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Patrick Zielke in „La Boheme“. Foto: Jörg Landsberg.
Patrick Zielke in „La Boheme“. Foto: Jörg Landsberg.
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Ein großer Preis für das Strauss‘sche Erotikmonster – Gespräch mit dem Bremer Bassisten und Träger des Theaterpreises „Der Faust“ Patrick Zielke

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Den renommierten und damit begehrten Theaterpreis „Der Faust“ gibt es seit 2006. Er wird jährlich in allen Theatersparten wie Schauspiel, Regie, Oper, Bühnenbild, Kinder- und Jugendtheater, Tanz und natürlich für Rollenporträts in Schauspiel und Oper vergeben. Schon einige Male gab es Nominierungen für Bremer Produktionen bzw. Sänger*innen: 2017 war es Sängerin Nadine Lehner für ihre Kundry, Opernregisseur Paul Georg Dittrich für Wozzeck, 2019 gewann ihn dann Birgit Freitag vom Kinder und Jugendtheater für ihr Stück „Für Vier“.

Der Preis wird vergeben vom Deutschen Bühnenverein, von der Bundeskultur-Stiftung der Länder, von der deutschen Akademie der darstellenden Künste und dem jeweiligen Bundesland. Dieses Jahr hat ihn der Bassist Patrick Zielke, der zusammen mit den Sängerinnen Lise Davidsen und Marlis Petersen nominiert war, für seine Darstellung des Baron Ochs von Lerchenau aus Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“ in der Bremer Inszenierung von Frank Hilbrich erhalten.

Der 1982 geborene Zielke war von 2013 bis 2018 am Theater Bremen engagiert, seit 2018 gehört er dem Ensemble des Nationaltheaters Mannheim an. Er lebt weiterhin in Bremen und versucht mit dem hiesigen Intendanten Michael Börgerding pro Spielzeit eine Partie als Gast zu realisieren. In der Vergangenheit war das der Boris in Schostakowitschs Lady Macbeth oder eben jener Ochs im Rosenkavalier.

Ob es im Barbier von Sevilla war, im Fliegenden Holländer, in den Meistersingern von Nürnberg, in der Zauberflöte oder im Parsifal: die Intensität seiner unter die Haut gehenden Porträts ist unvergessen. 2015 erhielt der Publikumsliebling den bremischen Kurt Hübner-Preis. Wir trafen ihn in Bremen.


Ute Schalz-Laurenze [nmz]: Sie haben den Preis für die Interpretation des Ochs von Lerchenau aus Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“ bekommen. Ich denke aber, es ist übergreifend ein Preis nicht nur für Ihre Begabung, sondern auch und besonders für Ihre Haltung gegenüber einer Rolle an sich. Was auch immer Sie spielen, Sie füllen Ihre Figuren mit einer extremen Tiefe und Radikalität aus, Sie finden in jeder vokalen Klangfarbe den Charakter Ihrer Rolle. Bleiben wir noch beim Rosenkavalier: der Ochs sei bei Ihnen ein „Erotikmonster“ oder habe auch „bärenstarke Nummern“, wie Kritiker gesagt haben. Natürlich brauchen Sie dafür auch immer Regisseure, wie es in Bremen einst Benedikt von Peter war. Können Sie uns erzählen, wie Sie sich mit dem Regisseur Frank Hilbrich dem Ochs genähert haben?

Patrick Zielke: Wir spielen eine vom Dirigenten Yoel Gamzou und Regisseur Hilbrich gekürzte Fassung, die das gesamte gesellschaftliche Drumherum weglässt und die Story auf die Hauptpersonen reduziert. Frank und Yoel mussten mich im Vorfeld ganz schön überzeugen, dass das aufgehen wird, da ich anfangs schon ein bisschen Zweifel hatte. Frank hatte ein paar Sachen von mir gesehen und dementsprechend hatte ich ein paar Vorschusslorbeeren und den Freiraum, erstmal „einfach zu machen". Wichtig war ihm jedoch, keinesfalls gefühlsduselig mit der Musik umzugehen. Er hat einfach gesagt: „Mach! Das Monster darf nicht im Kitsch verloren gehen!“. Wir haben mit den Kürzungen alles schärfer gezogen und dass das erkannt wurde, freut mich unglaublich!

nmz: Ich bin nicht die erste, die Sie als Sängerschauspieler bezeichnet hat. Das sind Sie einfach und vielleicht können Sie diesen künstlerischen Entscheidungsprozess noch einmal kommentieren auf dem Hintergrund Ihrer Studien der Schulmusik, des Klaviers und Dirigieren. Wie kam es, dass es Sie dermaßen krass auf die Bühne treibt? Eine Erinnerung an den Kulturhistoriker Johan Huizinga: Der Mensch übt das Leben im Spiel. Ist es das?

