Einfache Wahrheiten sind manchmal schwer zu verdauen. Als bei einer öffentlichen Diskussion am Vorabend der diesjährigen Donaueschinger Musiktage die Klanginstallateurin und Performerin Christina Kubisch den in der Runde versammelten, unter der Last ihrer Verantwortung ächzenden Veranstaltern und Journalisten entgegenhielt: „Ohne uns Künstler wärt ihr alle arbeitslos“, reagierten die Angesprochenen mit gekünstelter Heiterkeit. Da wagte es doch tatsächlich eine arbeitnehmerähnliche Person, die bedeutende Rolle der großmächtigen Manager und Sprachrohre des Musikbetriebs herunterzuspielen. Die Bemerkung saß. Doch nach einem Moment des Innehaltens kehrte die Diskussion wieder den zu klassischen Veranstalterthemen Finanzen, Programmgestaltung und Öffentlichkeit zurück.
Das kleine Scharmützel wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das gerne unter den Teppich gekehrt wird: Der Künstler als Arbeitgeber. Mit seinem Auftragshonorar ist er in der Lage, eine ungleich größere Geldsumme zu bewegen. In Anlehnung an das gegenwärtige Geschehen im Finanzbereich könnte man auch von Hebelung sprechen. Rechnet man die ganzen Geldströme von Musikerhonoraren und Managergehältern bis zu Saalmiete, Werbekosten und Ticketverkauf ein, so dürfte die Hebelwirkung vermutlich das fünf- bis zehnfache des Honorars betragen. Da würden selbst die Euroretter große Augen machen.
Doch es geht um mehr als um ökonomische Verhältnisse und die Frage einer gerechten Bezahlung der künstlerischen Arbeit. Es geht um die Position des Autors im Gefüge des Kulturbetriebs, um sein soziales Prestige und die Möglichkeiten einer Einflussnahme über das Schreiben von Auftragswerken hinaus. Eng damit verknüpft ist die Frage nach der Wertschätzung des Kunstwerks. Und hier scheint es, was die Musik angeht, dass trotz boomendem Kulturbetrieb der Wert des Kunstwerks paradoxerweise nicht zu-, sondern abgenommen hat. In all den Jahrzehnten, in denen immer mehr Festivals mit immer größeren Ambitionen und immer besseren Programmen in Erscheinung getreten sind, hat sich unmerklich eine Sichtweise durchgesetzt, in der die Veranstaltung als Event und kulturpolitischer Faktor oft wichtiger zu sein scheint als der Inhalt, sprich: das einzelne Werk als Ausdruck einer individuellen schöpferischen Leistung.
Die Tätigkeit des Komponierens erschöpft sich nicht in der Produktion verbrauchsfertiger Ware für termingeplagte Veranstalter. Auch in Zeiten des schnellen Internets bleibt sie, was sie immer war: Eine harte und zeitraubende Auseinandersetzung des kreativen Einzelnen mit der Welt und sich selbst. Ob das nun mit oder ohne Computer geschieht, ist egal, so lange dieser nur als Arbeitsinstrument dient und nicht das eigene Denken ersetzt. Die entscheidenden Prozesse spielen sich tief in der Innenwelt ab, wo rationale und emotionale Entscheidungen sich zu undurchdringlichen Gedanken- und Gefühlskomplexen verknoten. Von all dem dringt im fertigen Werk nur ein Bruchteil an die Oberfläche. Aus aufgeklärt-fortschrittlicher Sicht mag das verdächtig erscheinen, als Ausdruck einer veralteten Mentalität, die man bestenfalls noch mitleidig belächelt. Um wie viel zeitgemäßer sind doch Elektropop, Clubmusik und Disco! Sie garantieren Action, Glamour und Erfolg in einer schönen neuen Welt.
Komponieren ist eine einsame Tätigkeit
Komponieren im emphatischen Sinn verstanden, wie es von Beethoven über Schönberg bis in die jüngste Vergangenheit der Fall war und bei manchen Heutigen noch ist, ist dagegen eine einsame Tätigkeit. Das Grundtempo ist lento, der Erfolg ist nicht garantiert, und Neulinge kostet es viel Zeit und Nerven, Verleger und Veranstalter vom Wert eines Engagements zu überzeugen. Mit sozialen und weltanschaulichen Kategorien kommt man dieser individualistischen Art von Arbeit ohnehin nicht bei. Der Komponist ist beim Schreiben ein extrem asozialer Mensch. Er verhält sich konservativ, denn er will in Ruhe gelassen werden, verantwortungslos gegenüber der Gesellschaft und uninteressiert an der Rettung der Welt. Er fühlt sich in diesem Moment nur sich selbst und seiner Arbeit verpflichtet, und das einzige, was ihn interessiert, sind die Noten. Das gilt auch für die politisch engagierte Musik, auch wenn hier die politische Idee als Grundimpuls im Hintergrund stets präsent bleibt.
Entgegen allem Anschein sind es gerade diese merkwürdigen Existenzen und unangepassten Subjekte, die uns noch immer die wichtigen geistigen Anstöße liefern. Sie sind die Selbstdenker, von denen Schoperhauer sagte, sie unterschieden sich von den bloßen Büchergelehrten durch den Ernst, die Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit der Gedanken. Mit andern Worten: Sie sind es, die das Neue schaffen. Die Basis unserer Musikkultur ist also nicht der vor Kraft strotzende Veranstalterbetrieb, sondern das schwache Individuum. Fällt es weg, so fällt der Betrieb, und die Angestellten werden arbeitslos, wie Christina Kubisch sagte. Und vor allem werden die Menschen nicht mehr mit Reflexionen und Empfindungen tieferer Art konfrontiert. Ihnen bleibt dann nur noch die Musik, die der Betrieb aus sich selbst heraus produziert – inhaltsleere, vielseitig verwendbare Ware, und ob E oder U ist dann egal.
Kampf um den Bestand unseres Musiklebens
Zum Kampf um den Bestand unseres Musiklebens gehört deshalb nicht nur die Kritik am Big Business und an der kurzsichtigen Politik, sondern auch die beständige Warnung vor der seelischen Zerstörung der Menschen. Beides steht in einer engen Wechselbeziehung zueinander. Denn wer nicht mehr zu differenzierten Empfindungen und Gedankengängen fähig ist, dem ist es auch egal, wenn er nur noch von Plastikmusik und nichtssagenden Politikersprüchen berieselt wird, woher sie auch kommen mögen. Und dem sollte doch eigentlich Einhalt geboten werden.