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Falstaff in der Casa Verdi: Ambrogio Maestri in der Salzburger Neuproduktion. Foto: Silvia Lelli
Falstaff in der Casa Verdi: Ambrogio Maestri in der Salzburger Neuproduktion. Foto: Silvia Lelli
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Die verrutschte Würde des alten Schwerenöters: Giuseppe Verdis „Falstaff“ bei den Salzburger Festspielen

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Nachdem die Salzburger Festspiele heuer ihr Opernprogramm mit Harrison Birtwistles Fantasy-Oper „Gawain“ starteten, hielt auch die zweite Premiere einen britischen Aspekt bereit: „Falstaff“, das Alterswerk von Giuseppe Verdi mit dem Libretto des noch recht jugendfrischen Arrigo Boito, rekurrierte auf William Shakespeares Komödie „The Merry Wives of Windsor“ sowie Auszügen aus dem Königsdrama „King Henry IV“.

Das England des späten Mittelalters bzw. der frühen Neuzeit wurde bereits durch die Italiantità der Commedia lirica von 1890 gefiltert – und der Regisseur Damiano Michieletto wurde fraglos mit der Intention verpflichtet, die von Seiten des Titelhelden raubeinige und grobgehobelte Geschichte kulinarisch zu verfeinern und die selbstbewussten Frauen in modern emanzipierter Eleganz zur Wirkung kommen zu lassen.

Bevor die „Falstaff“-Musik einsetzt, zeigt eine Filmeinblendung ausführlich die Fassade der Casa Verdi in Mailand – das stattliche Gebäude, das der greise Komponist errichten ließ, um alten und schlecht versorgten Opernschaffenden eine Heimstatt bereitzustellen. Mit dem Einstieg in den ersten Akt öffnet sich der Blick auf den Gemeinschaftsraum des großzügig im Stil des fin de siècle ausgerüsteten Seniorenstifts – hohe Glasflügeltüren erlauben den Durchblick zum Speisesaal. Auf einem Flügel im Zentrum der Bühne wird zum distinguierten Warten von Heimbewohnern bzw. schlurfenden Überbrücken der langweiligen Zeit und zum leise-geschäftigen Treiben des Personals ein ansprechendes Potpourri beliebter Melodien kredenzt. Dann breitet Verdis Musik sich als nobel-feingemusterter Teppich in den Tapeten ihrer Entstehungszeit aus. Die Aura des von Paolo Fantin geschaffenen nostalgischen Interieurs rahmt des Weiteren alle Handlungsorte – gleich, ob von den Autoren ein altenglisches Wirtshaus vorgesehen wurde oder ein Bürgerhaushalt in Windsor oder der finstere mitternächtlich-schaurige Wald bei der Eiche von Herne, an der sich der Schwarze Jäger erhängte.

Vor drei Jahren inszenierte Damiano Michieletto beim Rossini-Festival in Pesaro die so gut wie gänzlich unbekannte Oper „Sigismondo“ auf eine analoge Weise. Damals verschob der Regisseur einen Eifersuchts- und Thronfolge-Konflikt aus den historisch nicht genau zu verortenden mittelalterlichen Wäldern an der böhmischen Nordost-Grenze in die Zeit der ersten polnischen Republik und eine psychiatrische Anstalt. Dieser begradigende Handstreich wurde der turbulenten Handlung in wundersamer Weise gerecht, die ansonsten nicht geläufig war und ist. Doch diese Voraussetzung ist bei „Falstaff“ nicht gegeben – man erwartet eine sinnhaltige Verlebendigung der lächerlichen Intrigen des unsäglichen Sir John wie der pfiffigen Damen der Gesellschaft von Windsor.

Die allenthalben prekäre Szene, in der sich der Trunkenbold und Schwerenöter Falstaff vorm eifersüchtigen Wüten eines Ehemanns und dessen Kumpels in einen Wäschekorb flüchten muss und mit den Laken und Leibchen in die Themse gekippt wird, löste Michieletto, indem er den Fettsack mit einem Riesentuch aus dem Wäschewägelchen zudecken und dann von der voyeuristischen Gesellschaft mit blau glitzernden Konfetti überschütten lässt. Der Wille zum edel Dekorativen überwog die Befähigung zu sinnhaltiger Interpretation drastisch. Aber das irritierte das Salzburger Festspielpublikum kaum und focht es schon gar nicht an. Es wurde vom Parlando der Musik, die Zubin Mehta mit viel Gespür für die Fließgeschwindigkeiten und Kontrastwirkungen im Detail steuert, ebenso in Bann gezogen wie der Rezensent: Welche eine Leistung, kurz vorm achtzigsten Geburtstag noch einmal dergestalt einen neuen musikalischen Weg einzuschlagen!

Das Sänger-Team über den Köpfen der Wiener Philharmoniker ist kompetent besetzt in Salzburg mit dem stimm- und körpergewaltigen Ambrogio Maestri in der Titelpartie, mit Fiorenza Cedolins als spielgestaltender und kehldominanter Mrs. Ford, Elisabeth Kulman als scharfzüngiger und zur Parodie begabter Falschkupplerin Quickly – oder der zu feenhaft schönem Liebesgesang befähigten Eleonora Buratto als Nanetta.

Das Team ruft in Erinnerung: „Falstaff“ ist ein Alterswerk der ganz besonderen Güteklasse – höchst konzise in den knappen Gesten, deren Zusammenhang und Gegensätzlichkeit die dramatische Musik des 19. Jahrhunderts insgesamt Revue passieren lässt und zugleich einen Ausblick eröffnet auf die veristischen Intonationen, die sich im Gefolge der letzten Oper Verdis herausbildeten. Zugleich scheint der so hochgradig versierte Theatermann Verdi mit der Wahl des Sujets auf ein Problem des alternden Künstlers und Weltmanns angespielt (oder dieses bei den Hörnern gepackt) zu haben – auf jene Liebesbedürftigkeit, die bei Sir John so groteske Formen annahm und bei ihm wohl zu einem stillen und sehr diskret gehandhabten Einverständnis mit der Sopranistin Terezie Stolzovà geführt hatte.

Doch von (Selbst-)Ironie hielt sich Michielettos Produktion vollständig fern. Wenn das ganze Ensemble in die Schlussfuge einstimmt, beglaubigt dies die Nostalgie, die diese Produktion insgesamt durch- und überzieht. Dass ein anderer Umgang mit den Figuren des Shakespeare-Theaters denkbar und machbar wäre, muss eigentlich nicht eigens betont werden. Doch in Salzburg wird gegenwärtig lauwarm gebadet – schärfere künstlerische Konturen müssen sich eine andere Heimat suchen.

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