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„Climate Change Goodwill Ambassador“ der UNO: das Beethoven Orchester Bonn unter Dirk Kaftan. Foto: Irène Zandel

„Climate Change Goodwill Ambassador“ der UNO: das Beethoven Orchester Bonn unter Dirk Kaftan. Foto: Irène Zandel

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„Die Schönheit unserer Welt leben und bewahren“

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Der Bonner GMD Dirk Kaftan spricht mit Marc L. Vogler über Nachhaltigkeit
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Dirk Kaftan ist seit Beginn der Saison 2017/18 Generalmusikdirektor des Beethoven Orchester Bonn. „Auf Menschen zugehen“, „Kräfte bündeln“: Das ist wichtig für den Bonner Generalmusikdirektor, und das spiegelt sich in seiner Arbeit wieder. Ob im Umgang mit Musiker*innen oder im Kontakt mit dem Publikum: Dirk Kaftan wünscht sich, dass Musik immer als wesentlicher Teil des Lebens wahrgenommen wird: Sie sei eine Einladung zum Mitdenken und Mittun. Der Komponist und Dirigent Marc L. Vogler führte mit ihm ein ausführliches Gespräch über „nachhaltiges Musikmachen“.

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neue musikzeitung: Herr Kaftan, Sie sind seit 2017 Generalmusikdirektor des Beethoven Orchester Bonn, das jüngst zum „Climate Change Goodwill Ambassador“ der UNO ernannt worden ist. Wie kann Musik zu einem stärkeren Bewusstsein für den Klimawandel beitragen?

Dirk Kaftan: Musik ist in vielerlei Hinsicht geeignet, die Welt zu verändern. Unser Auftrag der UN baut auf bestimmten Säulen auf: Die erste Säule ist die Betriebsökologie. Das betrifft uns in unserer täglichen Arbeit: Wie kommen wir zur Arbeit? In welchen Räumlichkeiten spielen wir? All diese Dinge möchten wir analysieren und beobachten. Da stehen wir momentan noch am Anfang. Die zweite Ebene ist die der konkreten Projektunterstützung, wir möchten unter anderem ein Projekt in Madagaskar unterstützen, eine Initiative deutscher Musikinstrumentenbauer, die die Aufforstung von Tropenhölzern vor Ort artgerecht und nachhaltig fördern, verbunden mit dem Angebot einer fairen Arbeit und Ausbildung für die Menschen, die dort arbeiten. Teile unseres alten Instrumentariums sind alles andere als nachhaltig, weil sie dem Raubbau an der Natur und Kolonialismus entstammen. Die dritte Säule, die der UN am wichtigsten ist, ist die kommunikative Säule. Was bedeutet es, mit Musik zu emotionalisieren und die „Sustainable Development Goals“ (SDG) der UNO in großer Breite in unsere Arbeit einzuflechten, klug künstlerisch zu verarbeiten und unter die Menschen zu bringen. Der interkulturelle Dialog ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit.

nmz: Zum Orchesteralltag gehören Reisen. Wie schlägt sich Klimaneutralität in Ihrer Tourneeplanung nieder?

Kaftan: Die gesamte Szene steht an einem Punkt Null der Reiseplanung für Orchester, die pandemiebedingt sowieso noch mal anders aussehen wird. Generell sagt die UNO, dass die Menschheit nicht auf Reisen verzichten soll, dass Reisen notwendig sind zur Vernetzung, zur Kommunikation und um Menschen zusammenzubringen. Der Konzertbetrieb ist auf Reisen angewiesen, wenn wir Internationalität wollen. Im innereuropäischen Bereich kann man klar sagen, dass wir auf Flugreisen verzichten sollten. Ich glaube, dass die Zukunft uns sehr viel mehr hinführen wird zu Residencies, also zum längeren Verweilen vor Ort, um zum Beispiel auch ein nachhaltiges Jugendprojekt anzubieten, statt nur für ein Konzert nach Asien zu jetten. 

nmz: Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie? 

Kaftan: Lebenswerter Umgang mit unseren Ressourcen und uns selber. In Nachhaltigkeit sehe ich eine Bereicherung, nicht eine Verzichtsideo­logie. Als wirkliche Lebensbereicherung ist Nachhaltigkeit kein trockener Kampfbegriff und abstrakter politischer Nimbus sondern etwas, das tatsächlich mit der Schönheit unserer Welt zu tun hat. Nachhaltigkeit bedeutet für mich: die Schönheit unserer Welt leben und bewahren – und das ist auch Musik.

nmz: Ist Nachhaltigkeit auch etwas Ästhetisches?

Kaftan: Auf jeden Fall! Nachhaltigkeit umfasst die Dinge, die uns über die Generationen hinweg zusammenhalten, als Kultur und als Menschen. Wir sprechen ja durch Musik mit unseren Urahnen und auch in die Zukunft hinein. Man ist nie unpolitisch als Musiker. Mit Musik können die Kräfte gestärkt werden, um das umzusetzen, was bei »Fridays for Future« gefordert wird. Gerade ein Komponist wie Beethoven – wir sind ja hier beim Beethoven-Orchester – war jemand, der bis zum Schluss, trotz aller Widrigkeiten, im Leben daran geglaubt hat, dass wir die Kraft haben, die Dinge besser zu machen.

nmz: Sie sprachen von Musik als Verbindung von Vergangenheit und Zukunft. Von Jean Jaurès stammt der Satz „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Welchen Anteil hat zeitgenössische Musik in den Programmen des Beethoven Orchesters?

