Die erste rot-grüne Bundesregierung trat vor fast zwanzig Jahren mit dem Versprechen an, das Stiftungsrecht zu reformieren. Obwohl die Reform des Stiftungssteuer- und des -privatrechts sich keineswegs allein auf Kulturstiftungen bezogen, sondern selbstverständlich alle Stiftungen im Blick hatte, ist sie im Zusammenhang des kulturpolitischen Aufbruchs des Bundes zu sehen. Schon im Wahlkampf 1998 wurde eine erforderliche Reform des Stiftungsrechts als Argument für eine sichtbarere Kulturpolitik des Bundes angeführt. Nach der Regierungsbildung im Oktober 1998 wurde das Vorhaben in Angriff genommen und zuerst das Stiftungssteuerrecht, im Anschluss daran das Stiftungsprivatrecht reformiert.
Als Argument für die Stiftungsrechtsreformen wurde von den Befürwortern stets angeführt, dass große Geldvermögen in nächster Zeit vererbt werden würden und Stiftungsrechtsreformen dabei helfen würden, durch Stiftungserrichtungen finanzielle Mittel dauerhaft gemeinnützigen Zwecken zukommen zu lassen. Dafür war man bereit, den Stifterinnen und Stiftern erhebliche steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten einzuräumen. Das öffentliche Geld war nicht nur im Kulturbereich knapp und es bestand die Hoffnung, dass Stiftungen dauerhaft in Finanzierungsverantwortung gehen würden. Ziel der Stiftungsreformen war es deshalb, die Gründung vieler neuer Stiftungen anzuregen.
Und letzteres hat auch geklappt: Gab es Ende der 1990er Jahre rund 8.000 rechtsfähige Stiftungen in Deutschland, so waren es im Jahr 2016 fast 22.000. Wenn sich die Entwicklung fortsetzt, wird sich der Bestand an rechtsfähigen Stiftungen bald verdreifacht haben. Es gibt offenbar ausreichend Kapital, das in einer gemeinnützigen Stiftung dauerhaft gebunden werden kann. Bei den Stiftungszwecken ist festzustellen, dass Kunst und Kultur die zweithäufigste Nennung ist, häufiger wird als Stiftungszweck nur der Bereich Bildung genannt.
Die Erfolgsgeschichte Stiftungen hat in den letzten Jahren allerdings deutliche Kratzer bekommen. Zum einen haben sich die Bedingungen an den Finanzmärkten radikal verändert. Stiftungen, die in der Regel für die Ewigkeit errichtet werden, müssen ihr Kapital nach dem Stiftungsrecht und unter Kontrolle der staatlichen Stiftungsaufsicht konservativ anlegen. Das führt in einer Phase der Niedrig- bis Nullzinspolitik dazu, dass nur wenig Zinserträge erzielt werden können. Und aus den Erträgen verwirklichen Stiftungen ihre Stiftungszwecke. Oder anders gesagt: Insbesondere jene Stiftungen, die nur über ein geringes Stiftungskapital verfügen, erzielen derzeit nur sehr geringe bis gar keine Erträge aus ihrem Stiftungskapital und auch großen Stiftungen stehen deutlich weniger Mittel zur Verfügung, um ihre Zwecke zu verfolgen. Die Zinspolitik wird sich irgendwann wieder ändern und wer in langen Zeiträumen denkt, wie es bei Stiftungen der Fall sein sollte, für den ist die Niedrigzinspolitik eine Phase, die früher oder später ein Ende findet. Anders ist es mit der Kritik an der inhaltlichen Ausrichtung von Stiftungen.
Es bestand nicht nur im Kulturbereich die Hoffnung, wenn nicht gar Erwartung, dass die unter dem neuen Stiftungssteuerrecht mit seinen großen steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten gegründeten Stiftungen sich in der Kulturfinanzierung engagieren würden. Es wurde gehofft, dass Stiftungen dauerhaft Finanzierungsverantwortung übernehmen würden. Es wurde davon ausgegangen, dass Stiftungen die bestehenden kulturellen Einrichtungen und Projekte unterstützen würden.
Viele Stiftungen sind aber andere Wege gegangen. Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe von Stiftungen, die auf Antrag kulturelle Vorhaben fördern. Stiftungen, die junge Künstlerinnen und Künstler der unterschiedlichen Sparten unterstützen. Stiftungen, die Projekte anderer befördern und finanziell ermöglichen. Viele Stiftungen und insbesondere die finanzstarken, großen Stiftungen verfolgen allerdings ihre eigene Agenda. Sie sind weniger fördernd als vielmehr operativ tätig. Sie entwickeln eigene Programme, um ihre Ziele zu verwirklichen. Eine dauerhafte Finanzierung wird ausgeschlossen. Bestehende Strukturen können sich allenfalls an diesen Vorhaben beteiligen. Hieraus hat sich speziell im Bereich der kulturellen Bildung eine ernste Konkurrenz zwischen Stiftungen und bestehenden verbandlichen Strukturen entwickelt. Wobei die Ausgangsbedingungen höchst unterschiedlich sind. Haben die bestehenden Verbände vor allem inhaltliche Expertise und wenig finanzielle Ressourcen, ist es bei den Stiftungen genau umgekehrt. Sie haben die finanziellen Ressourcen, müssen die inhaltliche Kompetenz aber oftmals erst aufbauen.
Offenbar wurde, dass Stiftungen keineswegs rein altruistisch handeln. Es geht ihnen darum, sich und ihre Arbeit zu platzieren. Sie sind eben nicht nur die edlen Finanziers, die keine inhaltlichen Anforderungen stellen, sondern verfolgen ganz im Gegenteil mit großer Deutlichkeit eigene Ziele. Dies ist die größte Enttäuschung bei all jenen, die sich für die Stiftungsreformen stark gemacht haben und nun feststellen müssen, dass die Stiftungen ihr eigenes Ding machen, ohne sie einzubinden.
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“, hat Johann Wolfgang von Goethe in seinem Gedicht über das Göttliche geschrieben. Edel und gut sind die Stifterinnen und Stifter allemal, aber sind die von ihnen gegründeten Stiftungen auch hilfreich? Leider nicht immer. Zu oft werden Stiftungen als persönliche Selbstverwirklichunginstrumentarien mit Steuerabzugsmöglichkeit gegründet. Hier wird der Idee der gemeinnützigen Stiftung ein Bärendienst erwiesen.
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats.
- Weitere Texte zum Thema auf den Seiten 17 bis 19.