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Egoisten unter sich: Wagners „Götterdämmerung” an der Opéra Bastille Paris

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Unscharf deutet sich im Hintergrund die Silhouette einer Stadt an. Vor diesem Weichbild kreist ein Gerüst mit einem Spezial-Netz, auf dem virtuelle Wellen spielen und Flammen züngeln können, das aber stets noch einen vagen Blick auf die dahinter singenden Akteure ermöglicht. Rechts vorn am Rand der ansonsten fast leeren Bühne liegen Helm, Schild und der zerbrochene Speer Wotans. Das Spiel mit den aufreizenden altdeutschen Lettern der Worte GERMANIA bzw. MANIA und GER, das in den ersten drei „Ring“-Abenden eine zentrale dramaturgische Funktion einnahm, machte einem schnörkellosen Zugriff auf die kontrastreichen Absichten und Obsessionen der Protagonisten Platz.

Günter Krämer zeigt mit präziser Klarheit ein halbes Dutzend Egoisten, die vermittels der massiven Wucht ihrer Persönlichkeiten bzw. mit der vom Dichterkomponisten charakterisierten Weiblichkeit ihre jeweiligen Interessen betreiben – ohne Rücksicht auf Risiken, Nebenwirkungen oder gar weitreichende Folgen. Mit Torsten Kerl wird ein hünenhafter Siegfried aufgeboten, dessen Stimme allerdings immer wieder schwächelt – ein teurer Held im tadellos gebügelten Anzug, der die frisch gewonnene Braut gleich am Morgen nach der ersten Liebesnacht um fragwürdiger Geschäfte willen verläßt und bei diesen auf die erstbeste Intrige hereinfällt (diese Figur sollte eigentlich nicht mit einem Nachen abreisen, sondern im BMW an den Niederrhein fahren). Beim Geschäftsbesuch trifft er auf den elegant agierenden Geschäftsführer Gunther, den Iain Paterson treffsicher als einen Durchschnittsmann gibt, der nicht weiß, in welcher Liga er spielt. Christiane Libor überzeichnet die linkische heiratswütige Schwester Gutrune nur leicht.

Hans-Peter König verleiht Hagen, dem bösen Hausgeist dieser beiden unseligen Königskinder, vom Rollstuhl aus eine Stentorstimme (Vater Alberich kümmert sich in jener egozentrischen Art, mit der er schon zum Vorspiel am Rhein antrat, um den behinderten Sohn). Sophie Koch profiliert sich mit differenzierter Dynamik als Waltraute – in der Rolle einer keinesfalls uneigennützigen Warnerin, die mit dem drohenden Untergang von Wotans Imperium eine Vorzugsstellung zu verlieren hat und daher so intensiv auf Brünnhilde einwirkt, sie möge auf den verfluchten Ring verzichten. Doch die degradierte Lieblingstochter des Obergottes denkt nicht daran, das Pfand ihrer Liebe den drei leichtlebigen Rheintöchtern auszuhändigen. Mit der Laune verletzter Liebe und der Lust frisch genährter Rachsucht treibt sie den Untergang voran. Katarina Dalayman tut es mit jener vollen Wucht, die bis in die letzten Reihen der Riesenhalle an der Place de la Bastille durchschlägt.

Die leidige deutsche Frage, die durch die ersten drei Teile von Krämers Pariser „Ring“-Inszenierung geisterte, reduzierte sich in der „Götterdämmerung“ auf Erinnerung ans Rheinland und dessen sattsam bekannten Vorrichtungen zum Feiern: Hagen, Gunther und Gutrune fädeln die Toxinierung und Täuschung Siegfrieds vor Biertischgarnituren und einem Meer farbiger Papierschlangen ein. Der Volksfestausstattung fehlt zunächst Volk und Festlichkeit, erst später füllt sie sich mit der Partei der Weintrinker, die mit imposantem Cantus der Enthüllung von Details zu Brünnhildes zweiter Hochzeitsnacht folgt.

Entschieden und anschmiegsam, wuchtig und delikat meldet sich „Neudeutsches“ – in der wünschenswertesten Weise differenziert aus dem Orchestergraben: Philippe Jordan fordert den „deutsche Ton“ den französischen Rohren und Bögen ab. Dabei hatte er mehr Fortüne als jener Kapellmeister, der sattelköpfig von „deutschem Ton“ schwadroniert und sich aufgrund seiner „nationalen Gesinnung“ gleichsam für einen künstlerischen Erben Bayreuths hält. Auch im unmittelbaren Leistungsvergleich zum musikalisch ambitionierten, aber bestenfalls zweitklassigen „Ring“ in Aix-en-Provence (Simon Rattle, Stéphane Braunschweig), bei dem eine als Werbeträger der Deutschen Bank funktionierende Kapelle sich nicht mit Ruhm bekleckerte, schneidet das Orchestre de l’Opéra de Paris vorteilhaft ab.

Wie überhaupt, nach einem gewissen Auf und Ab, Jordans und Krämers „Ring“-Produktionen sich am Ende als eine der stimmigsten der letzten Jahre erweist. Spielte die Begegnung von Siegfried und den Rheintöchtern elegant an auf ein Frühstück im Freien, so kulminieren die allemal sach- und personenbezogenen Bildideen im Trauermarsch, den Torsten Kerl, nachdem er niedergestreckt wurde, zum Orchester-Interludium antritt: auf der Speziel-Projektionswand schiebt sich eine virtuelle Treppe vor die realen breiten Stufen, die sich dahinter befinden – und virtuell erhebt sich der Tote, schreitet langsam nach oben, läßt auf jeder Stufe seinen Mantel zurück – wie eine Schlange, die sich häutet. Diese „Verklärung“ kann dem Tod den Stachel nicht nehmen: die Leiche liegt noch oder wieder am Boden wenn Brünnhilde zu ihrer Orgie der Selbstvernichtung ansetzt.

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