Robert Wilson hat, fast zwei Jahrzehnte nach Tom Waits' „Black Rider“ in Hamburg, endlich das Original inszeniert, Carl Maria von Webers urromantischen Freischütz. Auf der Bühne des Baden-Badener Festspielhauses gibt er sich aufklärerisch und kostümverliebt, lässt Sängerinnen und Sänger posieren und gibt ihnen Atem und Aufmerksamkeit zur Gestaltung der Gesangspartien.
Das lohnt bei der ausgezeichneten Besetzung allemal, und die Verfremdungseffekte und flächigen Attraktionen, mit denen die Bühne prachtvoll bevölkert und belebt ist, legen nebenher den Subtext der Geschichte frei, der vom Sieg des Christentums und der Zivilisation über altheidnische Alfanzereien und Satanismen berichtet.
Robert Wilson hat, fast zwei Jahrzehnte nach Tom Waits' „Black Rider“ in Hamburg, endlich das Original inszeniert, Carl Maria von Webers urromantischen Freischütz. Auf der Bühne des Baden-Badener Festspielhauses gibt er sich aufklärerisch und kostümverliebt, lässt Sängerinnen und Sänger posieren und gibt ihnen Atem und Aufmerksamkeit zur Gestaltung der Gesangspartien. Das lohnt bei der ausgezeichneten Besetzung allemal, und die Verfremdungseffekte und flächigen Attraktionen, mit denen die Bühne prachtvoll bevölkert und belebt ist, legen nebenher den Subtext der Geschichte frei, der vom Sieg des Christentums und der Zivilisation über altheidnische Alfanzereien und Satanismen berichtet.
Weil ohne weitere naturalistische Darstellungsbemühungen zum Publikum hin gesungen wird, gilt ein großer Teil der Aufmerksamkeit dem dynamisch grenzgängerisch differenzierenden Stimmkunst der Juliane Banse als Agathe und der offensiven, in allen Lagen und Situationen klaren und einnehmenden Ausdrucksfülle Julia Kleiters als Ännchen. Agathe, Inbild einer romantischen Frauenfigur, steckt dabei in einem komplizierten Blumenkostüm der Couturiers Viktor und Rolf wie in einer luxuriösen Bonbonnière. Steve Davislim ist ein lyrisch leidender, zart und intensiv intonierender Jägerbursche Max, ein moderner Antiheld der gemischten Gefühle, tiefen Zweifel und empfindsamen Leidensfähigkeit. Hervorragend gelingt die Interpretation der Weberschen Musik mit dem vorzüglichen Mahler Chamber Orchestra unter dem Dirigat Thomas Hengelbrocks, ein Lehrstück der Differenzierung, des feinsinnig variierenden Farbauftrags und der variablen Dynamik. Die plastische Gestaltung der Musik gerät zuweilen in einen Konflikt mit Robert Wilsons enorm effektvoller, farb- und zeichenintensiver Bühnenaktion. Erst nach der Pause, fügt sich alles ganz wunderbar ineinander. Das hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass auch farblich etwas passiert ist: nach den unchristlich schillernden Konfliktfarben der ersten beiden Akte wird jetzt alles unschuldig strahlend weiß, nur das Schuhwerk ist rot. Der Jägerchor (der Philharmonia Chor aus Wien) kommt weiß gekleidet mit roten Schuhen auf die Bühne und singt sein volksliedhaft bekanntes Stück mit einer etwas hampelmannhaften Choreografie so bezwingend lustig und hinreißend klangschön, dass bei der Premiere im Festspielhaus etwas passiert, was in deutschen Opernhäusern nur sehr selten passiert: Mitten im Stück bekommt das Publikum eine herbeigeklatschte Jägerchor-Zugabe. War dies der historische Augenblick einer Versöhnung zwischen Musikantenstadel und Hochkultur?
Überhaupt gibt es recht oft Beifall auf offener Szene, der in der ersten Hälfte in der Regel den Sängerinnen (besonders begeisert bei Juliane Banse und Julia Kleiters Szene) und Sängern gilt, die sich unbedrängt entfalten können. Nach der Pause dann, als die optische Abstraktion auf einem kühlen, weißen Gipfel und die musikalischen Gestaltungsräume in einem farbenreichen Großraum angekommen sind, nimmt die Begeisterung kontinuierlich zu.
Verwunderlich, dass dieser Freischütz nach konzertanten Aufführungen in Dortmund und einer Fernsehübertragung am Pfingstmontag auf Arte vorerst nirgends zu sehen ist. Ein Versäumnis des Tournee- und Inszenierungstauschbetriebes, das hoffentlich noch korrigierbar ist.