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Emotionale Wahrhaftigkeit – Thomas Hengelbrock dirigiert Mozarts „Idomeneo“ in Paris

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Selbst die findigsten Operndramaturgen verstehen nicht wirklich, worum es in Mozarts „Idomeneo“ eigentlich geht, und auch prominente Regisseure, so etwa Hans Neuenfels in Berlin, wagen sich kaum an die schwer fassbare Geschichte, inszenieren lieber bildkräftige Metaebenen statt den Protagonisten des Stücks zu vertrauen. Im Palais Garnier der Opera National de Paris hat Intendant Gerard Mortier indes zwei Künstler zusammengeführt, die es vermögen, Mozarts angeblich so verworrene und altmodisch barocke Opera seria ganz aus dem Geiste der Musik heraus zu entwickeln.

So entsteht eine unaufgeregte emotionale Wahrhaftigkeit der Charaktere, eine Innigkeit der Beziehungen und eine feine Psychologie, die man in Produktion des „Idomeneo“ sonst fast immer vermisst. Dies liegt nicht nur an Luc Bondys gänzlich mätzchenfrei klarer Personenfüh-rung, es ist zu allererst Verdienst eines Musik und Szene gleichermaßen dirigierenden Thomas Hengelbrock.

Der Alte-Musik-Experte, der in den letzten Jahren einen klugen Weg zwischen freien Orchesterstrukturen und etablierten Häusern geht und so auch letzteren jenes Inspirationspotenzial wiedergibt, das dem Musizieren im bürokratisch verengten Rahmen der Orchesterdienste oft so schmerzlich abgeht, hat auch mit diesem „Idomeneo“ demonstriert, dass eine historisch informierte Aufführungspraxis ohne Originalklangensemble keinesfalls einen faulen Kompromiss darstellen muss. Hengelbrock phrasiert und modelliert den Klang so plastisch und federnd, dass auch das eher in romantischen Gefilden beheimatete Orchestre de l’opera national de Paris an pointierter rhetorischer Prägnanz enorm gewinnt. Immerhin hat Hengelbrock die Blechbläser mit „period instruments“ besetzt, die nun mit herrlich explosiven Akzenten in den Sturm und Wellen malenden Passagen aufwarten. Die Streicher spielen schlackenlos vibratoarm.

Und Hengelbrock wird hier gleichsam zum Regisseur, wenn er die Rezitative als handlungstreibende Momente endlich ebenso Ernst nimmt wie die Affekte vermittelnden Arien. Auch wer des Italienischen nicht mächtig ist, kapiert hier jede Szene: Wenn Idomeneo seiner Rettung aus den Meeresfluten gedenkt, scheint er seinen Worten wie in einem stehenden Klangbild selbst nachzulauschen. Wenn er den Zwiespalt seines Gelübdes Meeresgott Neptun gegenüber erkennt, mit dem ersten Menschen, der ihm an Land begegnet, seinen eigenen Sohn opfern zu müssen, lädt Hengelbrock die Rezitative in unerhörter Spannung dramatisch durchpulst auf. Der Vater-Sohn-Konflikt des Stücks wird so unmittelbar ohrenfällig.

Paul Groves als Idomeneo singt den König von Kreta mit seinem schlanken, hellen und dennoch heldisch gereiften Tenor aber auch mustergültig und mühelos. Sein Sohn Idamante ist in Gestalt und Stimme von Joyce DiDonato (mit wohlig ausgeglichenem, edlem Mozart-Mezzo) ein Kreta und Troja versöhnender Friedensstifter, der so nicht zuletzt seinen Vater dazu bringt, ihn mit der Feindin Ilia, Königstochter der Trojaner, zu vermählen. Der Ilia leiht Camilla Tilling, brav im weißen Faltenrock gewandet, ihren warm fraulichen Sopran, die schönste Stimme des Abends und ihre berührenden wie herrlich natürlichen Lyrismen.

In dieser Oper, die ohne Bösewicht auskommt, dafür mit klassischem lieto fine ausklingt, dem Hengelbrock ein Pianissimo-Fragezeichen anhängt, bleibt nur eine auf der Strecke: Die Elektra, auch sie verliebt in Idamante, zeichnet Mireille Delunsch als ein psychisches Wrack, eine Rache-Furie, die der tragischen Königstochter bei Richard Strauss schon gefährlich nahe kommt. Auch gesanglich beeindruckend intensiv fallen ihr S-Fehler und ein eher abenteuerliches Italienisch da kaum ins Gewicht.
Regisseur Bondy waltet in diesem Wunderwerk erschütternd großer Musik auf bedeutsam unspektakuläre Weise, setzt im suggestiven Seitenlicht von Erich Wonder auf archaisch elementare Bilder in Sand, Feuer, Wasser und Wind. Jene kaum eindeutig greifbare Macht des Schicksals, die die Protagonisten trennt und dann doch zusammenführt, wird wie subkutan wirksam. Dieser „Idomeneo“ ist ein Labsal in den späten Jahren des Regietheaters.

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