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Eine Worthülse ist noch keine Kulturpolitik

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Was wichtig wäre: Anmerkungen zu Naumann & Co.
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Die deutsche Kulturpolitik produzierte in letzter Zeit vor allem Negativ-Schlagzeilen. Der Kulturbeauftragte der Bundesregierung stritt mit dem Finanzminister, Bayreuth und die Bamberger Symphoniker fühlten sich durch Kürzungen der Zuschüsse mißachtet, viele Worte fielen, doch kaum Bewegung war zu erkennen. Wie ernst werden Kunst und Kultur überhaupt genommen? Große Perspektiven öffnen sich im Augenblick nicht. Aus der Literatur kennt man den kleinen Mann, der sich plötzlich, sei es durch eigene List, sei es durch arge Täuschung, auf dem Herrscherthron wiederfindet. Nach anfänglicher Verwunderung und Verwirrung nimmt er den ihm zugespielten Ball des Zufalls oder des inszenierten Schicksals auf und beginnt zu regieren. Für diejenigen, die ihn dabei, häufig von oben herab, beobachten, nimmt der beabsichtigte Spaß allerdings rasch ein böses Ende. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, ihm zugeflossene Macht als Willkür zu mißbrauchen, Freiheit nur so zu verstehen, daß man tut, was einem gerade so einfällt. Ob die folgenden Handlungen dabei aus Bosheit oder Dummheit erwachsen, bleibt sich gleich. Das Ergebnis ist fast immer zerstörerisch. Die literarischen Vorbilder auf die neue Bundesregierung zu projizieren, hieße diese unzulässig zu dämonisieren. Es würde am Vorsatz fehlen. Unbildung und Wirrköpfigkeit führen allerdings oft ebenso zum Ziel, das keines ist. Die Konfusionen, die gerade eben über die Subventionen des Bundes für die Bayreuther Festspiele, die Bamberger Symphoniker, die Philharmonia Hungarica und das Deutsche Museum in München entstanden sind, dürfen als Musterbeispiel ministerialer Arroganz gepaart mit Unwissenheit und primitiven Animositäten gelten. Nun möchten wir hier dem allgemeinen und kaum noch lustigen Schimpfen auf hundert Tage Schröder & Co. nicht noch eine Fortsetzung schreiben, sondern den Blick auf ein anderes, unbestelltes Feld lenken. An grossen Worten zur Lage der Kulturnation fehlt es bekanntlich nicht. Gerade hat wieder der Bundespräsident die Erhebung Weimars in den Stand einer europäischen Kulturhauptstadt dazu genutzt, mehr klassische Bildungsgutpflege einzufordern. Und auch um Berlin machen sich alle und vor allem der redefreudige Bundeskulturwart viele Gedanken und Sorgen. Wir aber wollen uns einmal nicht sorgen um die Berliner Opernhäuser, um anspruchsbesessene Intendanten, Musikdirektoren und Regisseure. Das Land im Osten besteht nicht nur aus der Hauptstadt, die als Regierungssitz auch Repräsentatives benötigt. Wir erinnern uns an die traurige, im wahrsten Sinn des Wortes, „letzte Opernvorstellung“ in Frankfurt an der Oder, an das Ende der Musiksparte in Bautzen und Potsdam, an in der Regel enttäuschend endende Fusionen wie die der Musiktheater von Altenburg und Gera, von Greifswald und Stralsund. Die Reihe der Beispiele ließe sich verlängern, um die Orchesterfusionen (Suhl/Gotha), um das Ende von Orchestern (Neustrelitz), um die vielen Ballettensembles, die dem sinnlos wütenden Sparteufel geopfert wurden. Dabei geht es nicht allein um die Künstler, die Musiker, Sänger, Tänzer. Ebenso wichtig sind die Menschen, die ihr Publikum bildeten und die nun in ihren kleinen und kleinsten Gemeinden ohne Theater und Musik leben. Über die seelischen Defizite, die hier entstanden sind und weiter entstehen, darf spekuliert werden. Und über die Folgen existieren genügend Erfahrungswerte. Wer die innere Wiedervereinigung, über deren Ausbleiben immer so larmoyant gejammert wird, wirklich will, der muß auf dieser Ebene, bei den einzelnen Menschen in ihren Lebensräumen beginnen. Und nichts ist für den „Dialog“ so wichtig wie Gesprächsfähigkeit, das Finden einer gemeinsamen Sprache, beiderseitige Sensibilisierung, die Begegnung in der Kunst, die nicht nur in Weimar beheimatet ist, sondern auch in der Musikschule, in der Bibliothek, im Museum, im noch so kleinen Theater, im Konzert, im gemeinsamen Musizieren, im Chor, in der Tanzgruppe. Nicht Liquidation oder Fusion heißt also die Losung, sondern konsequenter Aufbau einer – jetzt kommt ein schreckliches, gleichwohl zutreffendes Wort – „sozio-kulturellen“ Struktur für das Land. Jede Mark, an der hierbei gespart wird, wird sonst eines Tages x-fache Sozialkosten verursachen, von den seelischen Beschädigungen nicht zu reden. Das alles ist in einer Legislaturperiode natürlich nicht zu schaffen. Und damit ist auch zu erklären, warum ein einzelner Politiker, und hieße er Naumann, dafür nicht zuständig sein kann? Aber getan werden müßte es dennoch. An kreativer Energie sollte es nicht fehlen. Man müßte auch nicht die alten Einrichtungen für die Genres einfach so weiterführen wie gewohnt. Warum erweitert man die bestehenden Theater, anstatt sie kaputtzusparen, nicht zu Treffpunkten und Arbeitsstätten, die dem Publikum, vor allem Jugendlichen, auch tagsüber offen stehen? Mit Bibliotheken, Videotheken, in denen man sich über Theater, Oper, Musik weltweit informieren kann? Dasselbe gilt für Museen und wären sie noch so klein. Man könnte sich vielleicht auch in der Pariser Cité de la Musique informieren, wie ein Konzept für die Vermittlung von Musik im weitesten Sinne funktionieren kann. Natürlich ist Senftenberg nicht Paris, aber die Cité de la Musique wurde nicht ohne Absicht in einem sozial gefährdeten Quartier angesiedelt. Der Erfolg übertrifft alle Erwartungen. Das Prinzip läßt sich auch auf kleinere Dimensionen übertragen. Man muß es nur wollen, vor allem: einsehen, daß es notwendig ist. Dringend.

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