Kaftan: Wir versuchen, die Anteile der zeitgenössischen Musik immer weiter nach oben zu ziehen. Was ich nicht sinnvoll finde, ist: wir spielen im ersten Teil ein modernes »Alibi-Stück«, das Publikum sitzt die bittere Pille ab und freut sich dann auf die Tschaikowsky-Sinfonie. Das haben wir jahrelang erlebt, das bringt weder uns weiter, noch die Komponist*innen. Wir versuchen in unseren Konzertprogrammen Neues so einzuweben, dass das ganze Konzertprogramm schlüssig ist. In den letzten Jahren haben wir mehrere Kompositionsaufträge vergeben, wir haben ein Kinderstück von Gordon Kampe und gerade zuletzt das Bratschenkonzert von Gabriel Prokofiev, dem Enkel von Sergei Prokofjew, uraufgeführt. Unsere Reihe „BaseCamp Neue Musik“ steht in diesem Jahr unter dem Thema „Natur“, da spielen wir zum Beispiel die „Pastorale“ von Brett Dean und ein Stück von Miroslav Srnka, der uns bei unseren Bemühungen in der neuen Musik kuratorisch unterstützt. Auch Stücke zum zweiten und dritten Mal zu spielen, ist uns sehr wichtig, weil die neue Musik oft das Schicksal erleidet, dass sie nach der Uraufführung in der Schublade endet. Deshalb ist unsere Reihe ganz bewusst darauf ausgelegt, einen hohen Anteil an Wiederholungen zu liefern, damit diese Stücke im Repertoire Einkehr halten.

nmz: Womit wir wieder bei einer anderen Form von Nachhaltigkeit sind. Herr Kaftan, wie zukunftsfähig ist ein Sinfonieorchester heute?

Kaftan: Ein Sinfonieorchester ist sehr zukunftsfähig, weil wir verschiedene Epochen, Zeiten und Generationen durch Musik zusammenhalten können. Wenn man sich zeitgenössische Filme anschaut, merkt man, dass die Emotionalität dieses Klangkörpers bei weitem nicht ausgeschöpft ist. Das Orchester hat eine emotionale Direktheit, die durch nichts zu ersetzen ist, auch durch keine Elektronik. Ein Ton, der physisch von einem Menschen erzeugt wird, egal ob über die Stimme oder über ein Instrument, ist automatisch mit der Seele eines Menschen verbunden. Diese physische Tonerzeugung können Sie durch keine Maschine ersetzen, genauso wie niemals ein Komponist, eine Komponistin durch eine Maschine ersetzbar sein wird. 

nmz: Mit Beethovens „Zehnter“, von KI komponiert, gab es ja dieses Experiment.

Kaftan: Genau, und da waren wir von Ersetzbarkeit weit entfernt! Es geht um Individualität und Authentizität in diesem einen Moment. Dieser Moment, in dem Sie einen Ton erzeugen, der hinterher weg und tot ist, und den Sie letztendlich nicht reproduzieren können, hat eine Magie, für die das Orchester steht. 

nmz: Zum Schluss eine Utopie: Mal angenommen, alle den Orchesteralltag betreffenden Limitationen fielen weg, wie sähe Ihr nachhaltiges Orchester der Zukunft aus?

Kaftan: Wie viel Zeit haben wir? (lacht) Ich würde als erstes bestimmte hierarchische Strukturen im Orchester hinterfragen. In meinem Traumorchester gäbe es beispielsweise nur Geigerinnen und Geiger, und nicht erste und zweite Geigen – was in der Realität aufgrund des Tarifvertrags im Moment unmöglich wäre. Ich ließe auch in den Bläsern sehr viel mehr rotieren und die Orchestermitglieder würden mehr in die Entscheidungsstrukturen eingebunden. Die Vielseitigkeit, dass ein Orchester der Zukunft ein Kulturkraftwerk ist, das in vielen Facetten auf eine Stadt einstrahlt, muss gemeinsam mit den Verantwortlichen auf Seiten der Gewerkschaft angegangen werden. Im Übrigen kann ich verraten: Wir sind dabei, zusammen mit dem Beethovenfest ein Fellowship-Programm zu entwickeln, das genau dies umsetzt. Das heißt eine Art Akademie, in der junge Musiker:innen nicht nur im Orchester spielen, sondern die eben diese Vielseitigkeit umfasst.

nmz: Und die Musikerin, der Musiker der Zukunft?

Kaftan: Die Musikerin, der Musiker der Zukunft muss mit wachem Geist in jeder Sekunde ihres, seines Schaffens wissen, warum sie, er das tut und bereit sein, dafür alle möglichen Grenzen zu überschreiten. Man darf sich für nichts zu schade sein, um Musik unter die Menschen zu bringen. Auch wenn ich den Tschaikowsky-Wettbewerb gewonnen habe, muss ich trotzdem in der Lage sein, mich hier ins Stadthaus zu stellen um für mein Orchester zu werben. Das ist die Mission. Sonst sind wir eine vom Aussterben bedrohte Art.

nmz: Vielen Dank für das Gespräch.

  • Aus: DAS JOURNAL der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Ausgabe: Nr. 4 #Nachhaltigkeit, Sommersemester 2022

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