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Die Wahl-Qual

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Ist das nicht megageil-hyperdemokratisch? Wir stehen am Anfang eines sogenannten Super-Wahljahres, wobei sich das „super“ nach aktueller gesellschaftlicher Konvention bekanntlich nur noch auf Quantitatives bezieht. Nach der Hessenwahl dürfen wir Bürger noch 15 Mal über die Besetzung von Europa-, Bundes-, Landes- und Kommunal-Parlamenten abstimmen.

Ein Défilé de mode bourgeois ist schon vollbracht: Die Hessen-Wahl förderte als wichtigstes Ergebnis die sprunghaft wachsende Abstimmungs-Unlust der Deutschen zutage. Über Gründe wird heftig spekuliert. Der Begriff „Politik-Müdigkeit“ hätte eigentlich auch zum Unwort des Jahres erkoren werden können. Denn er klärt nicht, ob das Handeln unserer Volksvertreter an sich ermattet ist oder ob es aktiv einschläfert. Deshalb halten wir sicherheitshalber beides für richtig.

Um in unseren Künstlerwinkel zurückzukehren – was haben Kulturmenschen, gerade auch, wenn sie zivilgesellschaftlich engagiert sind, von der Politik schon zu erwarten? Den Hohn, sich als selbstgerechte eitle Gutmenschen profilieren zu wollen – frei von Sinn für die Realität. Die besteht nämlich zum Beispiel darin, sich mit dem finanzpolitischen Sprecher der CDU, Steffen Kampeter möglichst gut zu stellen, weil der kraft selbsternannter künstlerischer Kompetenz mit der Drohung fuchtelt, dem Deutschen Musikrat (DMR) etwa den Geldhahn zuzudrehen, falls der nicht pariert. Und vor solcher ökonomischer Macht zittert dann auch noch der Kulturstaatsminister. Dabei hätte Bernd Neumann doch allen Grund zum Jubeln, angesichts der Aufstockung seine Etats um über hundert Millionen Euro. Und wir Kultur-Gutmenschen knien dankbar nieder, froh, dass wir die reale Verantwortung für fünfhundert Milliarden dank solcher Kapital-Strategen generierter „Bürgschaften für gröbstes Versagen“ mittragen dürfen. Freudig der Versprechung lauschend, einiges flösse in den Bildungsbereich – wenn auch in Richtung MINT. Man denkt an Brecht, den Satz über die allerdümmsten Kälber, und guckt am nächsten Wahltag, ob es regnet…

Diese Erosion der Werte, die Konzentration der Politik auf platte Ökonomie, hat über die Jahre zahlreiche Kulturinstitutionen angegriffen. So verabschiedete sich gerade die GEMA auf der Suche nach einem „professionellen“ Selbstbild im Rahmen der Frankfurter Musikmesse von der bis dato sinnvoll gepflegten Partnerschaft mit zahlreichen Musikverbänden, unter anderem dem Musikrat. Und damit von jeglichem ernst zu nehmendem Kulturauftrag. Vermeintliche neue Förderstrukturen, wie die „Initiative Musik“ werden ins Leben gerufen, um die Mittelvergabe frei von zivilgesellschaftlichen Einflüssen vermutlich nach Botmäßigkeit und absehbar raschem kommerziellem Erfolg steuern zu können. Die Rübe vor der Nase des Esels als gesellschaftliche Triebkraft. Kreativwirtschaft unter solchen Vorzeichen als Zukunftsindustrie?

In diesem problematischen Umfeld steht eine 17. Abstimmung an – die Neuwahl des Präsidiums des Deutschen Musikrates im Oktober. Beim mitgliederstärksten deutschen Kulturverband, einer Organisation der Bürgergesellschaft, werden die Weichen gestellt für die gesellschaftliche Bedeutung unseres künftigen Musiklebens. Ohne Partei zu ergreifen bitten wir verantwortliche Persönlichkeiten der Musikszene um „realistische Visionen“ zu unterschiedlichen Aufgabenbereichen des Rates. Den Anfang macht zum Thema „Musikpolitik im Ausland“ Musikratspräsident Martin Maria Krüger auf Seite 15 dieser Ausgabe.

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