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„Nabucco“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Bernd Uhlig
„Nabucco“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Bernd Uhlig
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Dramatische Paraphrase auf König Lear: Keith Warner inszeniert Verdis „Nabucco“ an der Deutschen Oper Berlin

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Verdis Operndurchbruch „Nabucco“ wird an der Deutschen Oper Berlin kontinuierlich gepflegt und vom Publikum besonders geschätzt. Den Inszenierungen von Gustav Rudolf Sellner und Hans Neuenfels folgte nun Keith Warner. Er hat aus Verdis früher, 1842 an der Scala uraufgeführter Oper Verdis lebenslanges, uneingelöstes Projekt einer Oper nach Shakespeares „Lear“ herausgekitzelt: ein origineller Beitrag zum Verdi-Jahr, getragen von Dirigent Andrea Battistoni, einem rollendeckenden, aber gesanglich übermäßig aufs Forte setzenden Solistenensemble und dem Chor der Deutschen Oper Berlin.

Im Gegensatz etwa zu David Pountneys Inszenierung dieses Freiheitsdramas, im Jahre 1993 in Bregenz, welche die Analogien zwischen den unterdrückten Hebräern und dem Holocaust des 20. Jahrhunderts herausgearbeitet hatte, vermeidet der britische Regisseur eine Aktualisierung. Gleichwohl verlegt er die 567 v. Chr. in Jerusalem und Babylon spielende Handlung der vieraktigen Oper (nach dem historischen Ballett „Nabucodonosor“ von Antonio Cortesi) ins 19. Jahrhundert und an einen variablen Einheitsspielort auf der Drehscheibe. Bereits in der Ouvertüre öffnet sich eine rote Rundwand mit Luken, um einen (schon im Original vorhandenen) stummen alten Leviten durch die nächtliche Raumanordnung geistern zu lassen.

Anstelle von Monumentaldekorationen hängender Gärten und Innenansichten des babylonischen Palastes, erfolgen auf der Übertitelungsanlage in Brechtscher Manier Kommentartexte in Lettern. Während die Herren an der Klagemauer des Tempels beten, deuten deren emanzipierte Frauen die Schriften ihrer Väter. Eine Druckpresse zur Verbreitung der Glaubensinhalte wurde vom Oberpriester umgewidmet, um postergroße, beidseitige Reproduktionen von einem Foto der Fenena unters Volk und an die Hauswände zu bringen, denn die in Gefangenschaft der Hebräer geratene Tochter des babylonischen Königs Nabucodonosor gilt dem Oberpriester als Druckmittel gegen die Feinde. Fenena liebt heimlich den jungen Ismaele, in den aber auch ihre Halbschwester Abigaille verschossen ist.

Nabucco trägt die berühmte historische Ganzmaske des babylonischen Königs als  kopfbedeckende Krone. Dass er darunter ohne Einschränkung überzeugend zu singen vermag, spricht für den Bariton Johan Reuter. In der verderbten erotischen Verbundenheit Nabuccos zu seiner Tochter Abigaille gemahnt diese Beziehung durchaus an die blutige Machtbindung von Macbeth und Lady in Verdis fünf Jahre jüngerer Oper. Reuter läuft im dritten Akt, wo er von seiner Tochter Abigaille wie ein Hund an der Kette geführt wird, zu darstellerisch großer Form auf, überzeugt mit den Mitteln stimmlicher Charakterisierung, noch gesteigert im vierten Akt, wo er wie ein anderer Lear durch die Leere irrt und erlebt, wie seine zum israelischen Glauben konvertierte Tochter Fenena von den eigenen Leuten zur Hinrichtung geführt wird.

Dieses Erlebnis heilt ihn von jener geistigen Verwirrung, die seinem Anspruch, selbst ein Gott zu sein, gefolgt war – und er konvertiert zum Glauben der Hebräer. Die Bekehrung als inneren Entschluss vermag Johan Reuter eindrucksvoll nachzuzeichnen. Anstelle der Zerstörung des Baal-Götzenbildes, fallen auf ein Zeichen des Königs die Galgenstricke, die über den Köpfen der zum Tode Verurteilten schwebten, zu Boden.
 
