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Achtung ECHO im falschen Fahrwasser. Foto: Hufner
Linke: Corona bremst Konzertbetrieb von Neonazis nur vorübergehend. Foto: Hufner
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Ein armseliger ECHO-Beirat und die Frage der Grundrechte

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Geht es um Grundrechte? Oder geht es um Haltung? Im Fokus: Die Nominierung der Rapper Kollegah und Farid Bang beim ECHO 2018. Der ECHO ist ein Preis des Bundesverbandes der Musikindustrie (kurz: BVMI). Er wird seit vielen Jahren verliehen. In zahlreichen Kategorien, die bepreist werden, werden genau diejenigen nominiert, die die höchsten Verkaufszahlen mit ihren Platten/CDs/Download/Streams erreicht haben. Das haben die Rapper Kollegah und Farid Bang mit dem Album „JBG3“ offenbar geschafft. Das musikalische Genre nennt sich Rap. Die beiden werden als Battle-Rapper spezifiziert.

Offenbar hatte der BVMI gewisse Vorbehalte nachdem einige Textpassagen daraus in den Fokus geraten sind. Aufgebracht hat das die „Zeitung“ mit den vier Großbuchstaben. Speziell die Zeile „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“ aus dem Song 08/15 geriet ins Visier. Der BVMI rief seinen Beirat an, um die Sache abzuklären. Der Beirat ist eine relativ junge Einrichtung, der weisungsungebunden über die Aufrechterhaltung der Nominierung entscheiden sollte. Früher hat man seitens des BVMI das selbst entschieden. Auf diese Weise wurde 2006 die Gruppe „Ooomph“ ausgeladen, 2013 folgte nach „Künstlerboykott-Drohungen“ die Südtiroler Band Frei.Wild. Das Verfahren galt als willkürlich: Deshalb jetzt der Beirat. Dieser setzt sich aus sieben Vertretern von Gruppen der Zivilgesellschaft zusammen. Darin sind Vertreter von Deutschem Kulturrat, Deutschem Musikrat, der evangelischen und katholischen Kirche, ein Pädagoge, ein Grafikdesigner und ein ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages.

Dieser Beirat hatte mehrheitlich und geheim entschieden, dass nichts gegen die Nominierung spräche, man sich aber von den Inhalten, die die Rapper „texteten“ distanziere. Es handle sich, nach der Begründung des Beiratssprechers Wolfgang Börnsen (der Ex-MdBler) um einen „absoluten Grenzfall zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit und anderen elementaren Grundrechten.“ Man fragt sich, was hier so „absolut“ ist und warum man überhaupt auf die elementaren Grundrechte verweist, wo es doch nur um die Nominierung zu einem Preis geht. Einen „formalen Ausschluss“ sieht der Beirat nicht als „richtigen Weg“ an. Stattdessen solle man darüber auf einer ernsthaften Plattform darüber diskutieren. (Wir haben das schon kommentiert).

Scharfe Kritik am ECHO-Beirat

Für den Vizepräsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, ist das eine Art geistiger Kapitulation. Er bezeichnete die Entscheidung des ECHO-Beirates als „schäbig, feige und falsch“. „In diesem Zusammenhang und gerade an diesem Tag mutet der deutsche Beitrag zum Gedenken [Gedenktag für die Opfer des Holocaust; Anm. d. Autors], so wie er sich beim Echo widerspiegelt, mehr als makaber an.“ Er führt weiter aus: „Die Entscheidung des Ethikrates und der beteiligten Verantwortlichen bezüglich der Teilnahme des Duos Kollegah/Farid Bang ist schäbig, feige und falsch und leistet mit ihrer Tragweite und öffentlichen Wahrnehmung Antisemitismus und Rechtsextremismus Vorschub.“ [Quelle: nmz-online]

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte: „Die Künstler wollen mit ihren Texten provozieren, das ist klar. Doch auch für sie sollte gelten, dass diskriminierende oder antisemitische Inhalte nicht zu tolerieren sind. Eine Relativierung des Leidens der Opfer der Schoah ist völlig inakzeptabel und geschmacklos. (…) Wenn jedoch ausgerechnet Alben mit solchen Texten für einen Preis wie den ‚Echo‘ nominiert werden, wirkt dies ja geradezu wie ein Freifahrtschein, genauso weiterzumachen. Deshalb ist es höchste Zeit, ein Stoppschild hochzuhalten.“

Eine Frage von Grundrechten?

