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Professuren hatte Tabea Zimmermann bereits an den Musikhochschulen in Saarbrücken und Frankfurt inne; seit Oktober 2002 ist sie Professorin an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Foto: Rui Camilo
Professuren hatte Tabea Zimmermann bereits an den Musikhochschulen in Saarbrücken und Frankfurt inne; seit Oktober 2002 ist sie Professorin an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Foto: Rui Camilo
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Eine Künstlerin, die Wege weist

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Tabea Zimmermann erhält den Ernst von Siemens Musikpreis · Von Reinhart von Gutzeit
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Das trifft die Richtige! So hat es nicht nur die Redaktion der nmz empfunden, die von der Entscheidung der Jury geradezu entzückt war. Auch alle Musikerinnen und Musiker, die in diesen Tagen am Rande der Salzburger Mozartwoche die heiße Nachricht austauschten, waren sich einig: eine wunderbare Wahl, weil sie eine Kollegin trifft, die als Interpretin, als Solistin und Kammermusikerin höchste Anerkennung genießt, die aber auch abseits der Bühne dem Musikleben so viele wichtige Impulse gegeben hat – als Hochschullehrerin, als Festivalleiterin und als Künstlerin, die sich positioniert.

Wer Schuberts „Arpeggione“ oder den vierten Satz aus Robert Schumanns „Märchenbildern“ von Tabea Zimmermann gehört hat (eine lange Liste weiterer Traumstücke wäre hinzuzufügen), wird sofort zustimmen: Es gibt nicht viele lebende Musikerinnen, die ihre Zuhörer so verzaubern und in weit vom Irdischen entfernte Sphären führen können. Und gleichwohl ist Tabea Zimmermann eben auch eine durch badische Herkunft und große Familie tief geerdete Künstlerpersönlichkeit mit einem realistischen Blick auf die Welt im allgemeinen und die Musikwelt im besonderen.

Gerade weil sie nicht in einer typischen Musikerfamilie aufwuchs, wo man vieles, was für die musikalische Entwicklung wichtig ist, quasi von Hause aus vorfindet, hat Tabea Zimmermann (wie etliche andere Musiker) entscheidende Prägungen durch die Institutionen erfahren, die schon vor langer Zeit für die Nachwuchsförderung eingerichtet wurden. Durch die Musikschule in ihrer Heimatstadt Lahr, durch das baden-württembergische Landesjugendorchester und das Bundesjugendorchester, durch „Jugend musiziert“. Ungewöhnlich ist, dass sie diese Erfahrungen nicht hinter sich gelassen hat, sondern darauf zurückkommt. Ungewöhnlich auch, dass sie in ihrer Biografie nie vergessen hat, ihren ersten, wegweisenden Lehrer Dietmar Mantel zu erwähnen, dem sie so viel verdanke.

Und so war und ist sie auch immer bereit, etwas zurückzugeben und sich der jüngeren Generation zur Verfügung zu stellen: als Solistin oder Kammermusikpartnerin, als Coach, als Jurorin und Unterstützerin. Derzeit in Planung: ein Projekt mit dem BJO – eine Beethoven-Symphonie und Berlioz’ „Harold in Italien“ ohne Dirigent, von der Bratsche aus geleitet. Da wird es darum gehen, ein komplexes Werk mit einem großen Apparat sorgsam aufeinander hörend zu durchdringen und gleichsam wie Kammermusik zu erarbeiten. Was für ein wunderbares Forschungsprojekt und Abenteuer für junge Musikerinnen und Musiker, diesen Weg unter Tabea Zimmermanns Führung zu gehen!

Wenn es – ich bin davon überzeugt – bei der Heranbildung zukünftiger Instrumentalisten generell darum gehen muss, neben technischem und interpretatorischem Können auch auf eine forschende, entwickelnde, entdeckungsfreudige Haltung abzuzielen, lässt sich kaum ein besseres Vorbild als Tabea Zimmermann denken. Von der ihr gewidmeten Solosonate György Ligetis wird gerade wieder viel gesprochen; aber wie viele Uraufführungen hat sie darüber hinaus ge­spielt, wie viele Werke darunter, die ihr gewidmet sind und ohne diese Beziehung zwischen Komponist und Interpretin womöglich gar nicht entstanden wären! Oder auch der mutige Schritt, den sie gerade erst gesetzt hat: nach jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit Bartóks Violakonzert dieses leider unvollendet gebliebene Opus maximum der Bratschenliteratur neu zu bearbeiten und den Text von vielen aus ihrer Sicht unbegründeten Ergänzungen des Bartók-Schülers Tibor Serly zu befreien.

Tabea Zimmermann ist auch eine Künstlerin, die zum Musikbetrieb und seinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Stellung bezieht – etwa dann, wenn Kunst und Kommerz in eine so unheilige Allianz geraten, dass Künstler ohne Wissen und Zustimmung zu Werbeträgern gemacht werden. Oder wenn sie im Zusammenhang mit dem Nachwuchsthema die Frage nach dem Zustand der Musikerziehung in der Schule oder nach der öffentlichen Unterstützung der Musikschulen stellt. Sie macht das nicht, um Schlagzeilen zu produzieren, sondern um Haltung zu zeigen und in Fragen, die ihr für das eigene Künstlerdasein oder für die Zukunft des Musiklebens wichtig erscheinen, keine faulen Kompromisse zu schließen.

Haltung zeigen, nicht nur Perfektion in allen Belangen, sondern auch die Entwicklung zu einer autonomen Künstlerpersönlichkeit ernst zu nehmen – das ist auch mit ihren Studierenden an der Hanns Eisler Hochschule in Berlin ein wichtiger Gesprächsstoff. Sie kenne viele junge Künstlerinnen und Künstler, die mit idealistischen Vorstellungen an ihre zukünftigen Aufgaben im Musikleben herangehen oder mit interessanten eigenen künstlerischen Ideen, sagt Tabea Zimmermann. Es sei aber nicht einfach, derlei Eigenständigkeit zu verteidigen und sich nicht mit Blick auf Prüfungen, Wettbewerbe und Probespiele „glatt schleifen“ zu lassen. Aber am Ende seien eigener künstlerischer Wille und Entscheidungskraft doch eher Voraussetzungen als Hindernisse für den Erfolg. Auch das gelte es, jungen Künstlern zu vermitteln.

Als „Königin der Bratsche“ wird Tabea in der aktuellen Berichterstattung zur Preisverleihung wieder einmal apostrophiert. Ein Titel, der wohl vor allem darauf anspielt, dass sie unter den heutigen Instrumentalsolistinnen und -solisten einen sehr besonderen Rang einnimmt und so ihrem Instrument zu neuem Ansehen verholfen und – mit Blick auf das Repertoire – auch Neuland erobert hat. Aber erscheint das „Königinnen-Prädikat“ nicht schon gerechtfertigt, wenn man ihr nur zuschaut, mit welcher Souveränität und spürbaren Freude sie eine Bühne betritt und sich offen und charmesprühend dem Publikum zuwendet? Und sich doch niemals vor das Werk stellt, das sie aufführt! Es ist die Künstlerin, die im Werk aufgeht – nicht umgekehrt. Eine Königin, die sich in vielerlei Hinsicht „in den Dienst“ stellt, und eine nahbare zugleich. So, wie eine Königin heute eben sein sollte. 

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