Als sich Nikolaus Bachler, der immer noch recht neue Intendant der Bayerischen Staatsoper, jüngst endgültig von seinem langjährigen Job als Burgtheater-Chef in Wien verabschiedete, zog er kräftig vom Leder. Und zwar gegen die Salzburger Festspiele, die sich gerne als kultureller Nabel der Welt betrachten. Die Festspiele, die im kommenden Jahr ihr 90-jähriges Bestehen feiern, steckten in einer Sackgasse, hätten längst «jede künstlerische Relevanz verloren». Weltweit gebe es «Dutzende Festivals», die spannendere Inhalte zu bieten hätten, sagte Bachler, der selbst schon mal als Intendant in Salzburg gehandelt wurde.
Mit seiner Philippika setzte der wortgewaltige Theatermanager einen weiteren Akzent in einer Diskussion, die schon seit längerer Zeit durch die Feuilletons geistert: Wohin steuern die Salzburger Festspiele, das wohl prestigeträchtigste Musik- und Theaterfestival der Welt? Sind die Zeiten des «neuen Salzburg», die sich vor allem mit dem Namen von Gerard Mortier, dem legendären ersten Intendanten der Nach-Karajan-Ära (1992-2001) verbinden, bald endgültig vorbei? Fällt das Festival zurück in eine Zeit, als weniger künstlerische Inhalte den Ton angaben, als die Ansprüche der Salzburger Tourismusindustrie und die Repräsentationsbedürfnisse der «Lodenschickeria», wie Mortier seine Widersacher gerne genannt hatte?
Manches scheint darauf hinzudeuten. Etwa die jüngst bekannt gewordenen Personalentscheidungen für die künftige Besetzung des Festspiel-Direktoriums, das alle künstlerischen und wirtschaftlichen Entscheidungen trifft. Der ab 2011 amtierende neue Intendant Alexander Pereira, derzeit noch Chef der Züricher Oper, gilt als Freund des opulenten Sängertheaters und soll der zeitgenössischen Musik eher skeptisch gegenüberstehen. Auch der von ihm berufene neue Salzburger Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf gilt als Freund des alt hergebrachten Literaturtheaters und poltert schon mal gegen manchen «Unfug» zeitgenössischer Regisseure.
Etwa so wie der deutsche Autor Daniel Kehlmann («Die Vermessung der Welt»), der zur Eröffnung der diesjährigen Festspiele heftig gegen den Aktualisierungszwang des deutschen Regietheaters wetterte und die Liebhaber traditioneller Inszenierungen in Schutz nahm. Manche «grandiosen Stücke lebender Dramatiker» seien heute nur noch im Ausland zu sehen, weil ihre Autoren keine verfremdeten Inszenierungen zuließen, behauptete Kehlmann unter dem zustimmenden Beifall des honorigen Publikums in der Felsenreitschule. Das Regietheater sei «zur letzten verbliebenen Schrumpfform linker Ideologien degeneriert». Bei diesen Worten müssten dem Noch-Intendanten und Alt-Linken Jürgen Flimm, der Salzburg nächstes Jahr vorzeitig verlässt, um in Berlin Intendant der Lindenoper zu werden, die Ohren geklungen haben.
Dass den Festspielen jetzt auch ihr Konzertchef Markus Hinterhäuser von der Fahne geht, gilt vielen Beobachtern als weiteres Indiz für einen zunehmend rückwärtsgewandten Kurs im Salzburger Festspielbezirk. Hinterhäuser gründete unter Mortier das Avantgarde-Festival «Zeitfluss» und gilt mit seinem unkonventionellen, etwas schlampigen Äußeren bis heute als «links». Er war mit dafür verantwortlich, dass sich in Salzburg zunehmend auch jüngere Jeansträger unter die ergraute Smoking-Society mischten. Die sind mittlerweile allerdings wieder eine seltene Spezies.
Hinterhäuser, selbst kurzzeitig als neuer Intendant im Gespräch, kritisierte, dass das bisher dreiköpfige Festspieldirektorium künftig wohlmöglich nur noch aus einer Doppelspitze bestehen wird: Pereira sowie Helga Rabl-Stadler, die konservative Festspielpräsidentin und einstige Intim-Feindin von Gerard Mortier. Rabl-Stadler ist fest im Salzburger Establishment verankert und hat als frühere ÖVP-Spitzenpolitikerin, glänzende Kontakte zu einflussreichen Kreisen von Wirtschaft und Politik. Wie Pereira gilt sie als Meisterin beim Einwerben von Sponsorengeldern. «Solche Machtkonzentrationen halte ich generell für bedenklich und anachronistisch», meinte Hinterhäuser.
Kurz nach Kehlmanns Rede hielt Rabl-Stadler vor dem Österreichischen Industriellenverband im Museum der Moderne auf dem Mönchsberg ihrerseits eine Eröffnungsansprache und konnte sich einen Seitenhieb auf die ewigen Nörgler nicht verkneifen. Bachler und Martin Kusej, von 2005 bis 2006 Schauspielchef der Festspiele und bald neuer Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, schimpften umso mehr, je weiter sie von Salzburg weg seien. «Sie scheinen ja großes Heimweh zu haben», höhnte sie.
Kusej sieht die Festspiele, ähnlich wie Bachler, von einem «Abstieg ins künstlerische und ästhetische Nichts» bedroht. Die jüngsten Personalentscheidungen seien Symptome einer konservativen Grundhaltung. Man müsse junge und frische Leute ranlassen, die es ja in Österreich durchaus gebe. Doch sowohl dem Wiener Kultusministerium als auch der Salzburger Landesregierung fehle «der Mut, alte Zöpfe abzuschneiden».
Die Felsenreitschule bei Nacht. Foto: Salzburger Festspiele, Oskar Anrather