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Ein Bericht von der Baustelle Beethoven

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Bonn bereitet sich auf das Jubiläum 2020 vor · Von Guido Krawinkel
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Die Beethovenhalle: eine kostspielige Dauerbaustelle mit offenem Ende. Die Oper: ein derzeit auf Eis gelegter Sanierungsfall. Das Beethovenfest: wegen mangelnder Kostentransparenz und seiner Intendantin in der Kritik. Und die BTHVN-Jubiläumsgesellschaft: ein Mauerblümchen ohne wirkliche Strahlkraft.

Die Ausgangslage für die Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag des „größten Sohnes der Stadt“ könnte in der Tat deutlich güns-tiger sein. In der breiten Öffentlichkeit wurde die BTHVN-Jubiläumsgesellschaft gegenüber dem Platzhirsch Beethovenfest bislang kaum wahrgenommen. Diese Nachricht schlug dann allerdings ein wie eine Bombe: Christian Lorenz, der künstlerische Geschäftsführer der Beethoven Jubiläums Gesellschaft, räumt „einvernehmlich“ seinen Posten. Damit hatte im April, gerade einmal acht Monate vor Beginn der Jubiläumsfeierlichkeiten, nun wirklich niemand gerechnet. Einen unpassenderen Zeitpunkt hätte es auch kaum geben können. Denn statt mit den sprichwörtlichen Pauken und Trompeten auf der Zielgraden zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens einzulaufen, steuerte man – freilich nicht weniger öffentlichkeitswirksam – schnurstracks auf die nächste Negativschlagzeile zu.

Und davon gab es in Bonn wahrlich genug in der letzten Zeit. Dabei kann sich das Programm der BTHVN-Jubiläumsgesellschaft durchaus sehen lassen: Anhand der Buchstaben des Logos hat man Schlagworte (Bonner Weltbürger, Tonkünstler, Humanist, Visionär, Naturfreund) entwickelt und ein in die Tiefe wie die Breite gehendes Konzept erarbeitet, für das man neben dem Beethovenfest zum Teil als Eigenveranstalter auftritt, zu einem Großteil aber auch fremde Projekte fördert. Es gibt Klassik-Glamour ebenso wie heimelige Hauskonzerte, ein Musikfrachter trägt Beethovens Musik zudem auf dem Rhein von Bonn nach Wien.

Offensichtlich gab es aber unterschiedliche Ansichten, was die konkrete Umsetzung der Planungen betrifft. Nach der abgeschlossenen Planungsphase für 2020 und im Zuge der Umsetzungsphase habe es unterschiedliche Vorstellungen zwischen Lorenz und dem Aufsichtsrat gegeben, so Malte Boecker, seines Zeichens Direktor des Beethoven-Hauses und bislang Vorsitzender des Aufsichtsrates der BTHVN-Jubiläumsgesellschaft. „Ich habe lange vertrauensvoll mit Herrn Lorenz zusammengearbeitet. Aber dann gab es letztendlich Dinge, die wir sehr unterschiedlich beurteilt haben“, sagt Boecker über Lorenz. Die Konsequenz: man ging getrennte Wege.

Doch der Retter in der Not war schnell aus dem Hut gezaubert – und ein alter Bekannter: Boecker selbst. Eine Personalie, die zum einen der Zeit geschuldet war, denn für eine langwierige Ausschreibung der Stelle war schlichtweg kein Spielraum, die sich zum anderen aber durchaus nicht als schlechteste Wahl herausstellen könnte. Boecker, ein erfahrener und gut vernetzter Kulturmanager, ist schon im Thema drin. Und auch das von ihm neu aufgestellte, in Vorbereitung auf das Jubiläum gerade völlig umgebaute Beethoven-Haus steht programmatisch, baulich und inhaltlich blendend da.