Wie Offenbachs Großherzogin oder Oscar Straus’ Cleopatra, schnappt sich Abigaille, wann immer sie Lust dazu hat, einen Soldaten um ihn rittlings zu genießen, wobei sie auch vor Erstickungsmethoden nicht zurückschreckt, um die Liebeskraft ihrer Lover zu steigern. Überhaupt macht der Regisseur die enge Verbindung von Macht und Sexus deutlich, etwa wenn Abigaille sich am Leid des von ihr degradierten Vaters so aufgeilt, dass sie sich zugleich mit einem Kissen befriedigen muss. Die durch eine fingierte Nachricht vom Ableben ihres Vaters zur Königin gekrönte Tochter einer Sklavin bittet in der Schlussszene um Verzeihung: wohl nicht nur aufgrund ihres in dieser Produktion vorangegangenen, permanenten Fortes stößt ihre Bitte bei den Hebräern auf taube Ohren. Ausgestoßen von der Gesellschaft, schließt sich vor ihr die rote Rundwand.

Anna Smirnova gibt in der Partie dieser amazonenhaften Heroine, einst einer Paraderolle der Callas, ihr Berlin-Debüt als Sopranistin. Dabei ist die zuvor als Gast in Mezzo-Partien zu erlebende russische Sängerin weiterhin timbriert wie ein Mezzo. Sie verzichtet weitgehend auf Belcanto, forciert ihre Stimme zu scharfen Höhen, und der gefürchtete Spitzenton der Arie im zweiten Akt gerät ihr in der Intonation daneben. Als Fenena gewinnt Jana Kurucová durch die von Verdi für Teresa De Giuli Borsi angereicherte Pereghiera erst im letzten Akt Profil.

Mit belcantistischen Bögen und souverän – auch bei einer Folterung – attackenreich im Duktus, verkörpert Yosep Kang die Tenorparie des zwischen den Halbschwestern stehenden Ismaele. Eindrucksvoll in der Gestaltung Vitalij Kowaljow als Zaccaria, insbesondere in jener Preghiera, die Verdi von seinem Librettisten Temistocle Solera anstelle eines weiteren Liebesduetts von Fenena und Ismaele verlangt hatte. Spielfreudig, etwa im Aufsammeln und Neudekorieren von Gebetstransparenten, gefällt der von William Spaulding einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin, – stimmlich insbesondere in den wenigen Pianissimo-Momenten, dem Nachsummen am Ende des sattsam bekannten, vielfältig in andere Kunst- und Kommerzbereiche übertragenen „Va, pensiero, sull’ali dorate“.

Unter Dirigent Andrea Battistoni spielt das Orchester der Deutschen Oper Berlin ungedrosselt, rhythmisch präzise geführt, sauber und klangvoll, und in seiner Lautstärke auch die Solisten und den Chor mitreißend.

In der Stille nach dem originalen Ende, der seit Verdis zweiter Aufführung häufig gestrichenen Schlussszene der Abigaille, löste ein heftiger Bravoruf einen Applausorkan aus, dessen Phonstärken es offenbar denen von Orchester, Chor und Soli gleichtun wollten. Dabei dominierten, aus Popkonzerten adaptiert, schrille Begeisterungs-Pfiffe. Vorsorglich hatte die Presseabteilung der Deutschen Oper Berlin verlautbart, dass der Regisseur aus sehr persönlichen Gründen nicht bei der Premiere anwesend sein konnte; so wie seine Mitarbeiter Tilo Steffens (Bühne) und Julia Müer (Kostüme) ausschließlich Zuspruch erzielten, hätte vermutlich auch er keine Buhrufe einstecken müssen.

Weitere Aufführungen: 12. und 15. September 2013.
 

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