Seit 1. Juli 2015 ist es amtlich, seit dem 30. Juli öffentlich: Notwendige Investitionen in Brandschutzmaßnahmen zwingen den Blasmusikverband Baden-Württemberg (BVBW) zu vorzeitiger Betriebsaufgabe seiner Musikakademie im badischen Kürnbach, die er dort seit über 45 Jahren unterhält. Seit 2008 wurde im Blasmusikverband Baden-Württemberg mit seinen 104.000 Musikerinnen und Musikern in 1.428 Musikvereinen pro und contra über eine Erneuerung des Akademiestandortes Kürnbach oder einen Neubau eines Musikzentrums in Plochingen diskutiert.
Eine vom Blasmusikverband in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie empfahl im Juni 2014 einen Neubau in Plochingen mit Eröffnung 2018. Bereits im Juli 2014 stellte der BVBW seine Pläne für eine Verlegung der Musikakademie von Kürnbach im Kreis Karlsruhe (Baden) nach Plochingen im Kreis Esslingen (Württemberg) vor. Am 18. Oktober 2014 wurde der Beschlussvorschlag „Neubau Musikzentrum Baden-Würt-temberg“ in Plochingen mit 82 Prozent Mehrheit vom Landesvorstand angenommen. Etwa 9 Millionen Euro soll das fünfgeschossige Gebäude kosten, finanziert durch den Verkauf des alten Grundstücks der Musikakademie Kürnbach und die Zuschüsse des Landes. Soweit zur Chronologie.
Die Schließung der Musikakademie Kürnbach war zunächst für das Jahr 2018 geplant gewesen – dem Jahr, in dem der Neubau des Musikzentrums Plochingen fertig gestellt sein soll. Dies hätte auch Mitarbeitern die Chance eröffnet, nach Plochingen zu wechseln. Doch wegen notwendiger Brandschutzmaßnahmen in Kürnbach in Höhe von rund 150.000 Euro hatte der Blasmusikverband am 30. Juli dann die vorzeitige Schließung spätestens zum 30. März 2016 beschlossen. Die Abstimmung der Kreisverbände und Musikvereine über den Neubau in Plochingen wurde vom Verbandsvorstand anscheinend als Lizenz zur sofortigen und definitiven Schließung interpretiert. Die Folgen für den bisherigen Standort Kürnbach in der Region Karlsruhe sind fatal. Durch die Schließung werden etwa 20 Beschäftigte aus den Bereichen Hauswirtschaft, Beherbungs- und Versorgungsbetrieb, Lehrgangsorganisation und Verwaltung vorzeitig ihren Arbeitsplatz in einer strukturschwachen Region verlieren.
Ein Streit um Abfindungen und Sozialplan ist im Gange. Der BVBW verweigerte bisher Verhandlungen zu einem Sozialplan und Sozialtarifvertrag mit der Begründung, die Zahl der Mitarbeiter läge unter 20. Nach mehreren Anläufen von Seiten des Betriebsrates hat das Landesarbeitsgericht Stuttgart jedoch inzwischen die Einrichtung einer Einigungsstelle zur Erstellung eines Sozialplans für die betroffenen Mitarbeiter eingesetzt. Bislang hat der Blasmusikverband eine Abfindungszahlung von insgesamt 68.000 Euro für 13 von der Kündigung betroffenen Mitarbeiter angeboten. Der Betriebsratsvorsitzende Thomas Berndt hält das für viel zu niedrig, es „entspräche gerade einmal 0,2 Bruttomonatsgehältern pro Betriebszugehörigkeitsjahren“. Der bisherige Akademieleiter Georg Lernbass durfte sich zu den Anfragen der neuen musikzeitung nicht mehr äußern.
Es gab einige Zeit lang einen Strohhalm, an den die Betroffenen sich klammerten, was den Weiterbetreib der Akademie anging: Manfred Kern, MdL aus Schwetzingen (Die Grünen), initiierte einen Runden Tisch, der einen neuen Akademieträger eruieren sollte. Die – auch überparteilichen – Bemühungen diverser Kommunalpolitiker, eine Lösung für den Weiterbetrieb der Akademie ohne Beteiligung des BVBW zu finden, scheinen aber inzwischen obsolet, da sich der Verband laut Harald Eßig, Geschäftsführer des BVBW, in abschließenden Gesprächen mit einem privaten Investor befinde. Ein konkreter Hinweis auf den Käufer könnte eine Stellenausschreibung sein – der Fortbildungskonzern „Internationaler Bund“ (IB) sucht Pädagogen und Sozialarbeiter für einen Standort Kürnbach auf der Jobbörse Monster: „Für unsere Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Ausländer und die anschließende Betreuung in Wohngruppen in Kürnbach suchen wir ab 1.3.2016 (ggf. auch früher) in Vollzeit oder Teilzeit mehrere Sozialpädagogen/innen.“
Leidtragende der Entwicklung sind nicht nur die 20 Angestellten der Musikakademie, sondern auch die zahlreichen Beleger aus dem nordbadischen Raum. Mit 68 Prozent führte die Belegungsliste die Klientel von RSD Reiner Senger, Musikreferent im Regierungspräsidium Karlsruhe, an. Seine Schulorchester und deren Mentoren kamen aus einem Einzugsgebiet von Weinheim bis Altensteig im Schwarzwald. Die Belegung der Akademie war quasi lückenlos gesichert, sagt Senger, und zwar „zu den Schulzeiten die Lehrer und am Wochenende Vereine und Chöre.“
Da die nächsten Akademien Wildbad und Comburg sind, fehlen für die nordbadischen Schüler Musikakademien in erreichbarer Nähe. Schulen könnten derzeit nur noch Tagesangebote, etwa in Jugendherbergen, Schulen und anderen Ausweichquartieren und Provisorien wahrnehmen. Betroffen sind auch andere Beleger, darunter der Bund der Zupfmusiker, die Klosterschule Maulbronn, die Internationalen Trompetentage von Reinhold Friedrich sowie Blasmusikkreisverbände der Region, die in Kürnbach die Kurse für ihre Bronze-, Silber- und Gold-Abzeichen durchführten.