Wenn es also einer wuppen und für den Turnaround in Sachen Beethoven sorgen kann, dann vermutlich Boecker, der nun vom Aufsichtsrat auf den Posten eines der beiden Geschäftsführer wechselt, sein Amt als Direktor des Beethoven-Hauses aber behält. Wunder vollbringen kann allerdings auch Boecker nicht. Dabei bräuchte es selbige in Bonn eigentlich dringend. Die Beethovenhalle steht – nach dem kläglichen Scheitern des Neubaus eines von drei DAX-Firmen finanzierten Festspielhauses, das nicht nur architektonisch ein weithin beachtenswertes Statement hätte setzen können – 2020 nicht zur Verfügung. Nicht dass es schade um die Halle wäre, aber statt eines architektonischen Marksteins wird hier gerade der originale Muff der 50er-Jahre kernsaniert und erweitert – denkmalgerecht selbstverständlich und zwar Schraube für Schraube. Räumlich und organisatorisch fehlt die Mehrzweckhalle allerdings in vielerlei Hinsicht, und das Kongresszentrum WCCB – im Übrigen ein anderes unrühmliches Bonner Baudesaster – ist mit seiner Konferenzarchitektur ein nur unzureichender räumlicher wie akustischer Ersatz.

So hat man erstmal und gewissermaßen alternativlos die Oper als Hauptspielstätte auserkoren, wohlwissend, dass diese ohnehin schon bis zum Anschlag ausgelastet und die Bausubstanz ausgelutscht ist. Deren Sanierung ist einstweilen auf Eis gelegt – bis die Zukunft der Beet-hovenhalle geklärt ist. Bis die zur Verfügung steht, wird man sich wohl noch gedulden müssen. Nachdem das ursprüngliche Fertigstellungsdatum Mitte 2020 immer wieder verschoben werden musste, heißt es seitens der Stadtverwaltung derzeit: keine Angabe, da in Klärung. Drei Knackpunkte dürfte man vor allem zu klären haben: so wird den Projektplanern – dem Architektenbüro Nieto Sobejano Arquitectos – immer wieder mangelhafte Arbeit vorgeworfen, der Terminplan zur Koordinierung aller Baumaßnahmen steckt immer noch voller Fehler und immer mehr Technik-Firmen kündigen wegen des Zeitverzugs auf der Baustelle ihre Aufträge. Neue zu finden ist langwierig, wenn nicht – angesichts der aufgeheizten Marktlage im Baugewerbe – nahezu unmöglich.

Hinzu kommt die exorbitante Kos-tensteigerung des Baus. Beschlossen wurden im April 2016 53,4 Millionen Euro, 37 Monate später waren es 117,4 Millionen – und das wird noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Für den originalgetreu restaurierten Muff der 50er wohlgemerkt, nicht für eine zweite Elbphilharmonie. Fast unnötig zu sagen, dass natürlich niemand die Verantwortung für dieses politische und planerische Totalversagen übernehmen will. Kann ja mal passieren, schallt es aus dem Stadtrat. „Wo bitte ist der Reset-Knopf?“ fragte deshalb im Mai schon der lokale Bonner Generalanzeiger, auch angesichts zahlreicher anderer Bauprojekte, bei denen es in der Bundesstadt derzeit alles andere als rund läuft. Das Beethovenhallen-Desaster brachte Bonn immerhin einen Eintrag ins Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler – als Beispiel für Verschwendung öffentlicher Gelder. Der Verband spricht von einer „Blamage in Bonn“. So gibt es auch mehr als zwei Jahre nach Baubeginn immer noch keine komplette Ausführungsplanung und gerade erst stellte sich heraus, dass die geplante Klimatechnik deutlich zu schwer für das Dach der Beethovenhalle ist. Die Folge: weitere teure Umplanungen.

Auch das Beethovenfest steht immer wieder in der Kritik, zuletzt wegen der Finanzen. Jüngst entzündete sich der Streit an den Kosten für eine Installation des österreichischen Künstlers Georg Nussbaumer während des letzten Beethovenfestes. Rund 62.000 Euro hat der von Nussbaumer im WCCB verkehrt herum aufgehängte Flügel gekos-tet, kein Pappenstiel angesichts rückläufiger Zuschauerzahlen und defizitärer Finanzlage – sowohl der Stadt als auch des Beethovenfestes. Intendantin Nike Wagner, die auch schon während ihrer Intendanz in Weimar mit Nussbaumer zusammengearbeitet hat, ficht das wohl kaum an, obwohl ihr der Wind auch an anderer Stelle kräftig ins Gesicht weht.

