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Die neue Festivalitis - Chance für den Jazz

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Veranstaltungsboom, Ausbildung und ästhetische Entwicklungen
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Der Herbst ist die Zeit der Jazzfestivals. Aus jeder Stadt tönt ein anderer Sound und will bundesweit Jazzinteressierte anlocken. Einige Beispiele: Das Jazzfest Frankfurt, 1953 von Horst Lippmann gegründet, war lange Jahre eine der wichtigsten Keimzellen des deutschen Jazz. Aus Frankfurts Szene kamen Musikerpersönlichkeiten wie Albert Mangelsdorff, Heinz Sauer, Joki Freund, später dann Volker Kriegel oder Christof Lauer. Noch heute gelingt es dem Jazzfest, internationale Strömungen und die Frankfurter Szene in einem gemeinsamen Kontext zu präsentieren.

Nürnbergs Internationales Jazzfestival trägt seit 1966 den programmatischen Titel „Jazz-Ost-West”. Doch die Ostkomponente ist in den letzten Jahren stark in den Hintergrund getreten. Die Leipziger Jazztage schafften es – wenn auch hochsubventioniert – nach der Wende ihr eigenes Profil zu bewahren und weiter zu entwickeln. München sieht sich gerne als Deutschlands heimliche Hauptstadt, was aber außer den Münchnern niemand weiß. Im Konzert der Jazzfestivals ist Münchens Stimme verstummt. Der ehemals renommierte, von Friedrich Gulda mitbegründete Klaviersommer ist de facto abgeschafft, nachdem die Landeshauptstadt sich aus der Verantwortung zurückgezogen hat. Da hilft auch kein Jazz-Millenniumsfeuerwerk, wie es diesen Sommer stattfand.

Und Berlin? Erst in diesem Jahr war das Jazzfest Berlin in die Schlagzeilen geraten, weil Ex-Kultursenatorin Christa Thoben dort den Rotstift ansetzen wollte. Ende September fiel jedoch die Entscheidung, es in die vom Bund getragenen Kulturprojekte zu übernehmen. Das Jazzfest Berlin ist ab 2001 Bundessache. Wie Programm und Konzept aussehen, weiß noch keiner. Ein Nachfolger des künstlerischen Leiters Albert Mangelsdorff, der nach der Saison 2000 aufhören wird, steht noch nicht fest.

Allen genannten Festivals ist gemeinsam: Ihre Gründung liegt Jahrzehnte zurück, reicht unter Umständen sogar bis zu den Anfängen der Bundesrepublik. Entstanden sind sie in einer Zeit, als Jazz im Bewusstsein von Künstlern und Publikum mit ganz anderen Attributen und Werten besetzt war als heute. Jazz war Freiheit, Rebellion, Selbstverwirklichung. Jazz griff Forderungen der Bürgerrechtsbewegung in den USA auf, er begleitete die außerparlamentarische Opposition in Deutschland (dies allerdings nur am Rande, die musikalische Sprache der APO war die Rockmusik). In der DDR entwickelte sich eine eigenständige Jazzszene an den Rändern des offiziellen Kulturbetriebs. Das Image des Jazz war fortschrittlich, er war radikale Absage an Frackpianisten und den ganzen verzopften Klassikkonzertbetrieb.

Von all dem ist heute keine Rede mehr. Jazz hat sich seine Refugien, seine Anerkennung erstritten. Die alten Jazzer tragen ihre Bundesverdienstkreuze, längst haben Jüngere das Ruder übernommen. Und die betreiben Jazz pour Jazz, oder Jazz als Business. Wie zum Beispiel der Trompeter Till Brönner, der bereits als Zwanzigjähriger Mitglied des traditionsbewussten RIAS-Tanzorchesters wurde. Der Trompeter ging hervor aus Fördermaßnahmen des Deutschen Musikrates wie „Jugend jazzt” und dem „Bundesjugendjazzorchester”. Früh studierte Brönner an der Musikhochschule Köln.

Ausgebildet in Jazz und Klassik steht er dabei für einen Typ von Musiker, der in erster Linie sein Instrument lernt und sich erst dann auf eine musikalische Gattung spezialisiert.
Junge Jazzmusiker wie Brönner profitieren von den seit den 80er-Jahren intensiv ausgebauten Hochschulausbildungsgängen im Jazz- und Popularbereich. Doch auch diese stehen in einer Zeit, wo Musikhochschulen allgemein einen Überschuss an gut ausgebildeten Instrumentalisten und Musikpädagogen auf den Markt entlassen, unter Legitimierungszwang. Es drohen Sparmaßnahmen. Erst wenn die duale Klassik- und Jazzausbildung durchlässiger wird, braucht der Jazz an der Hochschule nicht länger zu befürchten, Anhängsel von Popular- oder Filmmusik zu werden. Dazu benötigt man wiederum Dozenten, die entsprechend ausgebildet sind.

Ein Blick in die Festivalprogramme zeigt, dass es inzwischen eine Menge Musiker gibt (auch deutsche), die eine Improvisation über Duke Ellingtons „Mood Indigo” genauso kompetent gestalten wie eine über ein Motiv von Morricone oder ein Thema von Bach. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Grenzgängern zwischen Jazz und Neuer Musik. Aus der Sicht der ausbildenden Institutionen und deren Absolventen bleibt jedoch die Frage: Ist Jazzmusiker eigentlich ein Beruf? Ein einheitliches Berufsbild, das etwa vergleichbar wäre mit dem eines klassischen Musikers, existiert im Jazzbereich nicht. Etwa 100 Sinfonieorchestern mit Stellen für etwa 7.000 Musiker stehen derzeit noch vier Jazzorchester mit etwa 70 festen Stellen gegenüber. Jazzmusiker zählt also zu den freien Berufen. Vom Komponieren (außer man macht Filmmusik) sowie von Auftritten leben die wenigsten, fast immer kommen Unterrichtsverpflichtungen an Hochschule oder Musikschule dazu. Den Beruf des Jazzmusikers kann eigentlich nur der ausüben, der auch etwas von Selbstmanagement, PR, Werbung, Steuer und Buchführung versteht. Dinge, die erst nach und nach in die Studienpläne der Hochschulen Eingang finden. Dennoch, die Zeichen stehen zur Zeit nicht schlecht für den Jazz. Rund 25 neue Jazzfestivals kommen jedes Jahr europaweit zu den bestehenden hinzu, etwa 1.000 sind es bereits. Dies ergab eine Marktforschungsstudie der Firma ACORN Consultants. Das ist eine Steigerungsrate wie sie in anderen Wirtschaftszweigen erst einmal erreicht werden muss. Und der Boom ist ungebrochen, denn die Bürgermeister der vielen kleinen und mittleren Städte haben nachgerechnet: Laut der Studie erbringt jede Mark, die als öffentliche Förderung in eines der 325 deutschen Festivals investiert wird, durchschnittlich das Sechsfache an Rückfluss vor Ort.

Gleichzeitig ist ein weiterer Trend zu beobachten: In vielen Großstädten etablieren sich eigene Jazzreihen an den Staats- und Stadttheatern. Auch von diesem Bedürfnis können Jazzmusiker eigentlich nur profitieren. Jazz auf internationalem Niveau wird in Zukunft immer weniger allein auf einigen Großfestivals zelebriert werden, er findet im Gegenteil ein wachsendes Publikum auch an neuen Orten. Dies ist eine kulturpolitische Chance, die die Verantwortlichen in Stadt und Land ergreifen sollten.

 

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