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Die Preisträger 2010: v. l. n. r. Javier Alonso und Ainoa Padrón, Elif Şahin-Nesweda und Annelie Sophie Müller, Anna Alàs i Jové und Alexander Fleischer. Foto: Reiner Pfisterer (IHWA)
Die Preisträger 2010: v. l. n. r. Javier Alonso und Ainoa Padrón, Elif Şahin-Nesweda und Annelie Sophie Müller, Anna Alàs i Jové und Alexander Fleischer. Foto: Reiner Pfisterer (IHWA)
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Ein Faible fürs Intime: Zum Internationalen Wettbewerb für Liedkunst 2010 der Hugo-Wolf-Akademie

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Die Atmosphäre im Konzertsaal der Musikhochschule Stuttgart war hoch konzentriert. Vorn auf der Bühne trugen die Sänger und Pianisten ihre Lieder vor, im Halbdunkel lauschten aufmerksam Publikum und Jury. Wer hier als Duo einen Preis gewinnen wollte, musste die anstrengende Prozedur dreimal erfolgreich bestehen. Und mit jeder Runde wurde es schwieriger.

Insgesamt 57 Duos hatten sich im Vorfeld um die Teilnahme mit einer Demo-CD beworben; nur gut die Hälfte wurde von der Vorjury zugelassen. Beim Wettbewerb selbst, der vom 14. bis zum 19. September ging, traten schließlich noch 23 Liedduos vor die gespitzten Ohren der hochkarätig besetzten, aus Liedspezialisten zusammengestellten Jury. Als Vorsitzende war erstmals Brigitte Fassbaender zum Internationalen Wettbewerb für Liedkunst von der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie (IHWA) eingeladen worden. Die große Mezzosopranistin hatte sich nach ihren Bühnenerfolgen in den letzten Jahren ihrer Laufbahn überwiegend dem Liedgesang gewidmet, der trotz seiner scheinbaren Einfachheit eine überaus hohe Stimmkultur erfordert: „Liedgesang ist keine Materialschau. Liedgesang ist immer eine Dreieinigkeit: Körper, Seele, Geist. Die sängerische Intelligenz ist in hohem Maße gefordert.“

Und wirklich: Aussprache, Intonation, Stimmführung, Farbgebung –nichts darf vernachlässigt werden in diesen sorgsam ausgefeilten Miniaturen. Komponisten wie Robert Schumann, Hugo Wolf oder Gustav Mahler, deren Lieder beim diesjährigen Wettbewerb im Mittelpunkt standen, deuteten Dichtungen um menschliches Mit- und Nebeneinander, Lebensbetrachtungen und Grenzerfahrungen detailliert aus. Die Interpreten müssen die Kleinode dem Publikum erzählend und gestaltend nahe bringen – ohne Maske, Kostüm oder Bühne, begleitet nur von dem Mann oder der Frau am Klavier. Er fühle sich beim Liedgesang manchmal schon allein, gestand der spanische Tenor Javier Alonso, aber der Kontakt zu den Zuhörern sei beim Lied eben viel intimer und direkter als auf der Opernbühne, und er habe ja seine Begleiterin dabei, die spanische Landsmännin Ainoa Padrón. Beide haben beim Internationalen Wettbewerb für Liedkunst den dritten, mit einem Stipendium von 6.000 Euro dotierten Preis gewonnen. Aus Spanien kommt auch die Mezzosopranistin Anna Alàs i Jové, zusammen mit dem Pianisten Alexander Fleischer Gewinnerin des zweiten Preises, für den es ein Stipendium von 10.000 Euro gab.

Die Internationale Hugo-Wolf-Akademie in Stuttgart, die den Wettbewerb seit 1987 ausrichtet, hat ihre Zulassungsbedingungen den speziellen Anforderungen des Lieds angepasst. Seit 2001 stellt die Akademie keine Pflichtbegleiter mehr, nur noch bereits bestehende Liedduos könnten sich zu der alle drei Jahre stattfindenden Ausscheidung anmelden. E geht hier nicht nur um künstlerische Erwägungen. Der mittlerweile renommierte Wettbewerb ist auch ein Aushängeschild für die Institution, die sich in ihren Konzerten und Meisterkursen ganz auf den Liedgesang spezialisiert hat, auch weil in letzter Zeit neue Liedwettbewerbe, etwa in Berlin oder in Düsseldorf, ins Leben gerufen werden. Und es ist es dem Ruf der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie nur förderlich, wenn mittlerweile berühmt gewordene Preisträger von einst zu Gast in Stuttgart sind, etwa der Bariton Matthias Görne oder die Sopranistin Birgid Steinberger. Wer heute hier zum Liedwettbewerb antritt, muss also schon einiges an Erfahrung mitbringen. Der Pianist und Liedexperte Wolfram Rieger, einer der Juroren, erwartet auch vom Klavierpartner, „dass er in der Lage ist, in der Duopartnerschaft mit dem Sänger sein Licht auf den Text, auf die musikalische Dramaturgie zu werfen.“

Interessanterweise sind es oft gerade die Dichtungen von Mörike und Eichendorff oder die Texte aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, die auch ausländische Studierende am reichen Repertoire des deutschen Kunstlieds faszinieren. Die türkische Pianistin Elif Şahin-Nesweda erzählt ohne Umschweife, dass sie sich wegen der deutschen Sprache und Literatur auf Liedbegleitung spezialisiert habe. Sie und ihre Duopartnerin, die Mezzosopranistin Annelie Sophie Müller, mit der sie erst seit einem halben Jahr zusammenarbeitet, holten beim Internationalen Wettbewerb für Liedkunst den mit 20.000 Euro dotierten ersten Preis – völlig zu recht, wie der fulminante, jedem Stil gerecht werdende Vortrag der beiden beim abschließenden Preisträgerkonzert am 19. September in Stuttgart zeigte.

Eine willkommene finanzielle Unterstützung, denn der Liedgesang, der sich nur für den kleine Rahmen eignet, ist kommerziell unergiebig und lohnt sich nur für diejenigen, die sich ihren guten Ruf schon anderweitig erarbeitet haben. Annelie Sophie Müller freilich, die ab dieser Spielzeit im Opernstudio der Komischen Oper in Berlin singt, schwärmt von dem gestalterischen Freiraum, den ihr das Lied bietet und will den Liedgesang auf jeden Fall weiter pflegen. Ein gutes Signal, denn das Kunstlied, jedem Event abhold und nicht eben ein Hilfsmittel für eine schnelle Kariere, wird als eigenständige Kunstform wohl auch künftig von einer kleinen Gruppe von Interessenten wahrgenommen – auch wenn die Begeisterung der Besucher beim Preisträgerkonzert natürlich etwas anderes suggerierte.

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