Wagner hat das getan, weswegen sie einst geholt wurde: sie hat dem Beethovenfest eine neue, deutlich interdisziplinärere, aber auch weitaus intellektuellere Ausrichtung gegeben. Damit setzt sie sich unmissverständlich vom Stil ihrer Vorgängerin Ilona Schmiel ab. Die glänzte mit Auslastungszahlen von gut 90 Prozent, Wagner erreichte im letzten Jahr 70 Prozent.

Ihr Herz schlägt für elitäre Formate wie eine Eröffnungsmatinee mit ausuferndem Festvortrag. Das Publikum begeistert und mobilisiert man mit solchen antiken Veranstaltungsformaten indes kaum. Selbiges stimmt nun mit den Füßen ab, wobei Wagner mitnichten ihr Programm, sondern vielmehr die Ersatzspielstätte WCCB als Ursache ausgemacht hat, die werde vom Publikum nicht angenommen. Kann das als zufriedenstellende Erklärung ausreichen?

Selbst in der Wagner eigentlich stets wohlgesonnenen CDU-Fraktion des Bonner Stadtrates regen sich diesbezüglich mittlerweile Zweifel. „Nike Wagner setzt ihre Intendanz aufs Spiel“, titelte denn auch im März die FAZ. Grund war aber nicht nur das hohe intellektuelle Ross, auf dem Wagner gegenüber ihrem sie – zumindest zum Teil – finanzierenden Publikum sitzt, sondern auch ihre unverbrüchliche Nibelungentreue zu ihrem alten Freund Siegfried Mauser. Denn obwohl dieser rechtskräftig als Sexualstraftäter verurteilt wurde, hält Wagner unverdrossen an ihm fest.

Eine neuerliche Einladung zum Beethovenfest wurde nur nach massiven öffentlichen Protesten zurückgezogen. Wagner tat die Vorwürfe gegen Mauser mit der erstaunlich lapidaren Äußerung ab, dahinter stehe eine hochschulinterne Intrige, und Frauen, die Karriere machen wollten, seien auch keine Engel. Eine moralisch äußerst fragwürdige Äußerung, und zudem ein ebenso verstörender wie entwürdigender Tiefschlag mitten ins Gesicht aller Opfer sexueller Gewalt. Nach dem Jubiläumsjahr läuft Wagners Vertrag im Übrigen aus. Ob er verlängert wird, scheint angesichts der Gemengelage durchaus fraglich.

Doch es ist nicht alles schlecht in der Beethovenstadt Bonn. Es gibt zahlreiche Projekte, die zum Teil von der BTHVN-Jubiläumsgesellschaft gefördert, teils aber auch frei organisiert werden. Ein absolutes Leuchtturmprojekt sind die „250 piano pieces for Beethoven“, ein Projekt der Pianistin Susanne Kessel. 250 Komponisten lassen sich hierzu von Beethovens Leben und Werk inspirieren und komponieren Klavierstücke. Eine Noten- und CD-Edition komplettieren den Uraufführungsmarathon, der voraussichtlich während des Jubiläumsjahres vollendet werden wird (siehe hierzu Artikel oben auf dieser Seite). Auch die Bürger für Beethoven trommeln mit ihrem Vorsitzenden Stephan Eisel unermüdlich für ihren Namensgeber, organisieren etwa Verwandtschaftstreffen der heute noch lebenden van Beethovens oder werden nicht müde, sich immer dort einzumischen, wo es um den Komponisten geht.

