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Sofia Gubaildulina. Foto: Charlotte Oswald
Sofia Gubaidulina. Foto: Charlotte Oswald
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Durchtobte Klangräume - Sofia Gubaidulinas „Glorious Percussion“ in Dresden

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Herrlich, prächtig, wunderbar - so wird das englische Wort „glorious“ übersetzt. „Glorious Percussion“ hat die russische Komponistin Sofia Gubaidulina ihr neues Werk genannt, und es hält Wort: Prachtvolles Schlagzeug in allen Facetten erklang am 4. Oktober bei der deutschen Erstaufführung des Werkes in einem Abonnementkonzert der Dresdner Philharmonie.

Als Kompositionsauftrag mehrerer Orchester wurde es am 18. September in Göteborg unter Leitung von Gustavo Dudamel uraufgeführt. John Axelrod, Chef des Luzerner Sinfonieorchesters, leitete nun die Dresdner Philharmonie; Solist war ein neu gegründetes Percussionensemble, das sich sogar nach dem Titel von Gubaidulinas Werk benannt hat. Der Ausruf „glorious“ beschreibt auch den Konzerteindruck perfekt, denn Gubaidulinas neues Werk ist ein opulent-sinnliches Klangfest und riss das Dresdner Publikum zu Bravorufen hin.

Das zentrale Thema, so die Komponistin, ist in diesem Werk „die Übereinstimmung der klingenden Intervalle mit ihren Differenztönen“. Mit den Grundmaterialien Sekunde und Terz wird eine oft archaisch wirkende Klangwelt erzeugt. Wie bereits im Violinkonzert hat man das Gefühl, dass die Musik fremdartige, düstere wie lichte Sphären betritt, die kaum mehr beschreibbar sind. Doch Sofia Gubaidulina nimmt den Hörer an die Hand. Wir folgen ihr in eine karstige Welt, in der Wagner-Tuben und Basstuben Motive intonieren, die an eine schroffe Steinwüste erinnern. Axelrod zieht im Gespräch sogar Kometen und elektromagnetische Wellen des Universums zur Beschreibung der Klangwelt heran und dürfte angesichts der Naturgewalten von Gubaidulinas Partituren, die jeweils einen eigenen, autonomen Kosmos erzeugen, damit nicht falsch liegen.

Die Komponistin hält an einer strengen Formsprache fest, die Architektur steht jedoch niemals im Vordergrund. Stattdessen entsteht ein Panorama verschiedener ausgehörter Zustände und Prozesse, die nach der eingangs vorgestellten Motiv-Basis zwingend erscheinen. Ein fast in Dreidimensionalität erlebbarer, durchschrittener oder von den Schlagzeugern wild durchtobter Tonraum entfaltet sich vor den Ohren, immer wieder unterbrochen durch improvisierte Solokadenzen des Percussionensembles oder die auskomponierte Rückkehr in die Einsamkeit einer kurzen Posaunenkantilene oder eines Kontrabass-Solos.

Nach einer gefühlten Stunde (in Wirklichkeit dauert das Konzert 35 Minuten) ist man, um ein sattes Paket an Klang- und Emotionserfahrungen bereichert, aus dem elektromagnetischen Orchesterwüstenmeer zurückgekehrt, der letzte Höllenschlag des Werkes verklingt ersterbend. Die Gruppe „Glorious Percussion“ (Anders Loguin, Robyn Schulkowsky, Mika Takehara, Eirik Raude, Anders Haag) ließ einem schier den Atem stocken angesichts leichthändiger Virtuosität auf Stabspielen, Gongs und Trommeln. In seiner rhythmischen Dynamik und dem ständigem energetischen Dialog mit dem Orchester wirkt das Schlagzeugkonzert wie ein bejahender Faustschlag zur Kunst der Gegenwart. Ihre Klangphantasien lebt Gubaidulina mit charmanter Vehemenz aus und wo sie einen in das Klangmeer hineinzieht, ist Widerstand zwecklos, ästhetische Fragen stellen sich gar nicht erst - wir haben es mit einem großen Werk der Komponistin zu tun. In der Interpretation der Dresdner Philharmonie unter der inspirierenden Leitung von John Axelrod blieben keine Wünsche offen. Am 3. Dezember wird "Glorious Percussion" in Luzern unter Leitung von Jonathan Nott in der Schweiz erstaufgeführt.

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