Zielke: Naja, ehe ich zur Bühne kam, habe ich schon immer gern Menschen unterhalten, auf Familienfeiern, im Unterricht … es ist ein unglaublich tolles Gefühl, Leute zum Lachen zu bringen. Dann wurde die Stimme immer tiefer – also einen philosophischen Ansatz, warum ich Opernsänger wurde, gibt es eher nicht!

nmz: Die Anstrengung, die Gattung Oper aus dem Museum herauszuholen, ihr eine aktuelle Relevanz zu verleihen, kann man heute an vielen Ihrer Kolleginnen und auch Regisseuren beobachten. Ich habe jedoch das Gefühl, dass Ihr Explodieren auf der Bühne noch viel weiter geht. Indem Sie die Personen sozusagen nackt zeigen, machen Sie sich auch nackt, haben allen Mut, die ekelhafte Monsterhaftigkeit und die unappetitliche Peinlichkeit des Ochs breit auszutreten.

Zielke: Ich denke bei Theater in Extremen und gehe stets vom Schauspiel aus. Wir verhandeln in der Oper so große Stoffe und Geschichten, da muss es schon nachvollziehbar und realistisch zugehen. Mein Eindruck ist, das die Sehgewohnheiten des Publikums sich durch Netflix, Kino und Co. stark gewandelt haben. Wenn man da konkurrenzfähig bleiben will, muss man schon auf’s Ganze gehen.

nmz: Sie haben einmal erzählt, dass Sie Regisseure sehr lang nerven, bis Sie deren Konzeptionen verstanden haben. Und ich erinnere bei einem Publikumsgespräch über von Peters Inszenierung von „La Bohème“, dass eine Zuschauerin Sie fragte, wie grauenhaft es denn für die Sänger gewesen sein musste, derartig wild und pubertär zu agieren. Sie antworteten, es sei das Beste gewesen, was Ihnen je passiert sei und seitdem eine Leitlinie ....

Zielke: Das war sicher etwas direkt geantwortet, weil ich damals die Frage als provokant empfand. Wir haben da doch nicht einfach sinnfrei rumgeblödelt. Benedikt hatte sein Konzept vorher entwickelt und mit enormer Genauigkeit vermittelt. Viel schlimmer find ich es, wenn nach Wochen harter Probenarbeit ein Dirigent zu mir sagt „hier die drei Töne musst du aber nach vorne singen, da höre ich dich nicht!“ und er damit eine szenische Figur zu einer privaten, rein sängerischen Handlung nötigt. Ich singe am Abend ja genug Töne, da können auch mal drei zur Seite gehen.

nmz: Wie stark ist denn bei Ihnen die Verbindung von Wort und Ton? Von Rolle und Musik? Können Sie sich in einer konzertanten Aufführung vorstellen? Oder einem Oratorium? Und wie stehen Sie zum Lied? Oder auch „nur“ eine Schauspielrolle: wäre das vielleicht attraktiver?

Zielke: Manchmal träume ich davon, ins Schauspiel zu wechseln. Ich müsste mir nicht mehr soviel Sorgen um das Wohlbefinden meiner Stimme machen, und könnte mir für den ein oder anderen Moment auf der Bühne einfach mal Zeit nehmen. Die Musik drängt ja bei uns immer weiter! Und Lied? Vielleicht kommt's noch! Wenn ich Kantaten oder Oratorien von Bach singe, bin ich den Kantoren ehrlich gesagt oft zu laut. Auch kann ich da nicht so extrovertiert auftreten, wie ich es für mich bräuchte. Da steht die absolute Musik im Vordergrund. Es geht besser, wenn es wie bei Haydn oder Mendelssohn theatraler wird. Beim Liedgesang verhält es sich ähnlich. Dazu kommt, dass wir in der Oper immer sechs Wochen proben, da gibt es viel Zeit, auch stimmlich sich alles „in die Kehle“ zu singen. Bei einem Liederabend findet die Arbeit eher für sich statt und man trifft sich dann erst kurz vor dem Konzert mit dem oder der Pianist*in. Auch bei Passionen sind die Proben so eng getaktet, dass wenig Spielraum für eine persönliche Interpretation bleibt. Ich mag es, wenn viel zusammen geprobt wird – das kreative „zusammen entwickeln“. Zudem bringt das Wiederholen Sicherheit und ich werde zur Premiere hin immer freier.

nmz: Für welche Studien, für welche Aktivitäten nutzen Sie die Coronazeit?

Zielke: Klavier üben, Altglas wegbringen und Kochen! Beethovens op. 10/2 zum Beispiel, ein bisschen Goldberg-Variationen und gute Hausmannskost. Gemüse schnibbeln und BR-Klassik hören ist meine Meditation.

nmz: Welche Rollen stehen Ihnen bevor und welche noch nicht gesungenen wünschen Sie sich?

Zielke: Marke aus „Tristan und Isolde“ kommt jetzt. Dann wünsch ich mir den Kaspar aus dem „Freischütz“ und den Hagen aus dem Ring des Nibelungen. Und sonst? Ich habe ja bald 60 Rollen gesungen, da sind schon ein paar Wünsche in Erfüllung gegangen!

nmz: Was bedeutet so ein Preis für Sie?

Zielke: Sehr, sehr viel! Weil der Schauspielanteil so geachtet wird. Ein reiner Opernpreis würde mir nicht so viel bedeuten.

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