Für den ECHO-Beirat spielten derlei Erwägungen offensichtlich keine entscheidungstragende Rolle, sie verweisen dagegen auf Grundrechte, so als gelte es hier, eine juristische Entscheidung zu treffen. Das steht aber gar nicht zur Debatte. Es geht darum, ob eine Platte für einen Preis nominiert werden dürfe. Das entscheiden die Preisgeber und ihr Beirat. Dabei müssen sie nicht das Grundgesetz wälzen. Kein Wunder also, wenn nun die Musiker dem Beirat zur Seite springen und sich dahingehend äußern, dass man sie a) missverstehe und b) eine Zensur befürchte. Farid Bang sieht den Text nicht als „politische Äußerung“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung verweist auf Kollegah, der auf Youtube Videos veröffentlichte, „in denen er den deutschen ‚Mainstream-Medien‘ Meinungsmache vorwarf und verkündete, das Volk habe es satt, ‚sich verarschen zu lassen‘. Was die ‚Bild‘-Zeitung mit ihrem Artikel bezweckt habe, sei versuchte Zensur und vergleichbar mit der Situation in ‚totalitären Staaten‘. Er rief andere Künstler und Fans dazu auf, sich dagegen zu wehren. [Quelle: FAZ, Auschwitz Komitee kritisiert Echo-Teilnahme von Kollegah und Farid Bang].

Damit kommen die „Künstler“ zurück in den Fokus der Diskussion. Die von Kollegah eingebrachten Reizworte kennt man nur zu gut aus den Mündern von Rechtspopulisten. Inhaltlich stimmt daran gar nichts. Denn eine („versuchte“) Zensur findet nicht statt. Zensur geht nur von staatlichen Behörden aus. Die Grenzen dafür sind eng. Eine Zeitung kann nicht zensieren, es nicht einmal versuchen oder gar vollziehen. „Meinungsmache“, die man für sich selbst gerne reklamiert, nimmt man anderen übel. Die, zudem abwertende, Formulierung wirft zugleich vor, aus niederen Beweggründen jemanden durch Meinungen zu diffamieren oder zu verfolgen. So etwas gibt es durchaus. Doch das Thematisieren zynischer und geschmackloser Äußerungen dürfte nicht darunter fallen. Wenn die Rapper für sich Kunstfreiheit reklamieren, dann müssen sie auch damit leben, dass zur Kunst die Kunstkritik gehört.

Kunstfreiheit? Meinungsfreiheit?

Das führt noch einmal zum Thema „Kunstfreiheit“ (künstlerische Freiheit) zurück. Da ist zu lesen: „Nach sorgfältiger Befassung mit dem Gesamtprodukt „JBG3“ von Kollegah & Farid Bang hat der ECHO-Beirat mehrheitlich entschieden, dass im Song „0815“ der Bonus-EP „§ 185“ die künstlerische Freiheit nicht so wesentlich übertreten wird, dass ein Ausschluss gerechtfertigt wäre – auch, wenn es sich um einen Grenzfall handelt.“ (Hervorhebung vom Autor)

Eine Übertretung wurde da doch tatsächlich attestiert. Man darf also die Grenzen der „Kunstfreiheit“ übertreten, aber eben nur ein bisschen. Aber geht es hier um Kunstfreiheit? Schaut man sich Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen der Kunstfreiheit an, so geht es da regelmäßig eher um „Samples“, „Zitate“ (Germania 3 von Heiner Müller) oder den „Schutz der Intimsphäre“ (Maxim Biller). Fast immer sich andere Rechtsgebiete mitbetroffen (Schutz der Persönlichkeit, Urheberrecht). In anderen Fällen (nicht vor dem Bundesverfassungsgericht) geht es um Satire und Meinungsfreiheit („Soldaten sind Mörder“) oder Schmähkritik (Böhmermann/Erdogan). Zur Kunst selbst, also was Kunst sei, hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Mephisto-Urteil 1971 geäußert. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung sei die „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden.“ Mehr nicht, weniger nicht. Auch wenn man schon ein paar Probleme damit haben könnte, ob das überhaupt im Fall von Kollegah und Farid Bang zutrifft, kann man das auf die Weise durchgehen lassen. Die Mephisto-Entscheidung stellt aber auch klar, dass es sich bei der Kunstfreiheit nicht um einen Spezialfall der Meinungsfreiheit handelt. Ihre Schranken findet die Kunstfreiheit in anderen Grundrechten. Vor allem bedeutet die Kunstfreiheit, dass der Staat nicht bestimmen darf, wie Kunst auszusehen habe. Und dazu gäbe es mehr zu sagen, aber man kann es dabei belassen. Denn es zeigt, dass die Kunstfreiheit hier gar nicht tangiert wird. Es gibt keinen staatlichen Eingriff.

