Ein wenig paradox mutete die Szene schon an: Da hatten sich an der Detmolder Musikhochschule Experten der Konzertpädagogik und verwandter Bereiche zwei Tage lang den Kopf darüber zerbrochen, wie der schillernde Begriff der Qualität auf Konzerte für Kinder anzuwenden sei. Und man war zumindest so weit übereingekommen, dass es höchst differenzierter Kriterien bedarf, um auf diesem Feld begründete Werturteile treffen zu können. Da trat Gerald Mertens auf.
Der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), der als wichtiger Multiplikator die Tagung in ihrer Ausstrahlung entscheidend unterstützt hatte, verkündete überaus Erfreuliches: Mit dem „netzwerk junge ohren“ werden – vorbehaltlich einer Anschubfinanzierung durch die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) – ab Mitte des kommenden Jahres die seit dem Ende der „Initiative Konzerte für Kinder“ nur mehr lose geknüpften Fäden endlich wieder gebündelt. Das Thema Konzertpädagogik erhält erneut eine feste, von den Trägern Phono-Akademie und DOV finanzierte Anlaufstelle (erste Informationen unter http://www.netzwerk-junge-ohren.de). Was daran paradox war? Nun, als eine Aufgabe des neuen Netzwerks nannte Mertens das Ausstellen eines „Qualitätszertifikats“, ohne auf die Hintergründe einer solchen Plakette – vielleicht eine Art Kinderkonzerte-Überwachungsverein (KÜV)? – näher einzugehen. Anscheinend verfügen die beteiligten Institutionen also längst über das notwendige Instrumentarium, halten ihre Erkenntnisse aber erst einmal zurück, um den Bedenkenträgern aus Wissenschaft und Praxis nicht den Spaß an der Debatte zu verderben. Vielleicht war aber auch nur das Überprüfen bestimmter handwerklicher Standards gemeint, wogegen nichts einzuwenden sein dürfte.
Denn dass es hier Möglichkeiten gibt, im Vorfeld Fehler zu vermeiden oder zumindest in der Rückschau zu benennen, dafür lieferte die Detmolder Tagung „zur Frage der Qualität von Konzerten für Kinder“ zahlreiche Anhaltspunkte. Macht man sich etwa – wie Markus Lüdke sehr präzise zusammenfasste – klar, an welchen Punkten der inhaltlichen Konzeption und praktischen Vorbereitung eines Konzerts Entscheidungen anstehen, und trifft diese bewusst im Hinblick auf das zentrale Anliegen der Vermittlung, so dürfte schon ein Schritt in Richtung handwerklicher Qualitätssicherung gemacht sein.
Führt man andererseits, wie in Museen üblich, Besucherbefragungen durch, so erhält man Auskünfte über den Erfolg der Veranstaltung, der freilich nicht gleichzusetzen ist mit seiner ästhetischen Qualität. Ulrich Paatsch von der Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung und Franziska Olbertz, die eine ähnliche Besucherbefragung an einem fiktiven Konzert durchspielte, machten hier Mut, solche Versuche einfach einmal zu unternehmen. Deutlich wurde aber auch, wie stark man die Antworten durch die Art der Fragestellung beeinflussen kann.
Auch was vermeintlich objektivierbare „Qualitätskriterien“ betrifft, ist gesunde Skepsis angebracht, denn – wie der Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums Gerd Taube zu bedenken gab – meist werden die Maßstäbe für Werturteile stillschweigend vorausgesetzt und der Diskussion entzogen. Einen weiteren relativierenden Aspekt brachte Constanze Wimmer ein, die in ihrem Forschungsprojekt im Sinne der Cultural Studies die Auswirkungen des persönlichen Hintergrunds der „Macher“ von Kinderkonzerten auf ihre Arbeit zu beleuchten versucht. Roswitha Budeus-Budde, bei der Süddeutschen Zeitung Redakteurin für Kinder- und Jugendliteratur, stellte wiederum überzeugend den Blickwinkel der Erwachsenen infrage, die oft allzu genau zu wissen meinen, was für die junge Generation gut ist. Barbara Stiller schließlich bekannte freimütig, mit Fragebögen bei der Evaluierung von Kinderkonzerten gescheitert zu sein, und stellte ihre Methode des Split-Screen-Verfahrens vor, bei dem die Videoaufzeichnung von Publikum und Bühne parallel ausgewertet werden können.
Als überaus fruchtbar erwiesen sich die Gespräche, die im Anschluss an die drei im Rahmen der Tagung aufgeführten Konzerte deren Konzept und Durchführung reflektierten. Sie zeigten, dass eine effiziente Möglichkeit, an der Qualität des eigenen Tuns weiterzuarbeiten, die kompetente und konstruktive Kritik von außen sein kann, die in der Tagespresse meist aus Desinteresse oder aber zugunsten pauschalen Schulterklopfens ausbleibt. Voraussetzung dafür ist freilich, dass man bereit ist, sich dieser Kritik zu stellen – wie hier das Ensemble Mubuntu, der Komponist und Konzertpädagoge Bernhard König und das Detmolder „concertino-piccolino“-Team um Tagungsleiter Ernst Klaus Schneider. Sie alle hatten mit ihren hochklassigen Konzerten gezeigt, welch unterschiedliche Formen ästhetischer und handwerklicher Qualität in einem Konzert zum Tragen kommen können, und hatten – jeder auf seine Weise – ihr Publikum begeistert.
Zurück zum geplanten Netzwerk. Gerald Mertens gab auf Nachfrage hin zu, man taste sich an das Thema Qualitätskriterien noch heran, und verwies auf den in diesem Jahr erstmals ausgeschriebenen „junge ohren preis“ (zusammen mit der Jeunesses Musicales), über dessen Vergabe eine Jury noch im Dezember entscheiden werde. Bleibt abzuwarten, wie viele und welche Kinderkonzert-Macher bereit und finanziell in der Lage waren, für einen undotierten Preis eine Video-Dokumentation zu erstellen. Klar dürfte auch sein, dass sich die Bewertungsmaßstäbe bei einer solchen medialen Vermittlung der Vermittlung im Vergleich zum Live-Eindruck in ganz andere Richtungen verschieben können.
Das Prozedere dieses Preises, die vielfältigen Tagungsergebnisse, die Planungen des neuen Netzwerks, besonders aber das bisher vor allem quantitativ gewachsene Konzertangebot: All dies zeigt, dass es an der Zeit ist, die Qualitätsdiskussion im Bereich der Konzertpädagogik jenseits genügsamer Selbstdarstellung mancher Anbieter und jenseits undifferenzierter Lobpreisungen für alles, was sich mit dem Etikett Musikvermittlung schmückt, offen zu führen. Die nmz möchte dieser Diskussion ab der kommenden Ausgabe wieder eine regelmäßige Plattform bieten.