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„Ich hab keine Schuld. – Wer hat sie denn?“ Dalia Schaechter als Mutter. Foto: Uwe Stratmann
„Ich hab keine Schuld. – Wer hat sie denn?“ Dalia Schaechter als Mutter. Foto: Uwe Stratmann
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Es gibt doch ein Leben nach dem Blut: Fulminante Wiederentdeckung von Wolfgang Fortners „Bluthochzeit“ an den Wuppertaler Bühnen

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Am Ende sind es die Frauen, die übrig bleiben. Da hocken sie in ihren Ecken und können es nicht fassen. Und auf einmal hat sich dieses Stück selbst verwandelt aus einem über eine rasante Talfahrt der Gewalt in eines über die Frage: wie weiterleben in einer Gesellschaft, die den „Weg des Blutes“ gegangen ist? In ein Stück, das hinter das Mantra der ewigen Mitläufer blickt. Derjenigen, die es nicht schaffen, nein zu sagen, wenn Dinge passieren, die mit den Überzeugungen, mit den Gefühlen nicht zusammengehen. So gesehen, ist die Braut, die dies schafft, bei aller Tragik, das Hoffnungszeichen dieses düsteren Lorca-Stoffs.

Nachdem die Tragödie ihren Lauf genommen hat – mit Ehebruch, mit verletzter Ehre, mit finalem Zweikampf der Männer und mit dem Trauma der zurückbleibenden Frauen – nachdem die Welt um Braut, Bräutigam und Rivale den Weg des Blutes genommen hat, bricht die ganz normale Schizophrenie durch. Was Lorca und mit ihm Fortner ganz in die Figur der Mutter gelegt hat. „Ich hab keine Schuld. – Wer hat sie denn?“ Eine Mischung, die Fortner mit Theaterinstinkt und einem hellwachen Bewusstsein für die politische Verantwortung des Nachkriegskünstlers, in die beginnende Eiszeit der Adenauerzeit hineinmontiert hat. Denn immerhin: In seinem Uraufführungspublikum – Köln, 1957 – waren sie ja doch alle vertreten: die Opfer, die Täter und die Mitläufer. Wobei man von beiden letzteren ja nun gewiss sagen konnte, dass sie tatsächlich und wahrhaftig, nicht anders wie diese atavistische Lorca-Gesellschaft, den Weg des Blutes genommen hatten. Mit bekannten Resultaten.

Dass Fortner gegen die ebenso bekannte, nachfolgende Verstockung, sich den eingetretenen Wirkungen zu stellen, ausgerechnet diesen Stoff herausgegriffen hat, zeugt von glücklicher Hand. Geholfen hat ihm, dass Theaterregisseur Karl-Heinz Stroux bei ihm eine Schauspielmusik für eine „Bluthochzeit“-Inszenierung in Auftrag gegeben hatte. Danach lässt ihn der Stoff nicht mehr los. Einer, der ja nicht nur die (gesellschaftliche) Triebnatur bloß legt, sondern auch wie diese verdrängt wird und wie diese Verdrängung wiederkehrt.

Bis 1986 war dieses bewegende Stück Musiktheater regelmäßig auf bundesdeutschen Bühnen zu sehen. Dann ist es verschwunden. Wahrscheinlich, weil man der Meinung war, dass dieser Lorca mit seinen altspanischen Atavismen der verlorenen, der verletzten Ehre, der Rache irgendwie obsolet geworden ist. Woran man seine Zweifel haben kann, wenn man nur einmal an die Großtaten unserer selbst ernannten Richter und Henker der letzen Jahre denkt: Breivik, NSU und all die gewöhnlichen, die namenlosen Ehrenmörder. Unter der Kruste brodelt es.

Was Wolfgang Fortner gespürt hat. Ausgerechnet einer, von dem wir uns angewöhnt haben, ihn gar nicht als Komponisten, sondern als Komponisten-Lehrer, -Macher, Komponisten-Förder zu sehen. Irgendwie ist da ein schiefes Bild entstanden. Dass hinter dem Mitbegründer der Darmstädter Ferienkurse, hinter dem väterlichen Freund der Rihms, der Henzes ein eigenständiger Komponist mit eigener künstlerischer Absicht steht – dies ist uns aus dem Blick geraten.

Bis zu dieser Wuppertaler Wiederentdeckung, die als Großtat moderner Theater-Archäologie gar nicht hoch genug zu würdigen ist. Die Verdienste dieses auch emotional mitreißenden Theaterabends teilen sich Regie, Musik und Darsteller gleichermaßen. Kongenial, dass sich Christian von Götz nicht dazu entschieden hat, das Orchester in den Graben zu verbannen, sondern auf der erhobenen Hinterbühne zu platzieren. In der „Lyrischen Tragödie“ erster Teil sehen wir das Wuppertaler Sinfonieorchester hinter einem transparenten Fotokarton. Motiv: Wohnmaschine der 50/60er-Jahre. Erst im zweiten Bild, nach dem Umschlagspunkt – als die Braut mit dem Rivalen von der Hochzeitsgesellschaft weg durchgebrannt ist und diverse Rachephantasien ausgelöst hat – wird das Orchester sichtbar. Eine Wende, die von Götz mit sicherem dramaturgischem Gespür für Spannungsmoment und Spannungsbruch herbeigeführt wird. Dann sehen wir auch, was wir hören. Wie Hilary Griffiths zumal in den Zwischenspielen den Deckel auf diesem Orchestertopf hält, der in den Tuttisätzen immer unterhalb des Siedepunktes brodelt. Gebannt folgt man Fortners Qualität, den Dampf auf dem Kessel seines Orchestersatzes zu halten und im Fortgang, die Emotionen gebrochen und stoßweise abzugeben: über das bloße Sprechen, über einen speziellen Sprechgesang, über das Singen.

Wahrscheinlich hatte ein begleitendes Gesprächs-Podium ganz Recht, als es diesen Fortner zum traditionalistischen Modernen erklärte. Tatsächlich hört man ja ganz gut, wie Fortner (sehr ähnlich wie Alban Berg) seine Zwöftonreihen mit kleinen und großen Terzen, mit Ganztonschritten gang- und sangbar macht. Sich überhaupt immer soweit zurücknimmt, dass seine Darsteller und ihre Konflikte im Zentrum bleiben. Wobei aus dem zehnköpfigen Sängerteam nun unbedingt Dalia Schaechter als markante Verkörperung der Mutter herauszuheben ist. Vor allem an ihr wie an der von Banu Böke empathisch gespielten und gesungenen Braut, zeigt sich nicht nur die Handlung, sondern auch deren Reflexion. Unmittelbar hängt das Faszinierende dieses Stücks zusammen mit der Wandlung, die diese Frauenfiguren durchmachen. Vor allem wie diese Dalia Schaechter uns nach- und mitfühlen lässt, wie sie diesen weiten Weg zu nehmen bereit ist und dann selbst das Katastrophische, das Unbewusste einer atavistischen Trieblogik hinter sich lässt. In der letzten Einstellung hockt sie vorn an der Rampe. Ihre Zukunft ist unsere. Ein großer Theaterabend. Ein bedeutendes Stück.

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