Hatte der künstlerische Leiter Reiner Michalke sich wohl früher kaum träumen lassen, jemals einen einzelnen Bass-Saxofonisten alleine vor circa 2000 Menschen spielen zu lassen, so funktioniert so beim Moers Festival heute heute völlig unverkrampft. Der New Yorker Colin Stetson kreierte mit unfassbarer Zirkularatmung teils vierstimmig polyphone Texturen, die selbst Bach imponieren würden, pumpt abgrundtiefe Basslinines ins gewaltige Horn. Welch konkrete, ja regelrecht poppige Musikalität am Ende wieder herauskam, war nicht minder unfassbar! Vor allem das Finale wirkte programmatisch beim Moerser Festival 2009:
Atemlos ließ der Gitarrist Marc Ribot jenen Jim Morrison-Song voranstürmen, der zum Vorstoß ins Jenseitige, Unbekannte aufruft: „Break on through to the other side“! Und auch die anderen Stücke seiner aktuellen Band „The Ceramic Dog“ zeugen vom mutigen, rechen Geist, mit dem Grenzen von Genres und Konventionen niedergerissen werden, eben die Pforten zum Unbekannten aufgestoßen werden- für so etwas kam die aktuelle Festival-Ausgabe mit mit vergleichsweise wenig großen Namen auf, bot dafür eine endlosen Schar spannender Neuentdeckungen.
Und es rockte gewaltig in Moers 2009. Natürlich nie ohne das ständige Hinterfragen und Weiterdenken von Stilelementen und Ausdrucksmöglichkeiten. Die Konventionen des Musikgeschäfts gehören dabei fröhlich ignoriert. Beispielsweise stellte das japanische Frauen-Trio Nisennemonai seinen hypnotischen Minimal Techno in den Kontext überkochender Live-Spielfreude mit E-Gitarren und einem schweißtreibend pumpenden Schlagzeug. Der norwegische Gitarrist Eivind Aarset aus Norwegen gehört schon zur mittleren Generation prägender Persönlichkeiten im Moerser Klang-Kosmos – und er favorisiert nicht mehr so sehr die Electronic Beats, favorisierte es umso mehr „heavy“, als er seine sphärischen Klangimpressionismen von einer begeistert spielfreudigen, verdoppelten Rhythmsgruppe befeuern ließ.
So mancher Beitrag aus dem sonst so zuverlässig hohe Substanz liefernden hohen Norden schwächelte beim aktuellen Moers Festival. Valgeir Sigurdsson, der sonst für Björk arbeitet, kreiierte in seiner eigenen Band reichlich behagliche Lyrismen, die aber nur äußerst punktuell in wirklich magische Sphären versetzten. Und das Moerser Publikum kann weitaus mehr vertragen als die reichlich unverfängliche Pop-Gefälligkeit, die in vielen Songs von Eivor Palsdottir zum Tragen kam – schade angesichts der großen Hoffnungen, die in die Sängerin von den Faroer Inseln gesetzt worden war.
Ein bereits historisch gewordenes Trio, das schon die Pioniertage von Moers prägte, erklomm hingegen ohne Umschweife den Zenit der Zeit: Roscoe Mitchell (Sax) George Lewis (Posaune, Live-Elektronik) und Muhall Richard Abramson (Piano) wirkten dermaßen magisch intuitiv auf ihr gemeinsames Tun eingeschworen, als sie sich aus dem Ruhekosmos abstrakter Klangmeditationen in orgiastische Freejazz-Ekstase hinauf katapultierten- konzentrierter, spontaner, unmittelbarer geht dies wohl kaum noch!
Und es konnte ein großer Act aus Afrika mühelos den besten Ausgaben der einstigen „African Dance Night“ das Wasser reichen: Rokia Traore aus Mali zeigt sich als Entertainerin von geradezu extremer Steigerungsfähigkeit, wie sie mit coolen Tanzeinlagen und dunkler, ungemein tragender Stimme etliche Lanzen fürs Weibliche Selbstbewusstein brach.