Von Kultur als Marke war die Rede bei der Deutschen Orchesterkonferenz im Erfurter Kaisersaal. Von der Aufführung als Produkt, von Zielgruppen und Marketing. Die Berliner Philharmoniker mit ihrer Vielzahl von Kammermusikgruppierungen wurden als leuchtendes Beispiel für Diversifizierung unter einer Dachmarke gepriesen. Die Frage ist allerdings, inwiefern sie als Vorbild für ein kleines kommunales Orchester wirklich taugen.
Beispielsweise spielen die verhältnismäßig schlecht bezahl-ten Bergischen Symphoniker bereits heute so viele Konzerte, gehen in Schulen und Kommunaleinrichtungen und helfen in den umliegenden Opernhäusern aus, dass sie kaum Zeit haben für die lukrativen „Mucken“. Ganz davon abgesehen, ob in Städten wie Remscheid und Solingen überhaupt ein nennenswerter Bedarf an Streichquartetten und Kammerorchestern besteht. Für diese kleinen Orchester scheint vielmehr entscheidend zu sein, dass sie in einer Zeit der wachsenden Individualisierung deutlich machen können, warum die Gesamtheit der Steuerzahler ihnen unter die Arme greifen soll. Hier sind die unspektakulären Bergischen Symphoniker vielleicht sogar auf dem besseren Weg als die Edelklangkörper in den Großstädten, denn ihre kontinuierliche Arbeit ist für jeden Schüler oder Altenheimbewohner der Stadt unmittelbar fühlbar. Der Münchner Unternehmensberater Maurice Lausberg traf mit seinem Vergleich zwischen der Kulturwirtschaft und den kriselnden Autounternehmen spürbar einen Nerv und sorgte mit seinen offenen Worten für einiges Unbehagen unter den etwa 250 Teilnehmern der Deutschen Orchesterkonferenz. Hier wie dort gebe es ein Überangebot, in beiden Bereichen werde es in der Zukunft zu einer Marktbereinigung kommen.
Dieses Schicksal konnte der Gothaer Oberbürgermeister für das Orchester seiner Stadt abwenden. Durch eine kluge Kooperationspolitik mit der benachbarten Landeshauptstadt Erfurt sicherte er die Zukunft des Traditionsorchesters. So blieb den Gothaern das Schicksal der anderen 35 Orchester erspart, die seit 1991 in Deutschland aufgelöst oder wegfusioniert wurden. Gerald Mertens, Geschäftsführer der veranstaltenden Deutschen Orchestervereinigung, spricht in diesem Zusammenhang gerne vom „demokratischen Darwinismus“. Ein schönes, wenn auch drastisches Bild, denn auch in der biologischen Evolution sind einige charmante Exemplare auf der Strecke geblieben. Ebenso gut könnte er allerdings von einem Gewitter sprechen, denn niemand weiß genau, wo der Blitz als nächstes einschlagen wird. Radikale Sparbeschlüsse treffen mitunter Orchester, die man bis dahin für „fit“ gehalten hatte, während andere Klangkörper weiter alimentiert werden, die man kaum für überlebensfähig hielt. Um die musikalische Qualität der Orchester geht es dabei offensichtlich nicht immer. Viel wichtiger für das Überleben sind ein begeisterungsfähiges Publikum, das breitenwirksame Image und die überregionale Ausstrahlung sowie nicht zuletzt die Finanzkraft des Trägers.
In Mecklenburg-Vorpommern verschwanden bereits vier der einst acht Orchester auf Nimmerwiedersehen, und inzwischen wird ziemlich laut über die Zusammenlegung der übrig gebliebenen zu nur noch zwei Klangkörpern nachgedacht. Es ist kein Zufall, dass diese radikalen Verzweiflungstaten vor allem im Osten stattfinden, auch wenn der Einigungsvertrag eine Sicherung der kulturellen Substanz garantieren sollte. Das hat schon in der Vergangenheit nicht funktioniert, und weil der Solidarpakt in zehn Jahren ausläuft, befürchten alle Kulturschaffenden im Armenhaus Deutschlands spätestens nach diesem Datum Schreckliches.
Um für weitere Sparattacken gerüstet zu sein, hat die Deutsche Orchestervereinigung ein Gutachten zur Zukunft der Kulturfinanzierung beim Institut für Wirtschaftsforschung Halle in Auftrag gegeben. Schon im Herbst sollen Ergebnisse vorliegen, auch wenn der Institutspräsident Ulrich Blum freimütig einräumt, dass noch niemand genau weiß, wie sich die Wirtschafts- und Finanzkrise auf das Publikumsverhalten auswirken wird. Deshalb raten Marketingexperten gerne zur Entwicklung neuer Darreichungsformen der altbekannten Musik. Als Vorbild werden dann gerne die äußerst erfolgreichen „Poetry Slams“ genannt, gegen die altmodische Autorenlesungen inzwischen kaum noch ein Chance haben. Spätestens hier war allerdings an den Wortmeldungen deutlich spürbar, dass die anwesenden Orchestermusiker nicht in die Spaßfalle tappen möchten. Unter den Musikern herrscht angemessene Skepsis, ob die Zielgruppe der Comedyveranstalter wirklich mit der von Symphonieorchestern übereinstimmt.
Angesichts dieser Zukunftsangst traten die übrigen Themen der Orchesterkonferenz ein wenig in den Hintergrund. Der große soziale Druck der Kollegen, dem ein Orchestermitglied ausgesetzt ist, war ebenso Thema wie Musikerkrankheiten. Das eine kann schnell zum anderen führen, denn auch wenn Doping sicher kein Alltagsphänomen in unseren Kulturinstitutionen ist, so sind Alkohol und Betablocker unter Musikern auch nicht völlig unbekannt. Während in mittelständischen Unternehmen eine kluge Personalentwicklung inzwischen gang und gäbe ist, setzt sich unter Orchestermanagern erst langsam die Erkenntnis durch, dass ihre Musiker Motivation im Betrieb brauchen. Weiterbildung, Mediation und Konfliktberatung können auch Künstlern das Berufsleben beträchtlich erleichtern. Diese Programme kosten allerdings zusätzliches Geld, das in den Orchesterhaushalten bisher kaum vorgesehen ist. Schon um die derzeitige Anzahl von Orchestern zu erhalten, müssten die Kultursubventionen deutlich aufgestockt werden. Eine Bereitschaft dazu ist bei den zuständigen Finanzministern jedoch kaum zu spüren. Ganz im Gegenteil, mit dem Argument der Finanzkrise werden bereits weitere Kürzungen in der Kultur angekündigt. Und so erwarten alle Teilnehmer der Deutschen Orchesterkonferenz harte Verteilungskämpfe in der Zukunft und, auch wenn es keiner laut sagen will, so rechnen sie doch damit, dass der „demokratische Darwinismus“ weitere Opfer fordern wird.