene Abend des Bayreuther Festspielsommers. Kirill Petrenko bewegt sich mit seiner musikalischen Interpretation auf einer nunmehr deutlich von der szenischen Deutung abgehobenen, gleichwohl ebenfalls sehr nuancierten Lesart. Er arbeitet mit dem makellos spielenden Festspielorchester immer wieder Motive heraus, die sonst als Begleitfigur untergehen, betont rhythmische Strukturen und setzt mit großem Atem auf intensive Spannungssteigerungen.

Wolfgang Koch überzeugt als Wanderer in Top-Form, gleichermaßen hinreißend im Spiel, wie in seiner stimmlich differenzierten Gestaltung. Lance Ryan als Siegfried verfügt über ein wenig schönes, großes Organ, liegt auch in der Intonation oft daneben, ist aber auch in der Nahaufnahme ein toller Typ, kletterfreudig und wendig, und obendrein textintensiv. Catherine Foster als Brünnhilde bietet trotz fragwürdiger Intonation intensiv geführte Piano-Passagen und schöne Schwelltöne, sowie ein leuchtendes C.

Erneut obsiegen stimmlich und darstellerisch Sorin Colibran als Fafner und Nadine Weissmann als Erda, sowie Mirella Hagen als Waldvogel. Burkhard Ulrich bietet eine ungewöhnliche stimmliche Charakterisierung des Mime. Sicherer als im „Rheingold“ gestaltet Martin Winkler den hier seine Langeweile mit ambivalenten Plakatierungen vertreibenden Alberich.

Nach heftigen Unmutsäußerungen während des dritten Aufzuges und am Ende, war der Applaus für die Rollenträger zunächst auch mit einigen Buhrufen untersetzt, steigerte sich dann jedoch zu vollem Zuspruch.

Die nächsten Aufführungen: 17. und 25. August 2013.

 

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