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Der Komponist Jan Kopp schreibt auch für Laienchöre. Foto: privat
Der Komponist Jan Kopp schreibt auch für Laienchöre. Foto: privat
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„Es reizt mich, für Laienchöre zu schreiben“ – Der Komponist Jan Kopp im Portrait

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Der Stuttgarter Jan Kopp (Jg. 1971) komponiert Neue Musik – eine Richtung, die man eher mit Komplexität und Expertentum als mit Laien und Liebhabern in Verbindung bringt. Gleichwohl gelingt es ihm immer wieder, diese beiden „Lager“ an einen „Tisch“ zu holen, ohne dabei ästhetische Konzessionen zu machen. Wie schafft er das? – Ein Portrait von Burkhard Schäfer.

Zugegeben, so berühmt wie seine Kollegen Ēriks Ešenvalds oder Ola Gjeilo – um zwei „Stars“ der aktuellen Chorszene zu nennen – ist Jan Kopp als Vokalkomponist noch nicht. Vermutlich will er das auch nie werden, denn seine Klangsprache ist eine ganz andere: weniger eingängig, atonal, oft experimentell und ungewohnt, mit einem Wort: Neu (mit großem N). Im Elfenbeinturm will er aber mit seiner Kunst nicht bleiben, im Gegenteil. „Ich beklage mich nicht, wenn ich den Auftrag für ein Laienchorwerk bekomme“, sagt Kopp. „Vielmehr reizt mich das, weil dieses Feld noch gar nicht ausgereizt ist.“ Im Gespräch wird Kopp noch deutlicher: „Es treibt mich um, wie Neue Musik für Laienspieler oder -sänger zugänglich gemacht werden kann. Die technischen Schwierigkeiten, die diese Stilrichtung oft aufweist, sind meiner Meinung nach nicht zwingend notwendig“.

Mit seinem Wunsch – „Profis und Laien zusammenbringen, damit Synergien entstehen“ – sieht Kopp sich allerdings „ziemlich allein auf weiter Flur“. Denn wenn von den „Neuen“ Komponisten nichts komme, ließe sich auch nicht viel bewegen, beklagt er. Natürlich gäbe es auch Ausnahmen. Kopp verweist auf einen seiner Lehrer, Wolfgang Rihm. „Von ihm gibt es immer wieder einfache Musik, auch aus dem Vokalbereich, die keine ästhetischen Konzessionen macht.“ Wie ist Jan Kopp zu Rihm und überhaupt zur Chormusik gekommen? Zumal er, wie er gesteht, während seiner Schulzeit nie in einem Chor gesungen habe, „obschon es Schul- und Jugendchöre in dem Ort gab, wo ich aufgewachsen bin.“ Aber er besaß eine Affinität zum Schreiben literarischer Texte: „Die habe ich dann auch vertont, meistens für Solo-Stimme. Aufgeführt wurden die Sachen aber nie“, sagt er und lacht.

Mit 16 Jahren wurde er dann Vorstudent bei Rihm. „Ich habe damals viel von seiner Chormusik gehört und dazu seine Person erlebt, das hat mich sehr fasziniert, vor allem seine Verbindung von Sprache und Musik.“ 1992 ging Kopp zum Studium nach Heidelberg. „Dort hörte ich dann auch zum ersten Mal die Schola Heidelberg und durfte bald darauf auch ihren Gründer Walter Nußbaum kennenlernen.“ Nußbaum habe ihn relativ schnell eingeladen, etwas für die „Schola“ zu komponieren. „Es dauerte aber noch Jahre, bis mein Werk aufgeführt wurde.“ In Heidelberg erlebte er „aus großer Nähe eine vokale Ensemble-Praxis“. Eines faszinierte ihn dabei besonders: dass es oft nicht reine A-cappella-Werke waren, die dort erklangen, sondern Vokalmusik in Verbindung mit wenigen Instrumenten. „In diesen Jahren lernte ich viel über die Verflechtung von Instrumenten und Stimmen. Das hat mein heutiges Tun begründet.“

Kopps erstes Projekt mit Laienchor entstand 2010 im Auftrag des Stadtteilchors Stuttgart-Nord: „Versprechen“ für drei Chorgruppen und Klarinette solo nach einem Text von Ossip Mandelstam. „Und da habe ich dann auch zum ersten Mal selbst im Chor mitgesungen.“ Diese Erfahrung sei für ihn absolut prägend gewesen: „Einen besseren Kompositionsunterricht können Sie gar nicht bekommen“, erzählt er lachend. „Vor allem, wenn Sie das mit Ihrer eigenen Musik machen dürfen und mitten im Chor stehend merken, was gut funktioniert und was eher nicht.“ Eine Sache sei ihm dabei von Anfang an klar gewesen: „Im Unterschied zu Leuten, die aus dem Chorbereich kommen und dann anfangen zu komponieren, bin ich von der Komposition her zum Chor gekommen, ohne all die pragmatischen Überlegungen und Rücksichten. Den Laienchor-Bedingungen habe ich mich sozusagen von der anderen Seite her angenähert. Ich wusste: ein Laienchor ist in der Zusammenarbeit, in der Kommunikation und in seinem sozialen Gefüge etwas anderes.“

