Beinahe ungläubig lässt Wolfgang Rihm seinen Blick durch den dicht besetzten Zuschauerraum des Badischen Staatstheaters Karlsruhe schweifen. Die erste Programmhälfte des Festkonzerts anlässlich seines 60. Geburtstags liegt da bereits zurück: seine frühen „drei Walzer“ für Orchester und das 2005/2006 entstandene „Konzert in einem Satz“ für Cello und Orchester.
Gleich wird die Badische Staatskapelle „Vers une Symhonie fleuve VI“ uraufführen, ein Auftragswerk der Stadt Karlsruhe. Zuvor wollte er noch schnell das Wort ergreifen, doch es fiel ihm für einen Moment sichtlich schwer. Die große Aufmerksamkeit, die ihm und seiner Musik in seiner Heimatstadt Karlsruhe aufgrund des Jubiläums entgegengebracht wird, überwältigt den Komponisten. „Sprachlosigkeit“, platzt es schließlich aus ihm heraus. „Das ist mir noch nie widerfahren: Ich bin sprachlos“.
In Karlsruhe dreht sich momentan alles um Rihm. Kein Wunder, dass er um Worte ringt; noch vor zehn Jahren feierte er in seiner Heimatstadt eher im Stillen. „Musik baut Europa – Wolfgang Rihm“, so lautet das Thema der diesjährigen „21. Europäischen Kulturtage“, die von der Stadt und dem Badischen Staatstheater in Kooperation mit zahlreichen örtlichen Institutionen ausgerichtet werden und vom 16. März bis 6. April seine Musik zentrieren: in Konzerten, Ausstellungen, Vermittlungsprojekten, Gesprächen und vielem mehr. Um die 50 Werke des Jubilars werden in diesem Rahmen erklingen.
Als Rihm nach der kurzen Irritation seine gewohnt bescheidenen Worte wiederfindet, wird deutlich, wie fest seine Wurzeln in der badischen Fächerstadt sitzen, in der er bis heute lebt und arbeitet. Mit feurigen Augen erzählt er, wie er bereits als junger Mann jeden Sonntag in die Sinfoniekonzerte der Badischen Staatskapelle geeilt war, um dort erstmals auf die Werke eines Komponisten mit Namen „Mahler“ zu stoßen – die er mit Begeisterung aufsog. Die Staatskapelle war ein wichtiger Teil seiner künstlerischen Entwicklung und sie ist es immer noch. Zuletzt führten sie erstmals das vom Badischen Staatstheater in Auftrag gegebene „Eine Straße, Lucile“ auf und nun, zu seinem Sechzigsten, „Vers une symphonie fleuve VI“. Daher galt Rihms Dank an dem Abend ganz besonders diesem traditionsreichen Orchester, das 2012 sein 350-jähriges Bestehen feiert – und damit älter ist als Karlsruhe selbst.
Beide Jubiläen befruchteten sich an diesem Abend gegenseitig. Resultat war ein klanglich überwältigendes Festkonzert ausschließlich mit Werken von Rihm. Die Staatskapelle unter der Leitung von Justin Brown eröffneten das Programm mit den „drei Walzern“ für Orchester – dem „Sehnsuchtswalzer“, dem „Brahmsliebewalzer“ und dem „Drängenden Walzer“. Mit schillernder Eleganz gleiten die drei Stücke in ihrer Lieblichkeit übers Parkett, drehen und wenden sich. Man möchte sie geradezu umarmen. „Etwas Zurückgelehntes, etwas vorgeschoben Zartmeinendes, genießerisch Zigarriges scheint in ihnen aufgehoben“, schrieb Rihm einst über die drei frühen Stücke. Ganz anders im Charakter: das Konzert in einem Satz für Cello und Orchester, in dem die virtuose Cellostimme – fabelhaft gespielt von Tanja Tetzlaff – eine ungemeine Präsenz hat. Die Cellostimme scheint unendlich singen zu wollen; etwas rätselhaftes liegt in ihrem Tonfall verborgen. Zudem ist das Konzert ungemein kontrastreich: Plötzliche Verdichtungen folgen lichten Passagen, als würde der immerwährende Fluss des Cellos, gebettet in den farbenreichen Orchesterklang, für einen Moment ausgebremst werden.
Eigentlich hält Wolfgang Rihm nicht viel von Konzerteinführungen. Seine plausible Überzeugung lautet: „Die beste Einführung in Kunst ist immer noch die Kunst selber“. Im Angesicht der vielen Zuhörer, die ihm während seiner Ausführungen auf der Bühne verzückt an den Lippen hingen, sagte er ein paar Worte zu seinem neuen Werk „Vers une symphonie fleuve VI“, welches nun direkt im Anschluss das Dunkel des Konzertsaals erblicken sollte. Es ist Rihms Suche nach einer „fließenden Symphonie“, der er sich nun zum sechsten Mal annähert und die er vielleicht nie in sich finden wird. Material aus anderen Werken wird aufgesogen, schwillt zu einem unnachgiebigen Klangstrom an, dessen dunklen Masse sich bedrohlich am Ohr des Hörers vorbei schiebt. Hier zeigt sich wieder einmal das großes Instrumentationsgeschick Rihms: Alles ist in energetischem Fluss, dicht verwoben, mit großer Stimmgewalt; ab und an verliert sich der Strom in lichteren Nebenarmen. Allein gen Ende beruhigt er sich, geht über in stillere Gewässer. Dieses Stück hinterlässt Eindruck und machte – zugegebenermaßen – auch erst einmal sprachlos.
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