Die Bürger für Beethoven legen aber nicht nur den Finger in die Wunde, sie liefern auch. Erst kürzlich erregten sie mit der wesentlich von ihnen mitinitiierten Installation des Konzeptkünstlers Ottmar Hörl weltweit Aufsehen, der auf dem Münsterplatz 700 grüne und goldene Beethoven-Statuen aufgestellt hatte. Zwar schieden sich an der Darstellung des leicht grinsenden jugendlichen Komponisten und überhaupt an der ganzen Aktion durchaus die Geister, doch medial und lokal war das Echo überwältigend. Ursprünglich war geplant, mindestens 700 Statuen an den Mann zu bringen, bis zum Ende der Aktion waren es dann bereits über 2.500, Tendenz steigend. Solche Aktionen zeigen dann doch, dass der vielbeschworene Geist Beethovens durchaus noch in Bonn vorhanden ist. Einst waren es die Bürger für Beethoven, die 1995 das von der Bonner Politik aus Finanzgründen gestrichene Beethovenfest wiederbelebten. Heute sind sie – ebenso wie das umtriebige „Netzwerk Ludwig van B.“ der Kulturmanagerin Solveig Palm, das sich insbesondere der Nachwuchsförderung verschrieben hat – einer der „Anlasser“, die den „Beethoven-Motor“ immer wieder zum Laufen bringen.

Ein anderer heißt Dirk Kaftan. Seit der Spielzeit 2017/18 ist er Generalmusikdirektor der Stadt Bonn und wird seitdem nicht müde, an allen Ecken und Enden der Stadtgesellschaft für das Beethoven Orchester und die Musik zu trommeln. Bereits sein Einstand setzte die Eckpfeiler, an denen er sich messen lassen will: Da ließ er das Hochkulturorchester der A-Kategorie im Bayernzelt auf der Kirmes Pützchens Markt auftreten. Mehr Rummel geht kaum. Die erste Premiere in der Oper hingegen war die selten gespiel­te „Penthesilea“ von Othmar Schoeck. Eine absolute Repertoire-Rarität und eine in jeder Hinsicht herausragende Opernsternstunde obendrein. Das spricht sich rum: die Besucherzahlen im konzertanten Bereich haben sich verdoppelt.

Neider gibt es freilich immer. Erst jüngst war eine Formation des Beethoven Orchesters Bonn (BOB) auf Einladung der Don Bosco Mission Bonn in Kolumbien, um dort mit Straßenkindern zu arbeiten. Das Projekt war ein voller Erfolg, die Reaktionen begeisternd, die Wirkung mehr als nachhaltig: das Projekt wird fortgeführt und die Jugendlichen von dort werden unter anderem im Rahmen des Jubiläums 2020 Bonn besuchen. Und die Reaktion der örtlichen Politik? Ein Vorwurf, warum man denn nichts mit Bonner Jugendlichen mache. Ein Vorwurf, der nicht zuletzt mangelnde Wertschätzung, aber auch eine erschreckende Unkenntnis verrät, denn gerade die Aktivitäten im Jugendbereich hat das BOB im Vergleich zu den Vorjahren verdreifacht. Auch für das Jubiläumsjahr hat man sich eine spannende Mischung aus bekannten Namen und unkonventionellen Konzepten ausgedacht, die deutlich Kaftans Handschrift trägt.

Eine weitere Personalie verheißt Erneuerung: Seit wenigen Wochen ist die neue Sport- und Kulturdezernentin Birgit Schneider-Bönninger im Amt, eine ausgewiesene Expertin in Sachen Kultur, die nun die schwierige Aufgabe hat, das in Bonn traditionell angespannte Verhältnis zwischen Kultur und Sport zu befrieden. Bislang hatte sie nur Zeit für ein bisschen Symbolpolitik, etwa indem sie den Sport in der Bezeichnung ihres Ressorts aufgewertet hat. Doch sind die Hoffnungen groß, die in sie gesetzt werden, und das Erbe ihres weitgehend glück- und farblos agierenden Vorgängers Martin Schumacher wiegt schwer. Kultur und Sport sieht Schneider-Bönninger als „starkes Doppel“, zurzeit sind sie in Bonn noch eher Kontrahenten. In jeder Hinsicht programmatisch für Bonn könnte somit ein Motto des Beethovenfestes 2020 sein, das zusätzlich zum großen Fest im Spätsommer auch einen Ableger im Frühjahr bekommt: „Auferstehn, ja auferstehn“. Etwas anderes wird der Bundesstadt angesichts ihrer misslichen Lage zudem auch kaum übrigbleiben.

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