Was unternimmt nun ein einsamer Rufer in der Wüste wie Jan Kopp konkret, um einen Laienchor in ein avantgardistisches Instrumentalumfeld einzubinden? „Meine Stücke gehen anders an die Ensembles heran als das klassisch chorische Modell, das in Chorstimmen denkt. Natürlich gibt es auch in der Neuen Musik eine Tradition, für Chöre zu schreiben, wo man an der Exaktheit und der Einteilung in Stimmgruppen festhält, aber die Tonsprache, die den Chören vertraut ist und die hinter der klassischen Literatur steht, aufgibt. Das erzeugt immense Schwierigkeiten.“ Er definiert die Einheiten des Chors anders. „In meinen Werken wie etwa ‚Versprechen‘ müssen nicht 20 Sänger unisono wahnsinnig komplizierte Linien singen.“ Schließlich hat Kopp selbst erlebt, wie schwierig es ist, im Chor eine rhythmisch komplizierte Zwölfton-Reihe einzustudieren. „Da geht so viel Energie verloren! Meine Überlegung war also: wie kann ich das so gestalten, dass diese Energie für etwas anderes nutzbar wird und stärker in den Ausdruck fließen kann?“

Eine Errungenschaft der Neuen Musik kommt Kopp dabei besonders zu Hilfe: „Es gibt dort die Tradition der Verbalnotation. Die ist vor allem bei Vorübungen hilfreich, wenn man keine Noten braucht, sondern Anweisungen geben kann wie etwa ‚Singe unabhängig von allen anderen einen Ton und halte ihn stabil!‘ Das kann man dann üben und man hört am Klang, ob die Leute sicher sind oder nicht. Sicherheit muss geübt werden, denn sie hat mit dem Ausdruck zu tun. Und wie man die Sicherheit für ein Mendelssohn-Stück bekommt, so kann man sie auch für ein Werk von mir gewinnen.“ Hat man das als Sänger einmal verstanden, wird technisch vieles einfacher.  

Die Stimmbildung bekommt bei Kopps Werken einen aktiveren Anteil und damit einen höheren Stellenwert. „Es geht nicht darum, einen Ton besonders sauber oder etwa das hohe A singen zu können, sondern darum, Stabilität zu erlangen. Meine Art, den Ton zu singen, gehört deshalb viel eher in die Stimmbildung als in die Chorprobe.“ Neben der Verbalnotation schätzt Kopp zusätzlich zu den Partituren auch didaktische Handreichungen. „Die Musik selbst soll aber keinen didaktischen Charakter bekommen.“ In seinen Erläuterungen zu „Versprechen“ finden sich viele solcher Hinweise. Sie betreffen zum Beispiel die von ihm (zusätzlich) verwendete vereinfachte Tonhöhenschrift – sie basiert im Unterschied zum fünflinigen Notensystem nur auf einer einzigen Linie als Orientierung –, die Aufteilung des Chors und seine Aufstellung im Raum oder die oben schon genannte Stimmbildung. Kopps Ansatz zielt also auf (Komplexitäts-)Reduktion: „Meine Partituren lassen eher etwas weg. Wenn man nur noch relative Tonverläufe hat, dann entfällt viel Probenaufwand. Man muss also mehr an der Überzeugung arbeiten als an der Tonfolge.“

Ein Vorbild für sein eigenes Modell erkennt Jan Kopp in einem Komponisten, den man in diesem Zusammenhang vielleicht nicht erwarten würde: Felix Mendelssohn-Bartholdy. „Niemand würde behaupten, die Chorpartien in seinen Werken seien unter Niveau“, sagt er mit lauter Stimme. „Damals wurden die aber vor allem von Laien gesungen, nur die Orchestermusiker und Solisten waren Profis. Bei Mendelssohn funktioniert diese Kooperation wunderbar und auf gleicher ‚Ohrenhöhe‘.“

Zum Schluss stellt sich noch einmal die Frage, warum Kopp mit seinem Ansatz so allein dasteht. „Ein Problem sehe ich schon an den Hochschulen“, erklärt Kopp – und der Frust ist ihm dabei deutlich anzumerken. „Das Kompositionsstudium begreift sich in der Regel als Instrumental-Kompositionsstudium, in vielen Studienbeschreibungen steht das sogar ganz explizit drin.“ Seines Wissens gibt es in Deutschland keine einzige Kompositionsprofessur mit dem Schwerpunkt Vokalmusik. „Eine solche Stelle müsste erst noch geschaffen werden.“ Bleibt für die Chor-Szene nur zu hoffen, dass der Rufer in der Wüste auch gehört wird.  

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