Dass dieser soziokulturelle Verlust den nordbadischen und in Teilen auch den nordwürttembergischen Raum betrifft, scheint kein Zufall. Der BVBW schreibt in seinem „Antrag Landesförderung Musikzentrum Baden-Württemberg“: „Plochingen liegt geographisch im Mittelpunkt des Verbandsgebietes und bietet für alle 22 Kreisverbände eine zufriedenstellende Erreichbarkeit mit ÖPNV und Auto.“ Und der Verband pocht darauf: „Es ist ausschließlich eine Entscheidung des Blasmusikverbandes, eine Musikakademie nicht außerhalb des Verbandsgebietes, sondern an zentraler Lage in Plochingen zu errichten.“ Dazu BVBW-Generalsekretär Kempter in der Zeitschrift „Forte“ (Nr. 1, 2015) zu den Forderungen nach dem Erhalt der Kürnbacher Akademie: „Hier wird leichtfertig und ohne Legitimation unserem BVBW die gesellschaftliche Verantwortung für die Finanzierung eines Bildungshauses in einer Region abverlangt, die nicht Teil des Verbandsgebietes ist. Ich kann mich nicht erinnern, dass dies unser satzungsgemäßer Auftrag wäre.“
Damit sollte auch die Gemeinde Kürnbach als eventueller Nachfolgeträger in die Pflicht genommen werden. Dies lehnte wiederum Bürgermeister Karl-Heinz Hauser ab: „Es ist mit Sicherheit nicht eine originäre Aufgabe einer Gemeinde mit 2.300 Einwohnern (...) eine musikalische Ausbildungsstätte zu betreiben, deren Verantwortung ausschließlich bei den einschlägigen Verbänden beziehungsweise dem Land Baden-Württemberg liegt.“
Unmut besteht in Kürnbach auch darüber, dass der BVBW mit seinen Planungen Fakten geschaffen hat, ohne dass im Haushalt des Landes Baden-Württemberg bisher finanzielle Mittel für einen Neubau in Plochingen eingestellt sind. „Es wirft schon Fragen auf“, so der FDP-Vorsitzende Heiko Zahn auf seiner Webseite, „warum der Verband diesen Schritt geht – ohne Zusage auf die beantragten Zuschüsse aus dem gestellten Nachtragshaushalt des Landes zu haben. Sind hier im Vorfeld Absprachen an der Öffentlichkeit vorbei getroffen worden?“ In einem Schreiben an Kunstministerin Theresia Bauer bittet Bürgermeister Hauser um Prüfung, „welche landespolitischen Überlegungen beziehungsweise Planungen im Falle der Schließung der Musikakademie Kürnbach bestehen, wie die musikalische Aus- und Weiterbildung in einem nicht unerheblichen Landesteil erfolgen kann.“
Fakt ist, dass mit der Schließung der Musikakademie Kürnbach eine fast 50-jährige musikalische Tradition abreißt, ohne dass Ersatz in Sicht ist. Und Fakt ist es auch, dass der Ausbau des neuen Musikzentrums in Plochingen im Ballungsraum mittlerer Neckar zu Lasten eines strukturschwachen Raumes im Landesteil Baden geht. Über fünftausend Gäste jährlich und annähernd sechzehntausend Teilnehmertage waren messbare Zeichen für die Beliebtheit der Musikakademie bei Kursteilnehmern und Belegungsgästen. Allgemeinbildende Schulen, Musikschulen, Behörden, aber auch Wirtschaftsunternehmen und andere Organisationen, Blasorchester, Musikensembles und Chöre – wo wird diese Klientel bis zur Eröffnung des Musikzentrums in Plochingen versorgt? Mit der Schließung der Musikakademie Kürnbach in zwei Monaten hat man ohne Not einen professionellen Dienstleister für Bildungsarbeit und Tagungen und eine exzellente außerschulische Bildungseinrichtung für bläserisches Musizieren und Vereinsmanagement entsorgt.