Verkaufszahlen entscheiden

Aus der Sicht des BVMI ist allein entscheidend, ob die Verkaufszahlen stimmen. Das führt zur Frage, welche Funktion dieser Beirat dann erfüllen soll. Er ist ja nicht in der Funktion eines Richters, er muss eben gar nicht auf Grundrechte rekurrieren. Er kann sagen: Dieses Produkt ist schlecht, es ist moralisch verwerflich etc. Hätte man machen können. Hat man nicht. Man distanziert sich nur.

Theo Geißler hat das schon sehr richtig kommentiert: „Werden wir in der personellen Besetzung einst kulturbewusster Persönlichkeiten in den zivilgesellschaftlichen Kultur- und dann auch Musikverbands-Strukturen nur noch von opportunistischen, postengeilen (auch "Ehrenamtliches" wird heutzutage gut bezahlt) Kleingeistern vertreten, denen die Welt der Zukunft dank akzeptabler Wertepflege, am Arsch vorbeigeht? Da lob ich mir den wenigstens ehrlichen Musikwirtschafts-Drücke, der klar sagt: Der "Echo" ist ein reines Kommerz-Signal, ohne jeden qualitativen Anspruch. Fein, ihr angeblich inhaltlich engagierten, um pädagogische und musikalische Qualität engagierten Verbands-Heuchler, dass ihr dieser Haltung die moralische Absolution und Würze gebt.“

In dem Moment, wo ein Beirat die Möglichkeit gehabt hätte, ein Zeichen zu setzen gegen derartige respektlose Popauswüchse, zieht man sich zurück. Das beschädigt die Institutionen von Deutschem Kulturrat und Deutschem Musikrat (über die anderen müssen wir hier nicht urteilen). Man wird ihnen kaum abnehmen, dass sie für Aufklärung und Humanität stehen, wenn sie in dem Moment, wo sie hätten eingreifen können, dies mit dem Verweis unterlassen, man müsse es gesamtgesellschaftlich diskutieren. Das ist ja unbenommen. Konkret geht es nur um den ECHO. Da muss man sich nicht verstecken, da hätte man etwas machen können.

Ein Wort noch zum BVMI: Er betont, er mische sich inhaltlich nicht ein. Es geht beim ECHO allein um Verkaufszahlen. Florian Drücke gibt aber einen Seitenhieb ab: „Wir folgen der Anregung des Beirats, uns an einer ernsthaften Debatte über den Wert und die Grenzen von Kunst- und Meinungsfreiheit zu beteiligen, damit dieses wichtige Thema nicht nur in einer zunehmend affektgetriebenen Medienwelt rund um den ECHO diskutiert wird.“ So als ob nun die Medienwelt, „affektgetrieben“, sich von selbst disqualifiziere. Wie möchte man denn die Medienwelt haben? Wie können wir Ihnen helfen, Herr Drücke. Wie wollen Sie sich an der Debatte beteiligen? Was konkret wird unternommen?

Es wird angekündigt, die Diskussion in den Medien zu verfolgen: „Es wird viel geschrieben, mal oberflächlich kopiert und mal fundiert recherchiert, und wir werden hier in den kommenden Tagen einige Artikel zusammenstellen, die sich mit dem Thema befassen und über reine Schlagzeilen hinausgehen. Los geht es mit dem Artikel von Jens-Christian Rabe in der Süddeutschen Zeitung und einem Interview mit Jens Balzer im Deutschlandfunk.“ So kann man die Sache natürlich auch abkürzen.

Und jetzt ab auf den roten Teppich, es gilt die Haltungs- und Respektlosigkeit zu feiern.


Heute Abend dann die Live-Übertragung des ECHO auf Vox ab 20:15.

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